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Die Gleich beit
Wenn aber eine stärkere politische Anteilnahme der Frauen erreicht werden soll, so muß schon die Erziehung der Mädchen eine entsprechende sein. Unsere Arbeiterjugendvereine versuchen awar, ganz ebenso wie den Burschen, auch den Mädchen die Anfangsgründe von Staatsbürgerfunde, Volkswirtschaft ,. Geschichte usw. zu lehren. Der Erziehung der Mädchen dienen sogar noch besondere Mädchenabende. Trotz alledem müssen wir aber auch da die gleichen Erfahrungen machen wie in der Partei. Die Be teiligung der weiblichen Jugend ist viel geringer als die der männlichen, und verschwindend gering ist die Zahl derjenigen, die ein Amt oder irgendeine Funktion ausüben. Die Behauptung, daß die Mädchen viel lieber zum Vergnügen und Tanz gehen, anstatt ernste Bildungsarbeit zu treiben, trifft wohl nur zum Teil zu; denn schließlich gilt ganz dasselbe auch für unsere ButJchen. Der Grund des geringeren Interesses an der politischen Aufklärungsarbeit liegt tiefer. Wenn der Junge aus der Fabrik, dem Kontor, der Werkstatt kommt, so tann er meist seine freie - leider! fein Zeit verbringen wie er will; oft fümmert sich Mensch um ihn. Anders beim Mädchen. Sie wird fast immer nach ihrer Werktagsarbeit noch zu häuslicher Betätigung herangezogen, obwohl auch fie andere, oft genug wertvolle Interessen hat, gern einen Vortrag hören, eine bildende Aussprache mit fortgeschrittenen Altersgenoffinnen haben und mit ihnen einmal Aber die Mutter leidets nicht( oft genug luftig sein möchte. ist auch der Vater dagegen) und so entzieht mütterlicher, elterlicher Egoismus der Tochter, was beider Eltern Gleichgültigkeit dem Sohne gewährt. Wie ist bei alledem an eine stärkere Betätigung im Arbeiterjugendverein zu denken?
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Wie häufig gerade ist der Geist unserer Besten mißhandelt wor den. Sie wollten heraus aus geistiger Enge, versuchten es, sich zu Hause durchzusetzen. Die Folge war Zank und Streit, bis sie dann schließlich entmutigt den Kampf aufgaben. An Euch. Ihr Mütter, ist es, Eure Töchter verstehen zu lernen; gebt ihnen freie Zeit für ihre Bildung und Vervollkommnung. Laßt ihre geistigen Fähigkeiten und Anlagen nicht verffmmern, sonst verfündigt Ihr Euch am heranwachsenden Geschlecht.
◊ Wandern!
Hans Turß.
Wieder einmal ist es Sommer! In den Menschen ist ein neues Leben und Streben. Vor allen Dingen hat aber die Natur bei der Jugend seinen Wedruf erschallen lassen: Hinaus, dem Lenz entgegen!" Leider folgen dem Ruse nur wenige. Immer und immer wieder fann man von vielen Jugendlichen hören: Ich
Mit dem Wagen, den uns die städtische Straßenbahn zur Verfügung gestellt hat, fönnen wir nur bis zur Haltestelle Fallenstein- Ecke Schlesische Straße fahren. Von dort ist's für ein auf den Beinen schwaches Kind bis zur Harzerstraße noch recht weit. Meine Schwester trägt das größere schwere Paket des Kindes, ich zwei kleinere und führe dazu das Mädchen an meiner Hand Durch stoßende Bewegungen sucht der freie Arm den schwachen Beinen nachzuhelfen. Das Kind feucht vor Anstrengung. Aber endlich haben wir es doch geschafft. Wir sind angelangt vor einer Notstandswohnung- in einem Laden. Auf unser Klopfen melden fich sofort die Geschwister. Sie können vorn nicht öffnen, da die Mutter den Ladenschlüssel mit hat. Glücklicherweise ist die Haustür schon geöffnet, so daß wir über den Hinterkorridor hineingelassen werden können. Drinnen bietet sich uns ein troftlofer Anblid.
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Im feuchtfalten Ladenraum liegen je zu zweien in einem Bettgeftell die vier Geschwister. Die beiden Jüngsten, ein zweijähriger Knabe und ein vierjähriges Mädchen schlafen während der ganzen Beit, in der wir uns im Raume aufhalten, mit dem zufriedenen Gesichtsausdruck der unbewußten Kreatur. Alle Kinder haben frostfranke Hände und Füße. Im Ofen hat während des ganzen inters noch fein wärmendes Feuer gebrannt. Die Feuchtigkeit der Wände hat entweder die Tapete ganz aufgezehrt oder losgelöst oder ihr wunderliche Figuren ausgezeichnet. Die Bettenfind unbezogen. Aus allen Ecken grinst das Elend und doch gedeiht hier warme Geschwisterliebe.
