Nr. 43
29. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Mit den Beilagen: Für unsere Kinder. Die Frau und ihr Haus
Die Gleichheit erscheint wöchentlich
Prets: Monatlich 1,20 Mart, Einzelnummer 30 Pfennig Durch die Dont bezogen vierteljährlich ohne Bestellgeld 3,60 Mart; unter Kreuzband 4,25 Mart
-
13. Dezember 1919
Die neuen Frauenberufsschulen
( Schluß)
Von Dr. Olga Essig, Frankfurt a. M. Die Forderung der beruflichen Gliederung der Fortbil. dungs- und Fachschulen hat sich für unsere Knaben seit langem als selbstverständlich durchgesetzt. Bei der Ausgestaltung der Mädchenschulen dagegen ist immer von neuem versucht worden, die gründliche Berufsbildung durch Aufnahme von Unterrichtsgegenständen aus anderen Gebieten weiblicher Betätigung zu beeinträchtigen. Mit besonderem Eifer wurde von frauenarbeitsgegnerischer Seite an der Einführung des haus wirtschaftlichen Unterrichts in alle faufmännischen und gewerblichen Mädchenschulen gearbeitet. Nun bedarf es für die Leserinnen dieses Blattes feiner besonderen Darlegung, von welcher Bedeutung eine solide theoretische und praktische Berufsbildung der Hausangestellten, Hausfrauen und Mütter für das Familienleben, die Privatwirtschaft der einzelnen Familie und die gesamte Volkswirtschaft ist. Im alten Militärstaat fehlten für eine umfassende hauswirtschaftliche Frauen bildung Verständnis und Mittel. Sonderbarerweise war man aber mit geschäftiger Eile dabei, Haushaltungsunterricht da einzuführen, wo er als Berufsbildung nicht in Frage kommen konnte, wohl aber einen anderen Zweig der Fachbildung beeinträchtigen mußte, nämlich in den kaufmännischen und gewerblichen Fortbildungs- und Fachschulen. Vergeblich wehrten sich die Berufsorganisationen der weiblichen Ange. stellten gegen derartige Maßnahmen. Ihre Ansprüche auf bollwertige Ausgestaltung der kaufmännischen usw. Mädchenschule wurden von damals ausschlaggebender Stelle mit dem Bemerken abgetan, man könne sich doch nicht auf„ frauenrechtlerischen" Standpunkt stellen. Das Ergebnis eines langen und zähen Kampfes der Handlungsgehilfinnen waren die handelsministeriellen Bestimmungen vom 1. Juli 1911, die in Absatz III verfügten, die Fortbildungsschule babe auch den Hauswirtschaftlichen Unterricht zu berücksichtigen, da er für die weiblichen Angestellten dringend erforderlich sei. Wo die Durchführung dieser Bestimmung zu einer Verlängerung der Pflichtstunden führte, war der Schaden für die Mädchen unerheblich. Oft wurde der Hauswirtschaftliche Unterricht aber auch innerhalb der Pflichtstunden erteilt, beeinträchtigte also die ohnehin sehr knappe Zeit, die den Fortbildungsschulen zur Verfügung stand, ohne daß man als Gewinn auf der anderen Seite eine wirklich ernst zu nehmende hauswirtschaftliche Schulung der Mädchen verzeichnen konnte. In der Vorbereitung auf einen außerhäuslichen Beruf begriffene junge Mäd. chen können nicht zu gleicher Zeit noch für ein zweites großes Gebiet der Frauenarbeit gebildet werden, ohne daß eines oder bas andere Schaden leidet. Das Ergebnis solcher Experimente war entweder Erziehung zu Dilettantismus oder för perliche und geistige Ueberanstrengung. Darum ist es erstes Prinzip für die künftige Frauenberufsbildung, berufliche Gliederung zu fordern. Es werden, soweit auch in Zukunft mit der heutigen Berufsschichtung gerechnet werden kann, hauswirtschaftliche, landwirtschaft the, gewerbliche, kauf
