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Die Gleich beit

gänzlich unerfahrenen, ungeschulten Mutter. Der wichtigste Ab­schnitt seiner Entwidlung lag in diesen Händen, stand also unter dem Zeichen einer ungeordneten, unwissenschaftlichen Denkungs­und Handlungsweise. Die Folge war die, daß die von der Wissen­schaft festgesetzten Regeln, die für die Ernährung, die Kleidung, die Wohnung, den Wechsel von Ruhe und Bewegung maßgebend find, weder gewürdigt noch vernünftig befolgt wurden. Die aus. schlaggebende Bedeutung, die Erde, Luft, Wasser, Licht für die Entwicklung des Menschen besitzen, die rechte Benußung dieser Elemente war den Müttern verborgen, und es wurde eine mangel. hafte oder auch verkehrte Anwendung von ihnen gemacht. So mußte die Entwicklung des Kindes zum Schaden für sein ganzes Leben unvollkommen bleiben. Und da die Mütter auch bei ihren Belehrungen diese Grundsätze nicht vertraten, so blieben Ver­ständnis und Interesse für diese Dinge unentwidelt, und was diese Menschen im späteren Leben dachten und schufen, verleugnete frag die Existenz obiger Regeln. Darin hat die Unnatur, Häuser von fünf Stockwerken mit Hinterhäusern dicht aneinander zu reihen, Schulen mit 70 Ten mitten in den tollsten Lärm der Verkehrs­straßen zu sehen, orei Turnstunden für eine ganze Woche der Körperkultur zuzuweisen, darin hat diese Unnatur ihren tiefsten Grund.

In den Werfen der Menschen tritt ihr wahrer Geist in die Erscheinung. Das steinerne Häusermeer Berlin offenbart einen Geist unnatürlicher Nücksichtslosigkeit gegen die Gesetze, die maß gebend find für die gesunde Entwidlung der Menschen unter den Einflüssen der Natur. Nur die allgemeine Unkenntnis und Gering­schätzung dieser Geseze erklärt im letzten Grunde das Entstehen einer solchen Stadt. Je höher sich hier die Kultur zu reden ver­sucht, um so schiefer wird das Gebilde, am so mehr droht der Bu­sammenbruch, weil das Minimum der Lebensmöglichkeit immer gestreift wird.

Die Verleugnung der Abhängigkeit von der Natur wird der Stultur zum schwersten Verhängnis. Die Aufklärung über die richtige Stellungnahme zur Natur, die Gewöhnung von Geburt an zum richtigen Gebrauch der Natur verbürgen einzig und allein die Möglichkeit, daß einst Denken und Wollen des ganzen Volkes eine gesundere Richtung erhalten. Die Mütter aber sind dazu berufen, das Fundament zu dieser Gesinnung zu legen. Darum erscheint es notwendig, bei ihrer Bildung das Hauptaugenmert darauf zu richten, daß sie den Menschen selbst und die Bedin­gungen, unter denen er sich gesund entwickeln kann, gründlich fennen lernen. Dadurch würde erreicht werden, daß sie die Kinder

Einst, bei Kinkels Gefangennahme im Juni 1849, hatte sich Malvidas Herz mit heißem Mitgefühl und tiefster Empö­rung erfüllt, und sie hatte in einem Brief an seine Frau ihren Gefühlen Ausdruck gegeben. Aus diesem Brief hatte sich eine lebhafte Korrespondenz entwickelt, und nun emp­fand sie mit Rührung, was die Vergütung ist für den bitte­ren Kelch des Erils, nämlich, daß Menschen, die sich vorher nie gesehen, sich augenblicklich als Kinder derselben geträum ten Heimat zueinandergehörig fühlen. Johanna Kinkel , die jelbst mit ihrer Familie in sehr beschränkten Verhältnissen leben und hart um das Dasein fämpfen mußte, half der Freundin mit Rat und Tat bei der Gründung einer neuen Existenz. Schwer litt Malvida, als sie erfuhr, wie ihre An­gehörigen außer sich geraten waren, als sie von ihrer Flucht hörten. Sie gelobte sich, daß diese so wenig als möglich von der dunklen Seite ihres Daseins erfahren sollten. Und die ersten Jahre ihres Aufenthalts in England wiesen fast mur dunkle Seiten auf. Unterstüßungen wollte sie von ihrer Familie nicht annehmen, denn bei ihrer vornehmen Ge­sinnung meinte fie, nur von denen dürfe man materielle Opfer empfangen, mit denen man sich in vollständiger Uebereinstimmung des Denkens und Handelns befinde. Eine Stelle als Erzieherin in einem englischen Hause wollte sie nicht annehmen, denn sie fürchtete das Leben in Heuche­lei, das sie dann hätte führen müssen. Daher entschloß sie sich zu dem so unendlich anstrengenden Beruf einer Privat­lehrerin, der in London doppelt ermüdend ist durch die wei­ten Entfernungen. Aber sie blieb doch ihr eigener Herr, fonnte ihre freien Stunden nach Belieben verwenden und ihrer Ueberzeugung treu bleiben. Durch Stinkels und ihre eigenen früheren Beziehungen wurde sie bald in den Streis der Emigranten aufgenommen, der sich in London aus Meu­

