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Die Gleich beit
Briefe über Kindererziehung
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XII.
Der liebe Gott" ist also da, und man kann wirklich nicht behaupten, daß er dem Kinde, wenn es einmal seine Bekanntschaft gemacht hat, gleichgültig wäre. Gewiß tönnte man aber überhaupt rein aus pädagogischen Gründen die Frage aufwerfen, ob seine Einführung in die Gedanken-, Gefühls- und Willenswelt des Kindes zu empfehlen wäre, und daran die Unterfrage fnüpfen, wann und wie das geschehen sollte- wenn uns nicht unsere Umwelt diese ganze Ueberlegung ersparte einfach dadurch, daß sie absichtlich und unabsichtlich schon mit einem unwillkürlich entschlüpften„ Gott sei Dant!" oder„ Gottbewahre" die hohe Bekanntschaft vermittelt. Es leuchtet ein, daß dabei der Ton, in dem von Gott gesprochen wird, mindestens ebenso schwer in die Wagschale fällt, als der Begriff, der mit dem Worte verbunden ist. Der Ton fann Schauer an. dächtiger Ehrfurcht weden, mit zutraulicher Liebe locken oder Furcht und Schrecken vor dem zürnenden Unsichtbaren einflößen, aber auch bloß elterliche Unwissenheit verraten und schließlich ein völlig leerer Wortklang bleiben. Der Gottesbegriff selbst vermag bald einen ungeheuren Reichtum scheinbar positiven Wissens von feinem Wefen als Urheber, Schöpfer, Erhalter der Welt, seinen Eigenschaften der Allwissenheit, Allmacht, Allgüte und Heiligkeit vorzutäuschen, bald schrumpft er zusammen in das Bild eines erst in äußerster Not und Bedrängnis, zumeist vergeblich, angerufenen Helfers und jenseitigen Trösters. Allen solchen Einflüffen werden nun auch Ihre Kinder, meine liebe Freundin, ausgesetzt sein, fpätestens mit Schulbeginn. Und doch möchten Sie ihnen den Kopf möglichst lange freihalten von Hirngespinsten und das Herz frel von Angst und Demutsgefühlen. Wie machen wir das?
Haben Sie wohl einmal von dem jetzt zur„ modernen" Krankheit gewordenen Heufieber" gehört? Da erleiden besonders zartorganisierte Personen gerade zur schönsten Jahreszeit, wenn in der weichen Frühlingsluft Milliarden von Sporen und Pollenförnchen und Reime unserer Gräfer und Getreidearten schwimmen und uns anderen der füße Duft frischgemähten Heus die Seele erquidt, ihrerseits Höllenqualen durch einen Kolossal- Dauer- Schnupfen mit allen seinen Scheußlichkeiten. Da ist die einzige Hilfe( außer der Flucht auf den Ozean oder die Alpengipfel, wo fein Blütenstaub und Blumenduft die zarte Nase mehr beleidigt) bisher nur die Borimpfung, die Ihnen ja auch sonst zur Genüge bekannt ist. Man sprizt schon vom Januar ab alljährlich fleinste, aber langsam ge steigerte Dosen eines aus Grassporen gewonnenen Serums in die überempfindliche Schleimhaut und es glückt wirklich mitunter, manchen dieser Unglücklichen die Himmelswonne des Lenzes ohne die teuflische Beigabe des Schnupfenfiebers zu retten. Nun, genau so machen Sie es gegenüber den Gefahren des göttlichen Rauschfiebers!
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Sie selbst müssen dem zarten Kindergemüt die ersten Dosen vom„ lieben Gottesglauben" beibringen und sorglich darauf achten, wie er wirkt. Die Kindesfeele muß ja doch„ Gegengifte" bilden, gesunde und träftige Vorstellungen, die es gar nicht erst dazu kommen lassen, daß ungesunde Fiebererscheinungen auftreten! Das geschieht nicht etwa dadurch, daß man, wie manche wilden Freidenker" meinen, die ganze religiöse Gefühlswelt als„ Quatsch" dem Kinde zu verekeln sucht, sondern durch eine geschickte Mischung ehrfürchtiger Behandlung dieses rätselhaften Produktes menschlicher Einbildungskraft mit einem guten Schuß gefunden Menschenverstandes, der die Schwärmsporen rechtzeitig einfapfelt. Oder, um nicht immer nur um die Sache herumzureden, gleich ein Beispiell „ Wer ist dern das, der liebe Gott?"" Mein liebes Kind, das ist ein unendlich großes, immerdaseiendes, ewiges, die ganze Welt umfassendes, gütiges und liebevolles Wesen, das freilich un sichtbar ist, und von dem wir in Wirklichkeit gar nichts wissen, an das aber sehr viele Menschen innig glauben und das sie sich wie einen gütigen Bater vorstellen. Sie meinen, er habe die ganze Erde und die Sonne, den Mond und alle Sterne geschaffen und forge immerfort für fie, so wie Mutter für Euch Kinder sorgt, und fümmere sich um jeden einzelnen von uns Menschen, auch um Euch, Kinder. Man denkt sich ihn viel, viel mächtiger, als den stärksten Mann und alle Menschen zusammengenommen. Er fei auch viel flüger, wisse alles, was jemals gewesen ist und sein wird, und sorge dafür, daß alles auf der Welt nach Gerechtigkeit hergehe. Ist das nicht ein schönes, beruhigendes Gefühl. zu denken, daß es so einen liebenden Vater im Himmel" gibt?" Kinder werden einverstanden sein und sicherlich wollen sie nun weiter alles Mögliche und Unmögliche von ihm wissen, vor allem, ob er„ da sei". Daß etwas unsichtbar sein kann, überhaupt jeder finnlichen Erfahrung unzugänglich und doch da fein", zelgt man
