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Die Gleich beit

haben! Die Hauptsache ist der Kostenpunkt! Die Einführung der achtstündigen Arbeitszeit bedingt eine starke Vermehrung des Personals, und da dieses Personal nun auch noch zeit gemäße Löhne fordert eine noch stärfere Vermehrung der Kosten! Diese Kosten zu tragen, sind die Anstalten angeblich nicht in der Lage. Dies wäre der einzige Grund, den man bom Standpunkt des Unternehnters aus als berechtigt an­erfennen fönnie. Die rein fapitalistischen privaten Anstalts­besizer sorgen um ihren Verdienst, vielleicht um ihre Existenz! Das ist des Budels Kern! Und deshalb darf die Kranken­pflege nicht ihres humanitären, idealen Charakters beraubt", darf sie nicht zur Fabrikarbeit degradiert" werden! Ob die 300 000 Betten, die innerhalb Deutschlands   in den privaten und Wohltätigkeitsanstalten den Stranken zur Verfügung stehen, allen Anforderungen gerecht werden, die heute aus hygienischen und sanitären Gründen für die Aufnahme von Kranken geboten sind, dürfte noch sehr die Frage sein. Wenn ein Teil dieser Sanatorien" und" Kliniken" verschwindet, so dürfte das durchaus im Interesse der Kranken liegen. Die Gesundheitspflege ist eine öffentliche Angelegenheit; sie sollte dem privaten Unternehmertum soweit wie möglich entzogen werden. In dieser Frage darf der Kostenpunkt nicht die aus­schlaggebende Rolle spielen. Denn die Regierung hat nicht nur die Pflicht, für die Kranken zu sorgen, sondern auch die Aufgabe, Leben und Gesundheit derjenigen zu schützen, die mit der Pflege der Kranken betraut sind. Und gegen diese Pflicht ist bisher gröblich gejiindigt worden.

Marie Friedrich.

Jugendämter, eine Volkssache

I.

Der Nationalversammlung wird demnächst ein Entwurf eines Reichs- Jugendwohlfahrtsgesetzes zugehen, um die Be­bölferung in ihrer allgemeinen Notlage und die Jugend im besonderen zu schüßen.

Schon daß die Nationalversammlung bei ihrer Niesen­belastung an die Aufgabe der Jugendwohlfahrtspflege heran

Ein

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Feuilleton Richard Dehmel  

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getreten ist, beweist, wie notwendig es ist, daß die durch den Strieg jo starf verlorengegangene jugendliche Straft wieder aufgebaut werde. Der Krieg hat bligartig gezeigt, weich tiefe, soziale Not in unserer Jugend vorhanden ist. Die Jugendnot unseres Volkes ruft dringend nach Abhilfe. Dazu hat der Ge­burtenrückgang in Deutschland   schon vor dem Striege in be­denklichstem Maße eingesetzt. Bevölkerungspolitik und Jugendwohlfahrtspflege haben die Aufgabe, alles erzeugte Leben zu erhalten, zu gesunder Entwicklung zu führen, eine leistungsfähigere Jugend als die heutige heranzubilden. Es ist das große Ziel der öffentlichen Jugendfürsorge, das cr­zeugte Menschenleben bis zum Uebertritt in das Lebensalter des Erwachsenen förperlich, geistig und sittlich gesund und widerstandsfähig zu erhalten. Jugendfürsorge   umfaßt inner­halb der gesamten Erziehung nur einen bestimmten Aus­schnitt. Ihre Maßnahmen gelten nicht allen Kindern, sondern vor allem jenen, die in besonderem Maße erziehungsbedürftig sind, bei welchen die Erziehung durch Haus und Schule fast gänzlich oder teilweise verjagte. Da dies am häufigsten bei den unbemittelten Volksschichten, dem Heimatfreise sozialer Not, hervortritt, so erschien Jugendfürsorge   vielfach als Für­forge bemittelter Kreise für unbemittelte. Das führte zu einer gleichgültigen, vielfach sogar ablehnenden Haltung weiter Volkskreise. Die Haltung der Arbeiterfreise änderte sich je­doch allmählich mit zunehmender sachlicher Mitarbeit, nament­lich durch die Kinderschutzkommissionen der Gewerkschaftent und der sozialdemokratischen Partei. Kinder- und Jugend­fürsorge werden erst dann von echtem Leben erfüllt sein, wenn sie aus innerem Erkennen und Wolfen   Sache des ganzen Wolfe 3 geworden sind.