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den Gesetzen der Natur entsprechend aufzögen, also ein gesunderes Geschlecht heranbildeten, dadurch würde Interesse und Verständnis für eine Kulturentwicklung geweckt werden, die nicht törieht die Gefeße verleugnete, die der menschlichen Entwicklung gefekt sind.

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Aus der Frauenbewegung des Auslandes Dänemart. Erweiterung der Frauenrechte. Folkething wurde Donnerstag der Gejezesvorschlag, der den. Frauen Zugang zu staatlichen Etellungen erteilt, mit 73 gegen 15 Stimmen angenommen. Das Gesetz gestattet auch die Be­seßung von Priesterstellen durch Frauen.

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Die erste weibliche Abgeordnete im englischen Barlament Am 1. Dezember hielt Lady Astor als weibliche Abgeordnete ihren Einzug in das Unterhaus. Sie wurde bei einer Nachwahl im Distrift Sutton, Grafschaft Plymouth , mit 14 495 Stimmen gewählt, gegen 9292 Stimmen, die der Kandidat der Arbeiter­partei erzielte und 4339, die ein außerhalb des Regierungsblocks stehender liberaler Kandidat bekam. Die Mehrheit war also eine fehr geringe. Der Kreis wäre wohl zweifellos der Arbeiterparter zugefallen. Aber Ladh Astor hatte die denkbar günstigsten Um­stände für sich. Einmal, daß fie Frau war und zugleich die erste ernsthafte weibliche Kandidatin für das Unterhaus. Sodami erfreut sie sich wegen ihrer weit nach links gehenden sozialen An­fichten zweifellos großer Beliebtheit, besonders unter den weib­lichen Wählern. Zudem fandidierte sie in einem Kreise, dessen Mandat zuletzt in den Händen ihres Mannes, H. W. Astor, gewesen. Das Mandat war frei geworden durch den Eintritt W. Astors in das Oberhaus an Stelle seines verstorbenen Vaters. Endlich kam der Kandidatin auch die von der Koalition ausgehende moralische Unterstüßung zugute.

Nichtsdestoweniger scheint sie manche in ihren Kreifen auf sie gesetzten Hoffnungen zerstören zu wollen. Schon am ersten Tage stimmte sie mit Thomas, Henderson, Hugh Cecil und der Mehr­heit des Hauses gegen einen hart umstrittenen Antrag Bottomley auf Einführung einer staatlichen Prämienlotterie, mit Hilfe deren man 100 Millionen Pfund Sterling zugunsten der Staatskasse glaubte herausholen zu können.

Was die Astor als Parlamentsmitglied positiv leisten wird, muß man abwarten. Immerhin scheint die Gewählte neben ihrem

schen fast aller Nationen zusammensetzte, und, ohne eine führende Rolle zu spielen, erwarb sich Malvida durch die Art und Weise, wie sie ihr Schicksal trug, durch ihren weib­lichen Takt, ihre umfassende Bildung und ihre Herzensgüte unendlich viele Freunde. Sie lernte Mazzini, Kossuth, Gari­ baldi , Karl Schurz , Löwe- Calbe und viele andere Flücht­linge mit bekannten Namen kennen, und manche unter ihnen, die später die Fahne der Demokratie verleugneten, ließen dies damals noch nicht ahnen.

Immer vorwärts!

Von Hoffmann von Fallersleben Nicht betteln, nicht bitten, Nur mutig geftritten! Nie kämpft es fich fchlecht Für Freiheit und Recht! Und nimmer verzaget! Von neuem gewaget! Und mutig voran! Da zeigt fich der Mann. Wir wollen belachen Die Fetgen und Schwachen; wer steht wie ein held, Dem bleibet das Feld. Einit wird es fich wenden,

Einit muß es fich enden

Zu unserem Glück: Drum nimmer zurück!

( Fortsetzung folgt)