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Die Gleichheit
Außerdem fehlt es bei den Mädchen- Lese- und Diskussionsabenden gewöhnlich an der geeigneten Literatur. Ich möchte deshalb vorschlagen, regelmäßig etwa an jedem 2. Leseetwa an jedem 2. Leseoder Diskussionsabend- Artikel aus der„ Gleichheit" vorzulesen oder zu besprechen. Es wird einer älteren Genossin, die die Leitung übernimmt, nicht schwer werden, diejenigen Artikel regelmäßig herauszusuchen, die für die Mädchen besonders geeignet sind. Die Buchhandlung„ Vorwärts",( Verlag der„ Gleichheit"), Berlin SW., Lindenstr. 3, stellt für diesen Zweck auf Wunsch einige Nummern der„ Gleichheit" regelmäßig und kostenlos zur Verfügung.
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Diese Diskussionsabende sind so gedacht, baß je eine oder zwei Nummern der Gleichheit" vorher einigen Mädchen ausgehändigt werden. Diese Mädchen hätten dann an dem Diskussionsabend diejenigen Artikel dem Inhalt nach wiederzugeben oder vorzuTesen, die ihrer Ansicht nach für die Mädchen von Interesse sind. An jeden Artikel könnte dann eine Diskussion sich alle fnüpfen. An dem ersten Abend wird das aber auf diese Weise noch nicht gehen. Sondern zu diesem Abend wird die leitende Genossin( oder der Genosse) den Mädchen erst einmal zeigen müssen, wie die Sache eigentlich gemacht werden soll. Sie wird sich also erst einmal selbst eine oder mehrere Nummern vor= nehmen müssen und an dem ersten Abend selbst die geeigneten Artikel vorlesen, wiedergeben oder erzählen.
An einem Veispiel soll nun gezeigt werden, wie ein solcher erster Abend sich gestaltet.
Ich hatte mir Nummer 6 der„ Gleichheit" vorgenommen und stellte durch Fragen fest, daß man bei allen Artikeln bis auf eiren( Rußland und wir") bereits aus der Ueberschrift erTennen kann, daß sie für die Mädchen von Interesse sein werden. Bir fingen also von vorn an:„ Der Säuglingspflege- Unterricht in der Schule" und wurden uns rasch darüber einig, daß dieser Unterricht bitter notwendig ist. Nicht nur, weil jebes Mädchen einmal selbst Mutter werden kann( eine gute Gelegenheit, auf bie Mutterschaft als die egentliche Erfüllung der Frau hinzuweisen!), sondern weil die Mädchen oft schon während der Schulzeit ihre jüngeren Geschwister pflegen und beaufsichtigen müssen. Mit diesem Unterricht darf also nicht erst in ben Fortbildungsschulen angefangen werden.
Bei dem Artifel über„ Dre schuldhafte Uebertragung von GeSchicchtskrankheiten und das Gesetz" kam es erst zu einer leb. haften Unterhaltung über die Ansteckungsgefahren und AnStedungsmöglichkeiten selbst. G3 zeigte sich, daß einige Mädchen ganz gut unterrichtet waren. Ebenso bei der Frage der gesetzlichen Bestrafung und ber der Feststellung, daß Mann und Frau auch hierbei mit zweierlei Maß gemessen werden: daß bisher nur ein Teil der Frauen die Prostituierten zur Rechensajajt gezogen werden, went sie wissentlich ihre Krankheitsstoffe auf gesunde Menschen übertrugen.
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Die Frage Kinoschund" brauchte ich mirr kurz zu streifen, da wir über diesen Bunft regelmäßig Vorträge halten. Ich erinnerte nur daran, daß die Jugend auch hier in Berlin den Kinoschund scharf bekämpft und wies noch einmal auf unsere öffentliche Protestversammlung hin.
Auch das Thema„ Zur Religionsfrage" fonnte nur kurz behandelt werden. Darüber könnte man ja schon allein einen oder mehrere Abende diskutieren.
,, Rußland und wir." Bei dieser Ueberschrift weiß man natürlich nicht, ob der Artikel für die Mädchen von Interesse ist. Deshalb muß man sich solche Aufsäße erst etwas näher ansehen. Die Aussprache ergab dann, daß es uns durchaus nicht gleichgültig sein fann bei der Art und Weise, mit der uns die Entente zu unterdrücken sucht, ob wir mit Rußland als Freund oder Feind leben. Daß es auch die deutschen Frauen und Mädchen angeht, wenn Rußland und England m Asien um die englische Weltherrschaft fämpfen.
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Die Statistik( zahlenmäßige Aufstellung):„ Was unsere Bolfsschuljugend werden will", interessierte nämlich sehr. Besonders bie Zahlen über die Mädchen. Kann man doch aus solchen ,, trodenen" Zahlen einwandfrei erkennen, welche Neigungen und Anschauungen unsere weibliche Jugend hat.