Zuschriften sind zu richten an die Redaktion der Gletchheit. Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Amt Morisplat 147 40 Expedition: Berlin SW 68, Lindenstraße 3
männische, soziale und pädagogische Berufsschulen zu unterscheiden sein. Selbstverständlich ist innerhalb der genannten Gebiete noch eine weitere Spezialisierung, beispielsweise int Gewerbe in Schulen für die einzelnen Zweige des Handwerfs und der Industrie durchzuführen. Zumal in Großstädten ist einer möglichst weitgehenden Differenzierung im Interesse der fachwissenschaftlichen Vertiefung unbedingt das Wort zu reden. Dabei ist natürlich im Auge zu behalten, daß jede Anstalt ein Glied des großen organisch aufgebauten Schulkörpers bleibt, der oben gefordert wurde. Wir brauchen eine Organisation unseres Mädchenschulwesens, die den Befähigten den Aufstieg bis zu den höchsten Bildungsmöglich feiten ihres Berufszweiges ermöglicht. Der heutige Zustand ist treffend als ein System der Sackgassen gekennzeichnet wor den. Die begabtesten Schülerinnen der kaufmännischen Fortbildungsschule beispielsweise haben heute nicht die Möglich feit, auf Grund ihrer Berufskenntnisse in die höhere Sandelsschule oder gar in die Handelshochschule zu kommen, falls sie die dort verlangte Alle- meinbildung nicht nachweisen können. Gegenüber diesem Zustande muß verlangt werden, daß sich in jedem Berufszweige auf die Pflichtfortbildungsschule als Grundschule die weiterführenden mittleren und höheren Fachschulen in der Weise aufbauen, daß sie strebsamen und befähigten Schülerinnen den Uebergang in die nächst höhere Anstalt ohne weiteres gewährleisten. Wo dem Lücken in der Allgemeinbildung entgegenstehen, sind sie durch die Einrichtung wahlfreier Fortbildungskurse neben dem Fachunterricht zu beseitigen. Eine detaillierte Darstellung des Aufbaus für jeden Berufszweig würde über den Nahmen dieser Arbeit hinausgehen. Es sei hier auf eine Abhandlung der Verfasserin in Nr. 12 und 13 der Deutschen Fortbildungsschule", Jahrgang 1919, verwiesen:„ Frauenberufsbildung im neuen Deutschland ".
Die entworfene Sfizze wäre lückenhaft, wenn sie nicht auch einige richtunggebende Grundzüge für die innere und äußere Schulverwaltung enthielte. Bislang erfolgte die innere Schulorganisation nach dem Obrigkeitsprinzip. Jede Schule hatte ihren von der vorgesetzten Behörde ausgewählten und instruierten Direktor, der unbeschränkte Aufsichts- und Disziplinarbefugnisse besaß. Von einem Mitbestimmungsrecht der Lehrerschaft oder gar der Schülerschaft war nicht die Rede. Demgegenüber muß sich im Interesse von Schule, Lehrern und Schülern für die Zukunft der Grundjazz der Selbstverwaltung durchseßen. Zu diesem Zwecke sind in allen Fortbildungs- und Fachschulen Schülerräte und Schulgemeinden einzuführen. Die Schülerinnen unserer Fortbildungsschulen haben im Vergleich zu den Zöglingen der höheren Mädchenschulen, für die diese Forderung seit einiger Beit erfüllt ist, eine weit größere wirtschaftliche Selbständigkeit und Lebensreife. Ihre Organisation in Schulgemeinden ist also noch weit mehr begründet, als die der Schüler höherer Lehranstal ten. Für unsere werktätige Jugend bedeutet die Gewöhnung an Selbstverwaltung und verantwortliche Mitarbeit außerdent eine unschäzbare Vorschule für die Aufgaben, die ihnen das