Nr. 42
29. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Mit den Beilagen: Für unsere Kinder. Die Frau und ihr Haus
Die Gleichheit erscheint wöchentlich
Preis: Monatlich 1,20 Mart, Einzelnummer 30 Pfennig Durch die Post bezogen viertelfährlich ohne Bestellgelb 3,60 Mart; unter Kreuzband 4,25 Mart
Genossinnen!
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6. Dezember 1919
Die Not in Desterreich ist so hoch gestiegen, daß die Minderbemittelten darin zu verfinken drohen. Ein Bolt ist a in Verhungern. Auch wir haben den Hunger kennen gelernt. Die Saat des Hungerwinters 1916/17 war die furchtbare Ernte des Todes unter Deutschlands Kindern, Jugendlichen und werdenden Müttern. Weil wir dies wahn. finnige Elend selbst erleben mußten, fühlen wir doppelt, was unsere österreichischen Brüder und Schwestern, was die Mütter und Kinder dieses Volkes leiden, denn sie haben noch weniger als wir in der schlimmsten Zeit hatten. Und wenn die Regierungen der Entente den Verzweiflungsschrei Desterreichs nicht hören wollen, wenn sie die Nache an Wehr Iose für Gerechtigkeit halten, wenn die Satten die Hungernden nicht verstehen können, so wollen wir Herzen und Hände öffnen und von unserer Armut geben.
Die neuen Frauenberufsschulen
Von Dr. Olga Essig, Frankfurt a. M. Art. 145 der neuen Reichsverfassung bestimmt:
Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahre.
Der Fortschritt, den diese zwei knappen Säße für die weibliche Jugend unseres Volkes bedeuten, wird am besten beleuchtet, wenn wir uns die bisherigen diesbezüglichen Gefegesbestimmungen in ihrem Werdegange vor Augen halten, Bislang wurden 95 Proz. der Schuljugend im Alter von 14 Jahren aus der Volksschule entlassen. Die gesetzliche Grundlage für das ergänzende Fortbildungsschulwesen bildete der§ 120 der Reichsgewerbeordnung oder Landesgesetze. Nur wenige Bundesstaaten hatfen solche Fortbildungschul. gesetze erlassen; unter diesen haben nur Bayern , Baden, Württemberg und Sachsen- Meiningen der Mädchenfortbil dungsschule darin gedacht. Diese gründete sich also außer in den genannten Gliedstaaten überall auf die Reichsgewerbe ordnung. Erst seit dem Jahre 1900 gibt§ 120 R. G. D. den Gemeinden das Recht der Einführung des Fortbildungsschulzwanges für Mädchen durch Ortsstatut. Die diesbezügliche Novelle beschränkte diese Erlaubnis jedoch auf Handlungsgehilfinnen und lehrlinge. Nachdem im Jahre 1911 ein weitergehendes preußisches Fortbildungsschulgesetz an dem von einigen Parteien geforderten Religionsunterricht gescheitert war, erging kurz darauf eine Novelle zum§ 120 R. G. D., die die obligatorische Fortbildungsschule für alle gewerblichen Arbeiterinnen unter 18 Jahren zuließ. Es blieb dem Ermessen der Gemeinden überlassen, ob sie von dieser Ermächtigung Gebrauch machen wollten. In gewissen Fä ler fonnte die höhere Verwaltungsbehörde einen Druck auf ät mige Gemeinden ausüben. Die in Haus- und Landrat tichy ft
Zuschriften sind zu richten an bie Redaktion der Gleichheit, Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Aint Morigplas 14740 Expedition: Berlin SW 68, Lindenstraße 3
Die Nationalversammlung hat in der Sitzung vom 27. No bember beschlossen, daß die deutsche Regierung unsere Mehl. ration um wöchentlich 50 Gramm fürzt. Das ist für jeden eine einzige Schnitte Brot weniger in einer ganzen Woche und doch reicht es aus zur Linderung der allerbittersten mit einer Silfsaktion vollkommen einverstanden, aber die Hungersnot in Desterreich. Die 11. S. P. D. erklärten sich Kürzung unserer Nation um eine Schnitte lehnten sie ab. Darüber hinaus soll und muß gegeben werden, aber dieses Geben wird in das freie Ermessen gestellt.
Genossinnen, freudig haben wir den Antrag der Nationalbersammlung begrüßt, freudig wollen wir geben, weil wir wissen, wie weh der Hunger tut. Lebten wir im Ueberfluß, so wäre unser Entschluß keine Größe; aber da wir Mangel haben, wird er eine Tat der Liebe, welche den Segen der Freude in sich trägt. Sedaktion der„ Gleichheit".
tätigen und die berufslosen Mädchen waren keinesfalls zum Schulbesuche zu verpflichten.
Nach dem Stande vom Ende des Jahres 1912 hatte Preußent 64 Pflichtfortbildungsschulen für weibliche Handelsangestellte, seit 1913 in einigen Städten gewerbliche Abteilungen dazu, Auf Grund der erweiterten gesetzlichen Bestimmungen komen Offenbar war eine raschere Entwicklung des Mädchenfortbildungsschulwesens beabsichtigt, als der Ausbruch des Weltfrieges im Jahre 1914 weiteren Einrichtungen seitens der Kommunen ein vorläufiges Ziel sette. So ist es gekommen, daß das nach dem alten Recht Erreichbare noch nicht in vollem Maße verwirklicht war, als die Reichsverfassung jede Schranke für die Entwicklung der Mädchenfortbildungsschule beseitigte.
Unsere Aufgabe muß es nunmehr fein, für eine schnelle und gute Ausfüllung dieses Rahmens durch die Schulverwaltungen Sorge zu tragen. Dabei ergibt sich eine Fülle von Problemen, für deren zweckdienliche Lösung fast gar feine Vorbilder gegeben sind. Es gilt neue Wege zu gehen, wober die Mitarbeit aller Berufsfrauen unbedingt erforderlich ist. Im folgenden soll versucht werden, einige Richtlinien für die äußere und innere Organisation der neuen Frauenfortbil dungsschulen zu entwerfen, wobei die vorhandenen Anfänge auf ihre Brauchbarkeit und Verwertbarkeit für den Neubau geprüft werden sollen.
In dem Maße, in dem die Entwicklung unseres Wirtschaftslebens und seiner kapitalistischen Betriebsweise in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts voranschritt und die außer häusliche Arbeit von Millionen Geschlechtsgenossinnen nötig machte, entwidelte sich auch das Bedürfnis nach einer über den Rahmen der Volksschule hinausreichenden Fortbildung der Frauen. Die pre' ti che Arbeitsübung allein erwies fich als dr ars riz reire des Rüstzeug für die außerhäusliche Erbrose best. Da Itaat und Gemeinden das Bildungsbedürf nis der Fraten veder gar nicht erkannten oder doch nicht als drinolich ane lannten, leiteten sie die private Unter