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Die Gleich beit

Nr. 47

Sehr erfreulich ist, daß der Entwurf einer alten Forderung Zur Ausgestaltung der Reichswochen­

armenpflegerischer Kreise nachkommt und den Grundsatz des Unterstüßungswohnfiges fallen läßt. An seine Stelle foll der gewöhnliche Aufenthaltsort des Jugendlichen treten. Zunächst hat das Jugendamt des Ortes, an dem die Hilfs bedürftigkeit eintritt, die Unterstützung zu leisten. Sie ist zu erstatten durch das Jugendamt des Ortes, an dem der Hilfsbedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Leider hat man aber an der alten Bestimmung des Gesetzes über den Unterstützungswohnsiz festgehalten, demzufolge das zur Erstattung der Kosten verpflichtete Jugendamt die Ueber­führung des Hilfsbedürftigen in feine unmittelbare Fürsorge berlangen kann. Wer die Braris fennt, weiß, daß diese Ueberführung meist aus Sparsamkeitsrücksichten erfolgt, häufig zum Schaden des Jugendlichen. Deshalb müßte diefe Bestimmung unter allen Umständen fallen. Ueberhaupt läßt die ganze Art der Kostenregelung im Entwurf noch allzusehr die Möglichkeit zu, daß der zu Unterstützende hin- und her­geschoben bzw. abgeschoben wird. Das ist gerade heute das Unglück, unter dem besonders die unehelichen Kinder leiden. Genoffe Caspary machte in Kassel   den Vorschlag, einen Reichsvorschuß zur Unterstübung einzuführen, und es ist sehr wahrscheinlich, daß man auf diesem Wege weiterkommt.

Erfreulich ist, daß die Mitwirkung des Jugendamtes bei der Jugendhilfe bei Gerichts- und Polizeibehörden vorgesehen ist und daß ihm ein Einfluß auf öffentliche und private Anstalten gewahrt bleibt. Dadurch kann Mißständen insbesondere in den Fürsorgeerziehungsanstalten entgegengearbeitet werden. Auch daß das Jugendamt Gemeindewailenrat ist und in einer Reihe von Fällen Funktionen der Vormundschaftsgerichte übernimmt, dürfte eine günstige Wirkung haben.

In die örtlichen Jugendämter sollen als Mitglieder in der Jugendwohlfahrt erfahrene und bewährte Männer und Frauen aller Bevölkerungskreise berufen werden.

Hoffentlich wird es nicht allzulange dauern, bis das Ju gendwohlfahrtsgesetz geschaffen wird, und möge es wirklich auch den Stempel sozialen Geistes tragen, damit den Hilf lofesten mehr geholfen wird als bisher. Auch uns Frauen werden dann neue Aufgaben erwachsen.

Gräber

( Den Toten des Weltkriegs)

Viel kleine Hügel im herbftlichen Land... Der Wind pfeift drüber und kräufelt den Sand, Zwei dürre Stecken, zum Kreuz verfchränkt, Ein бelm, ein Käppi daraufgehängt Und druntergekritzelt mit Tintenblei  : Franzolen

lieben und Deutſche

-

drei".

So Ichläft, fern der Heimat, verlaffen und ftumm, Das felbitvergeffene бeldentum.

Was kündet von ihnen und ihrer Tat?-

Zebn Zeilen bezahltes Inierat,

Ein plattes Wort in den Zeitungsfpalten

Von der Pflicht und der Treue, die fie gehalten?-

O nein! Denn die taufend Kinder und Frau'n

Die vergrämt nach den Totenbügeln ſchau'n,

Sie willen und keins von ihnen vergißt,

Was alles bier unten begraben ist.

Und willst du erfahren, wie viele es find:

Frage den Wind!

Den Wind, der über die Gräber jagt,

Der nichts nach deutích, nach franzöfifch fragt.

-

Da er fchluchzt an dem hölzernen Kreuz vorbei:

Franzolen fieben und Deutsche drei". Kari Bröger.

hilfe

Von Helmut Lehmann, Dresden  .

In Nr. 41/42 der Gleichheit" beschäftigt sich die Genossin Lutse Schroeder mit der Ausgestaltung der Mutterschaftsfürsorge. In der Tat enthält die jetzige Wochenhilfe, wie sie durch das Gesetz vom 30. April 1920 neugestaltet worden ist, eine Anzahl Lücken, die dringend der Ausfüllung bedürfen. Sowohl der Kreis der von der Fürsorge Erfaßten, wie der Umfang der Leistungen ent spricht nicht allen berechtigten Anforderungen.

