94
Unsere Wohnungsnot
Die Gleich beit
Wo fand ich denn kürzlich die Worte Cäsar Fleischlens: Ihr blickt so müde, so abgesorgt und freudlos! Seid jung.... und froh!
Wir müssen jung sein, wenn wir siegen wollen und froh
und start, und der Troß darf uns nicht müde machen! Jugend tut not! und Freude!
der ganzen Zeit, der ganzen Welt! Ach!.... und nur Jugend
und nur Freude
fiegt!
Ist eine unter uns, die diesen Worten nicht von ganzem Herzen zustimmt? Wie aber wollen und können wir diese Jugend, auf die wir unsere ganze Hoffnung setzen, heranziehen in dumpfen, engen Wohnungen? Stets haben wir erkannt, daß eine Pflanze zu ihrer gesunden Entwicklung Licht, Naim, Wärme, Luft gebraucht! Unsere köstlichsten Pflanzen sind die jungen Menschenfinder! Deshalb haben wir im Frieden den erbitterten Kampf geführt für eine durchgreifende Wohnungsreform. Da mals hätte man sie spielend durchführen können; damals gab es Kreise, die ihre Notwendigkeit nicht erkannten. Wir aber hatten nicht die Macht. Jetzt haben wir die Macht... und mun? Nun fehlt es uns an allem Notwendigen. Deutschland ist ja so arm; arm an Geld, arm an allen Mitteln. Es ist schwer, ein besiegtes Volk zu sein, unendlich schwer!
Das waren die Gedanken, mit der ich die Tagung des Deutschen Wohnungsausschusses verließ. Doch wir müssen den Dingen fest in die Augen sehen, und dann suchen, sie zu meistern. Das ist unsere Aufgabe in dieser Zeit!
Die Regierung fämpft seit mehr als einem Jahr gegen die Wohnungsnot an. Durch eine Reihe von Verordnungen hat sie es verstanden, wenigstens der ärgsten Uebervorteilung der Mieter seitens der Vermieter zu steuern. Das aber genügt nicht; wir brauchen eine rege Bautätigkeit. Im Frieden wurden jährlich zirka zweihunderttausend Wohnungen in Deutschland neu ge= baut; im vorigen Jahre sind höchstens dreißig- bis vierzigtausend erstanden. Auf eine Nachfrage von zwanzigtausend Wohnungen fam in Berlin ein Angebot von 200 Zimmern. Das ist ein Kleiner Einblick in die Notlage. Wie aber für diese Bautätig feit die Mittel beschaffen? Das war auch die große Sorge, die auf der Tagung des Deutschen Wohnungsausschusses, der sich zum Ziele gesetzt hat, die große und für die Zukunft unseres Boltes so entscheidende Sache der Wohnungs- und Siedlungsreform durch Zusammenlegung und Ergänzung der Kräfte der einzelnen auf diesem Gebiete tätigen Organisationen nach Möglichkeit zu fördern", zum Ausdruck kam.
Als Redner waren Herr Oberbaurat Thalenhorst- Bremen sowie Herr Oberregierungsrat Dr. Rusch- Dresden erschienen. Während ersterer über Bedarf und Dedung, Notlage und Abhilfe" sprach, behandelte der zweite Vortrag die Aufbringung der Mittel für die Baukostenzuschüsse".
Beide Vorträge brachten viel interessantes Material, aber sie zeigten auch die ganzen Schwierigkeiten, die zu überwinden sind. Wie bei all unseren wirtschaftlichen Fragen ging wie ein roter Faden durch diese Vorträge, besonders den ersten, die Erkenntnis: Wir brauchen Kohle. Haben wir Noble genug, fönnen unsere Ziegel, unsere Kalkbrennereien in volle Tätigkeit gesetzt werden; haben wir Kohle genug, fönnen wir ausführen und dadurch Mittel für weitere Aufgaben erhalten. Dazu aber ist eine Vorbedingung die Ansiedlung weiterer Arbeitermassen in den Kohlengebieten. Dafür brauchen wir wiederum neue Häuser. 150 000 Arbeiter sollen im Ruhrgebiet eingestellt werden; das bedeutet die Ansiedlung von vielleicht 600 000 Menschen. Wohnungen für sie müssen und sollen gebaut werden. Die Mittel bazu werden zur Verfügung gestellt. Darüber darf natürlich das übrige Deutschland nicht vergessen werden.
Außer der Neubautätigkeit muß noch mehr als schon jetzt die Ausnutzung aller Wohnräume vorgenommen werden, natürlich nicht in unseren schon so beschränkten Arbeiterwohnungen. Es gibt noch eine Klasse von Menschen, die auch hier Ueberfluß haben!