Am frühesten hat sich die Kinderfürsorge der armen Kinder angenommen. Die öffentliche Armenpflege erzieht im ganzen Deutschen Reich mehr als 300 000 Rinder, die völlig auf sie angewiesen sind. Die Fürsorge verschafft ihnen Nahrung, Kleidung, Obdach. Sie möchten ihnen die eigene Familie er­setzen, indem sie sie in fremden, sorgfältig ausgesuchten Fami­lien unterbringt. Auch die Tätigkeit der Fürsorge ist mannig­faltiger und verzweigter geworden. Säuglinge und Kinder in

aus an die gesamte Deffentlichkeit gerichtet ist( er wurde erst nach seinem Tode veröffentlicht), gibt er fund, daß er im Grunde seines Herzens den Krieg verabscheute, doch in der Stunde der Gefahr sein Vaterland nicht verlassen wollte. Es ist der Zwiespalt des internationalen Denters und des leiden­schaftlichen Tatmenschen, der ihn erfüllte und im Handeln Doktrinäre des Wortes hat

Sin Dichter ist von uns gegangen. Wenn wir zu seinem Vermächtnis, seinen längst bekannten Gedichten greifen, beeinflußte. Weite Kreise

um uns in sie wieder und wieder zu vertiefen, so spüren wir, daß wohl der Mensch gehen konnte, daß aber seine Werke bleiben werden.

Richard Dehmel   ist 1863 in einem Forsthaus im Walde in der Mark Brandenburg, in der Nähe von Wendisch- Herms­dorf geboren. Dort verbrachte er seine Kinderjahre, bis er das Gymnasium zu Danzig   besuchte. Nach absolviertem Eramen bezog er die Universität Berlin und studierte haupt­sächlich Philosophie. Ein Freundeskreis gleichgesinnter Feuer­töpfe zog ihn schon damals in ihren anregenden Bann. Nach den Universitätsstudien war er als Beamter in einer Ber­ficherungsgesellschaft tätig, und gerade in dieser Zeit reifte seine dichterische Fähigkeit zur vollsten Blüte. Es gelang ihm, feine Verbindlichkeiten der Versicherung gegenüber zu lösen, und er zog sich dann nach Hamburg- Blankenese   zurück, um feinem innersten Dichterberuf zu folgen. Als der Krieg aus­brach, stellte der damals Fünfzigjährige sich als Kriegsfrei­williger. Und draußen im Felde holte er sich den Todeskeim, der ihn im Februar dieses Jahres dahinraffte.

Dehmei ist in erster Linie Lyriker. Sein Werk umfaßt Liebeslieder, Volkslieder, Lieder der Arbeit und der inter­nationalen Menschheitsverbrüderung. Er wußte und empfand, daß die Kraft und Zukunft im Schoße des Volkes und auch unseres Volfes ruht. In einem Brief an Professor Ritolai, der gleichzeitig an Romain Rolland   und darüber hin

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er sich dadurch zu Gegnern gemacht.

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Etwas unendlich Schönes und Großes ist sein Epos: Zwet Menschen". Der Arbeiterschaft schenkte er das gewaltige, brau sende Erntelied" und das trußigsehnsuchtsvolle: Der Ar­ beitsmann  ". Else Scheuer Insel

Der Arbeitsmann

Wir haben ein Bett, wir haben ein Sind, mein Weib! Wir haben auch Arbeit, und gar zu zweit

Und haben die Sonne und Regen und Wind, Und uns fehlt nur eine Kleinigkeit, Um so frei zu sein, wie die Vögel sind: Nur Beit.

Wenn wir Sonntags durch die Felder gehn, mein Kind, Und über den Wehren weit und breit

Das blaue Schwalbenvolk blitzen sehn, O, dann fehlt uns nicht das bißchen Kleib, Um so schön zu sein, wie die Vögel sind: Nur Zeit.

Nur Zeit, wir wittern Gewitterwind, wir Bolt. Nur eine fleine Ewigkeit;

Una fehlt ja nichts, mein Weib, mein Kind, Als all das, was durch uns gebeilyt, Um so kühn zu sein, wie die Vögel sind: Nur Zeit.