Zum Schluß kanten wir dann auf die Artikel unter dem Strich" zu sprechen, auf den unterhaltenden Teil. Ich las die Hübsche Heine Erzählung ,, Von Neugeborenen, Bettern und Basen" vor, und wir sahen bann, daß auch hinter diefer rein unterhaltenden Erzählung ein ernster, wichtiger und wertvoller Gebanke stedt, in dem unseren Mütteru an einem Beispiel gezeigt
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wird, wie sie ihre Kinder aufklären sollen. Gerade an diese Erzählung knüpfte sich dann eine längere Aussprache über das Märchen vom Storch, und wieviel schöner es ist, und wieviel lieber wir unsere Mütter gewinnen, wenn sie uns nicht diese Märchen und Lügen auftischen, sondern uns die Wahrheit sagen würden.
Bereits dieser erste Abend hat gezeigt, daß uns die Artikel der ,, Gleichheit" eine Fülle von Anregungen geben, die zu den span nendsten Diskussionen und Debatten führen. Kurt Heilbut .
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Erwiderung
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In dem Auffah Beibehaltung der Frauenreferate" behauptete Frl. Dr. Lüders, daß ich in der„ Gleichheit" fordere, daß die Ausübung der Wohlfahrtspflege von der Selbstverwaltung ausgeben solle, und im Vorwärts" diese Aufgaben der Staatsverwaltung stelle. Sie schließt daraus, daß mir der Unterschied zwischen staatlicher und selbstverwaltender Provinzialverwaltung nicht klar sei.
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Zur Richtigstellung möchte ich bemerken, daß ich im Vorwärts" wörtlich geschrieben habe:„ Also nicht Frauenreferate bei den Selbstverwaltungsförpern, Provinz und Streis die kreisfrcien Städte sind ja meistens schon so weit-, sondern Armenpflege-, Tuberkulosefürsorge-, Wohnungsfürsorgereferate und bei der Beseizung ebenfalls wieder weitgehende Berücksichtigung der Frauen." Es ist mir also nicht eingefallen, im Vorwärts" in derselben Angelegenheit für die Zuständigkeit der Staatsbehörde" einzutreten, für die ich in der„ Gleichheit" die der Selbstverwaltung forderte. Ich habe dann allerdings im Vorwärts" hinzugefügt, das gleichenämlich die Gliederung der Wohlfahrtspflegereferate nach Sachgebieten und ihre Bejeßung mit Frauen, wo es das Arbeitsgebiet fordert, und sie in ihrer Schulung und Qualität dem männlichen Bewerber vorzuziehen sind, gelte auch für die Saatsbehörden, Oberpräsidien usw. Das lat ich, nicht etwa, weil ich die Funktionen der Staats- und Selbstverwaltungsorgane verwechselt hätte, sondern weil ich die Schaffung und Besetzung von Wohlfahrtspflegereferaten bei diesen mit weitgehenden Be. fugnissen ausgestatteten Organen der Staatsaufsicht über die Selbstverwaltungskörper, also auch über die Gemeinde-, Kreisund Provinzialwohlfahrtsämter für bedeutungsvoll halte. Auf Wunsch der Redaktion verzichte ich auf ein weiteres Eingehen auf die Ausführungen von Frl. Dr. Lüders.
Zur Religionsfrage*
Von M. Heimannsberg, Frankfurt a. M.
Dieser Artikel in Nr. 2 der„ Gleichheit" veranlaßt mich zu folgender Erwiderung, bei der ich seine einzelnen Punkte so gut es geht der Reihe nach erörtern will.
Die ersten Säße scheinen mir die wesentlichsten und bedeutungsvollsten zu sein.„ Religion ist Privatsache!" Dieser Saz im Erfurter Programm ist so eindeutig, so klar verständlich, daß er feines Kommentars bedarf.
Die Wahrnehmung der Verfasserin von einer sich immer mehr bemerkbar machenden Religions- und Kirchenfeindlichkeit innerhalb der Sozialdemokratie ist zweifellos richtig, ebenso ihre Meinung von der Schuld zahlreicher Vertreter der Kirche an dieser Tatsache.
Ja, das Verhalten der Kirche während des furchtbaren Krieges hat uns die Augen geöffnet. Der Krieg war die Belastungsprobe für die Kirche und mit ihr für die Religion.
Die Kirche hat diese Belastungsprobe nicht bestanden. Angefangen von den zehn Geboten des alten Testaments bis zu den Liebe, Güte, Verstehen und Verzeihen atmenden Heilsbotschaften eines Jesus von Nazareth stand ihr Verhalten im fraffesten Gegenjag zu ihren Lehren. Die Kirche, die stets eine Dienerin der tapitalistischen und imperialistischen Gesellschaftsordnung war, hat sich auch in jenen schrecklichen Jahren ganz diesen Mächten untergeordnet. Viele Die meisten ihrer Bertreter waren gefügige Werkzeuge der„ Obersten Heeresleitung". Im Namen Gottes, des liebenden Vaters aller Menschen, predigten sie Mord und Tod, Verwüstung und Vernichtung, im Namen der Religion machten sie
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Wie schließen hiermit die Diskussion über diese Fragen. D. N.