Mit rührender Herzlichkeit begrüßen sich die Geschwister. ,, Liesing , hast du Lederstiefel?" Das ist die erste Frage des wölfjährigen Bruders, bezeichnend für die Größe unserer m teriellen Not. Glückstrahlend bejaht Liesing die Frage.„ Du hast Sie doch gar nicht an!" meinte zweifelnd der Bruder. Denkst du. ich werde sie mir gleich auf der Reise verderben?" erwidert die
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darf die Wanderung nicht mitmachen, meine Mutter, will es nicht." Und warum will die Mutter nicht? Weil sie befürchtet, daß ihre Tochter oder ihr Sohn schon wieder einem neuen Verein beitreten will. Das ist gar nicht der Fall. Warum sind wir denn in der Arbeiterjugend"? Hat sie nicht auf ihr Banner die körperliche Ertüchtigung der gesamten Jugend" geschrieben? Können wir nicht durch eine Wanderung unseren Körper fräse tigen? Wolfen wir uns doch Goethe anschließen, der bis zu seinem 82. Lebensjahr noch ein rüstiger Wanderer war, und der jagt:„ Die frische Luft des freien Feldes ist der eigentlichste Ort, wo wir hingehören." Ferner äußert er sich über das Wandern: ,, Und frische Nahrung, frisches Blut
saug ich aus freier Welt.
Bie ist die Natur so hold und gut,
Die mich am Bujen hält."
Sollten wir seinen Worten nicht trauen? Sicherlich! Gerade wir, die wir in der Arbeiterjugend" sind, haben uns so große Aufgaben gestellt, die wir nur in enger Berührung mit der Natur erfüllen können. Sollten wir da feine Unterstüßung bei unseren Genojsinnen finden? Sicherlich auch! Die Gesundheit der Jugend und somit des ganzen Volkes tann nur dadurch gehoben werden, daß wir wieder die alte schöne Eitte unseres Genofsinnen, deutschen Voltes, das Wandern" aufnehmen. Mütter, erkennen Sie, daß es für ihre Kinder nichts Schöneres geben kann als eine schöne Wanderung. Ist eine Wanderung nicht ein schönes und harmloses Vergnügen? Ist sie nicht besser und vor allen Dingen der Gesundheit dienlicher als das Kino oder der Tanzboden? Die Mütter sollten daher in Zukunft die Teilnahme an Wanderungen des Vereins„ Arbeiterjugend" ihren Kindern gestatten und daran denken, daß die Gesundheit Und wenn ihrer Kinder seelisch und körperlich gefördert wird. wir dann alle zusammen hinauswandern, dann fönnen wir uns mit Gottfried Keller einig fühlen, der sagt:
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält. von dem goldnen Ueberfluß der Welt."
Günther Felgentreu.
Der Fraueneinfluß bei den Wahlen
Schon ehe an die Möglichkeit der Verwirklichung des Frauenftimmrechts gedacht werden fonnte, hat man darauf hingewiesen, wie qusschlaggebend der Fraueneinfluß fein würde, wenn die Forderung des Frauenstimmrechts durchgesetzt würde. Eine Statistik über die Wahlbeteiligung der Frauen im allgemeinen
Meine. Nein, fie hat sie geschont, obwohl ihren schwachen Beinen die Reise in den Lederschuhen weit leichter gefallen wäre als in den schweren Holzschuhen, die ihr die städtische Armenverwaltung bei der Ausreise gab.
Ich entkleide das Kind. Ter fleine Körper ist von der Anstrengung naß geschwißt. Es ist kein Nachtzeug vorhanden. Damit die Arme bededt bleiben, muß ich sie mit dem Trifot ins Bett legen. Zu Füßen der zwei Geschwister in der einen Bettstelle ift für sie ein Kopffiffen bereit gelegt. Der fleine gefrümmte Körper ist in seiner Ausstreckungsmöglichkeit auch noch durch die Geschwister beschränkt. Die Kinder sind duldjam und freundlich zueinander, decken sich fürsorglich gegenseitig mit dem dürftigen Bettzeug zu. Das ist der letzte einzig schöne Eindruck, den ich aus diesem Raum mitnehme.
Nachmittags treffe ich mit der dänischen Genossin Müller aus Kopenhagen , die den Transport mit begleitet hat, zusammen. Noch ganz unter dem Eindruck meines nächtlichen Erlebnisses, erzähle ich ihr davon. Die Genossin hot vom Kopenhagener Komitee den Auftrag erhalten, besondere Notfälle an Ort und Stelle zu studieren und in Fällen wie dem vorlienenden, gleich wieder ein Kind aus der Familie mit herüber nach Dänemark zu bringen. Auf ihren Wunsch führe ich sie sofort zu der Familie.
Wir treffen nun auch die Mutter an. Sie ist erst gegen acht Uhr morgens bei ihren Kindern angelangt und hat bis furz vor unserem Besuch noch im Veit gelegen. Die Strapazen der Nacht haben sie sichtlich mitgenommen.
Nun erst gewinne ich einen tieferen Einblick in das Elend der Familie. 68 MI. Einkommen die Woche hat die Witwe, deren Rentenangelegenheit noch nicht geregelt ist 61 MI. gehen schon ollein für Prot. Milch und Fett drauf. Sinanverdienen fann die Frau infolge ihres Herzleidens nichts. Die Kleidung der Kinder