Nun aber die schwierigste Frage: Die Aufbringung der Mittel. Soweit das Reich eine Baukostenüberteuerung zahlt, gibt es 12 000 Mt. für die einzelne Wohnung unter der Bedingung, daß die Gemeinde sich mit einem Drittel dieser Summe, also
Nr. 1
4000 M., ebenfalls beteiligt. Diese Beträge genügen heute bel weitem nicht mehr. Herr Rusch will deshalb eine Wohnungs abgabe erheben von den Inhabern alter Wohnungen; er nimmt hierfür einen Satz von 15 Proz. in Aussicht.
Herr Unterstaatssekretär Scheidt, der seitens der Regierung an der Sibung teilnahm, wies auf die Notwendigkeit der Verwendung von Ersatzbaustoffen, vor allem Holz und Lehm, hin. Es kann auch in 1920 mit feiner größeren Ziegelproduktion als in 1919 gerechnet werden. Zu der Frage der Kostendedung bestätigle er, daß selbstverständlich eine Abgabe, wie sie von Herrn Rusch ge= fordert wurde, wenn sie überhaupt eingeführt werden fönne; nicht in die allgemeine Steuerfasse fließen dürfe, sondern für die Zwecke der Bautätigkeit Verwendung finden müsse.
Der Diskussionsredner, der die Möglichkeit einer Erhebung einer derartigen Abgabe außer allen anderen Steuerlasten anzweifelte, dürfte jedoch recht haben. Die Belastung des Voltes hat eben auch eine Grenge. Andere Wege müssen gesucht, und sie werden gefunden werden, wenn es uns gelingt, die schwere wirtschaftliche Krise unserer Zeit zu überwinden. Das hängt aber von der Entente, es hängt weiter ab bon dem Gesundungsprozeß unseres Volfes.
Kurz nach der genannten Tagung hatte ich Gelegenheit, bei uns in Akena die neu erstandene und noch im Entstehen begriffene Solonie des Gemeinnüßigen Bauvereins zu besichtigen. Das sind Häuser, wie wir sie unserer Arbeiterschaft, wie wir fie unserer Jugend wünschen. Nicht die licht- und luftarmen Mietfajernen, sondern Wohnungen, eines freien Volkes würdig! Zwar ein geschlagenes Volf muß seine Stulturbedürfnisse eing schränken; aber das Ziel im Auge behalten, ist unsere Aufgabel Louise Schroeder .
Aus der Frauenbewegung des Auslandes
die blinde, taube, stumme Amerifanerin, die mit eiserner Willens. traft sich gegen ihr Schicksal zu behaupten vermochte, hat, wig der Verlag Rob. Lub, Stuttgart , bekanntgibt ,,, für alle Zeiten" auf alle ihre Einfünße aus der deutschen Ausgabe ihrer Schriften zugunsten der deutschen Kriegsblinden, tauben und stummen verzichtet.
*
Das Frauenstimmrecht in England
Die von der Arbeiterpartei eingebrachte Gesetzesvorlage, die das Stimmrecht der Frauen in derselben Weise regelt wie bei der Männern, wurde im Unterhause in zweiter Lesung einstimmig angenommen. Die Gesetzesvorlage setzt die Altersgrenze für Frauen von 30 auf 21 Jahre herab und gibt damit 5 Millioner Frauen das Stimmrecht.
*
Die Kammer nahm mit 120 gegen 37 Stimmen den ersten Are tikel eines Gesetzentwurfs an, welcher allen belgischen Bürgern ohne Unterschied des Geschlechts das Wahlrecht für die Gemeinde. wahlen verleiht.
*
Das Frauenstimmrecht in Amerika
Wie die Pariser Blätter melden, hat das Parlament des Staates Oklahama das Frauenstimmrecht eingeführt. Es ist dies der 35. Einzelstaat der Vereinigten Staaten , der dies beschließt. Drei viertel der Union , also 36 Einzelstaaten, sind erforderlich, um eine Revision der Bundesverfassung bzw. die Hinzufügung eines neuen Paragraphen herbeizuführen, so daß anzunehmen ist, daß die amerikanischen Frauen bei der nächsten Präsidentschaftswahl im November mitstimmen werden.
Aus unserer Bewegung
Mutterschaftsversicherung
Die sozialdemokratische Frauengruppe Neu- Ulm hielt am Sonn tag, den 1. Februar, ihre Monatsversammlung ab. Angeregt durch die in zwei früheren Versammlungen behandelten Lebenserinne rungen der Genoffin Lily Braun war das Thema„ Mutterschaft Se versicherung" gewählt worden. Ms Referent ließ sich in dankenswer ter Weise der im Versicherungswesen erfahrere Genoffe Glasbrenner