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ihnen am Gedanken", am menschlichen Geist. Stets wird dabei unauffällig hervorgehoben, daß er, Gott, eben etwas Aus. gedachtes", ein Wesen ist, das nur im menschlichen Geiste Dasein und Leben hat, aber es wird auch niemals wegwerfend von solchen Erzeugnissen des menschlichen Denkens, Fühlens und Wollens gesprochen, vielmehr die Schönheit dieser von dieser von der Phantasie geschaffenen Märchenwelt hervor. gehoben. Es kann gar nicht fehlen, daß im Berlauf des Gesprächs die Kinder fragen, woher denn die Menschen, meinetwegen der „ erste" Mensch, sein Wissen oder doch Glauben von Gott habe. Das gibt Anlaß zur Besprechung der Offenbarung, der Schöpfungssagen, der Frage überhaupt, wie weit man feinen Sinnen trauen" dürfe und Nichtsinnenfälliges als wirklich" annehmen. Leicht möglich, daß ein Kind dann fragt, ob Gott denn nun wirklich wahr" sei und ob man, der Vater, der Lehrer oder die Mutter auch selbst an ihn glaube. Mit unbefangenster Ruhe kann man dann, zutreffenden Falls, diese Fragen verneinen, indem man wiederholt auf den grundlegenden Unterschied einer Welt des Schönen, in der die Einbildungskraft fünstlerisch schaffend spielt, und der harten Welt der Wirklichkeit, wo nichts als eigene Kraft und nüchterner Wahrheitssinn herrscht, hinweist. Dem Kinde sind beide Welten wohlvertraut Täglich wechselt es, im Ernst und im Spiel, aus der einen in die andere hinüber; auch sein Spiel ist ihm ernst, aber seine ganze Entwicklung geht dahin, und ihr folgend auch die Erziehung, immer mehr den schönen Schein" vom , flaren Sein" zu trennen. Der St. Nikolaus und das Christkind verschwinden hinter dem Bater, der Schutzengel hinter der Mutter, der liebe Gott hinter den Naturkräften. Das eine Beispiel für
viele!
Statt des alten Spruches unserer Borfahren:„ Bete und arbeite!" empfehle ich Ihnen, liebe Freundin, Ihren Kindern die schöne Carlylesche Mahnung mitzugeben:" Arbeiten und nicht verzwei feln!" Arbeiten, als ob es feinen Gott gäbe, und nicht verzweifeln, sondern in freudigem Lebensmut schaffen und genießen, als ob es einen Gott gäbe. Ihr Dr. Penzig.
Aus der Frauenbewegung des Auslandes Spanien . Die republikanische Partei hat auf der kürzlich in Madrid stattgehabten demokratischen Tagung einstimmig beschlossen, die Gleichberechtigung der Frauen auf ihr Programm zu setzen und für eine entsprechende Reform des bürgerlichen Gesetzbuches, besonders in bezug auf das eheliche Güterrecht und die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder, einzutreten. Gegen die Forderung des Frauenwahlrechts wurden von einem Teil der Anwesenden Bedenken dahingehend erhoben, daß dadurch die Reaktion gestärkt werden könnte. Die Mehrheit erklärte jedoch, daß eine richtige, auf Freiheit und Gleichheit gegründete Demokratie nicht danach fragen dürfe, ob die Durchführung eines gerechten Prinzips gelegentlich für die Ideen, die sie vertrete, ungünstig wirken könne, und daß auch hier Gerechtigkeit die erste Forderung fel. So wurde denn beschlossen, auch für das Frauenstimmrecht und für Ehescheidung einzutreten, wenn die Mehrheit der Frauenorganisationen dafür sei.
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Finnland . Hier beschäftigt man sich im Landtage mit einer Reform der rechtlichen Stellung der unehelichen Kinder. Der Entwurf sieht ein gleiches Erbrecht nach der Mutter und den mütterlichen Verwandten vor, wie es für eheliche Kinder gilt, ebenso ein gleiches Erbrecht nach dem Vater, falls er das Kind als das seine anerkannt hat. Auch in diesem Falle soll aber der Mutter die elterliche Ge walt über das Kind zustehen, wenn sie sich derfelben nicht unwürdig gezeigt hat, in welchem Falle das Vormundschaftsgericht andere Verfügungen zu treffen hat. Die Einführung der gemeindlichen Generalvormundschaft für alle unehelichen Kinder ist ebenfalls vorgesehen.
Aus unserer Bewegung
Zur Reform der Frauenabende.
Mit Recht weift Genoffin Wachenheim in Nr. 5 der ,, Gleichheit" darauf hin, daß unsere Frauenabende darunter leiden, wenn jedes mal eine andere Referentin zu einem anderen Thema spricht. Dadurch kommt die Bildung in die große Gefahr, statt in die Tiefe in die Breite zu gehen. Und die Frauenabende haben den Zweck, die Bildung der Partelgenofsinnen zu fördern. Wenn die Frauen fortbleiben, wenn nicht jedesmal ein anderes Thema mil einer anderen Referertin auf der Tagesordnung steht, so ist das ein Zeichen der Oberflächlichkeit. Daß man mit fortlaufenden Themen, also Bildungskursen, Erfolg haben fann, erlebte ich in Berlin . Dort sprach ich an etwa 6 Abenden über die französische