Bekanntlich zerfällt die Wochenhilfe in drei Gruppen. An­spruchsberechtigt sind:

1. Wöchnerinnen, die im letzten Jahre vor der Entbindung sechs Monate frankenversichert gewesen sind,

2. Wöchnerinnen, deren Ehemann oder Vater im letzten Jahre vor der Entbindung sechs Monate frankenversichert gewesen ist, 3. minderbemittelte Wöchnerinnen, die an die Krankenver ficherung keinen Anspruch gaben. Dabei wird als minder bemittelt eine Wöchnerin angesehen, wenn ihr und ihres Ghe mannes Gesamteinkommen, oder, sofern sie allein steht, the eigenes Einkommen in dem Jahre vor der Entbindung den Be. trag von 4000 Mr. nicht überstiegen hat. Nicht unter die Für forge fallen also Wöchnerinnen oder Familien, die ein höheres Einkommen haben und diejenigen, die zwar in frankenver­ficherungspflichtiger Beschäftigung stehen, aber von der Ver­ficherungspflicht befreit sind. Zu den letzteren gehören vornehm lich alle in öffentlichem Dienst stehenden Beamten. Diese er. halten im Krankheitsfall das Gehalt auf die Dauer von seche Monaten weitergezahlt und sind daher von der Krankenver­ficherungspflicht befreit. Unter den heutigen Verhältnissen ist bei den Beamten das Gehalt nicht zureichend, um im Krank heitsfalle Arznei- und Aratkosten zu tragen. Vor allem aber hat diese Befreiung die Wirkung, daß die Leistungen der Wochen­hilfe den Beamtenfamilien nicht zugute fommen. Sie würden fie nur dann erhalten, wenn sie als Minderbemittelte gelten. Da aber zurzeit kein Beamter ein Einkommen von 4000 Mt. und weniger hat, kommt diese Wochenfürsorge praktisch für die Beamten nicht in Frage.

Weiter wäre zu prüfen, ob derjenige, der ein Jahreseinkommen von mehr als 4000 Mr. Hat, nicht mehr als Minderbemittelter angesehen werden kann. Bei der heutigen Entwertung des Geldes muß das bezweifelt werden. Die Einkommensgrenze müßte zum mindesten verdoppelt werden.

Nicht von der Wochenfürsorge erfaßt werden sodann die Selb  ständigen, sowohl die Gewerbetreibenden wie die freien Berufe Die Wochenhilfe müßte infolgedessen dahin erweitert werden, daß alle, die wirtschaftlich der großen Masse der krankenversicherten Bevölkerung gleichstehen, der Fürsorge zu unterstellen wären.

Die Forderungen derjenigen, die eine allgemeine Mutterschafts­bersicherung befürworten, gehen aber wesentlich weiter. Sie wollen die gesamte Bevölkerung der Versicherung unterstellen, wo. bei wohl in der Hauptsache der Gedanke maßgebend ist, diese Kreise zur Beitragsleistung heranzuziehen. Der Gedanke einer folchen allgemeinen Mutterschaftsversicherung muß jedoch aus rein praktischen Erwägungen abgelehnt werden. Es liegt gar keine Veranlassung vor, eine besondere Versicherungsorganisation neben der Krankenversicherung aufzurichten, da die Krankenversicherung mindestens 75 Proz. aller für die Wochenhilfe in Betracht kom menden Kreise erfaßt. Dabei muß zu der grundsätzlichen Frage Stellung genommen werden, ob die Sozialversicherung auch Kreise erfassen soll, die nicht zu den wirtschaftlichen schwachen gehören. Bei der heutigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schichtung der Bevölkerung muß das grundsätzlich verneint werden. Die Sozialversicherung hat nur dann einen Sinn, wenn ihre Leistungen nicht auf anderem Wege besser erworben werden fönnen. Es ist ganz klar, daß die Frauen der wohlhabenden Schichten sich infolge ihrer reichen Mittel eine wesentlich bessere Wochenfürsorge angedeihen laffen können, als dies durch die Wochenhilfe der Krankenversicherung möglich ist. Daher soll man diese Schichten nicht in die Versicherung einbeziehen. Wohl aber Bann man sie zu den Lasten der Sozialversicherung heranziehen. Dieser Gedanke ist auch in dem neuen Wochenhilfegeseh, wenn auch nicht völlig, verwirklicht. Dadurch, daß das Reich die Hälfte Der Kosten der Familienwochenhilfe und die Gesamtkosten der Wochenfürsorge an Minderbemittelte trägt, sind auch die wohl habenden Schichten auf dem Wege der Steuergesepoebung ge