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Die Gleich beit

Glied stellen können mit solchen, denen die Entwicklung erst die geistige Umstellung aufgezwungen hatte und die bet weitem nicht die Kräfte hinter sich haben, die in den un­verbrauchten Massen vorhanden sind, die hinter uns stehen, und die nicht mehr nur Objekt, sondern Subjekt der Wohl­fahrtspflege sein wollen.

So entstand im Dezember 1919 der Hauptausschuß für Arbeiterwohlfahrt, der in der kurzen Zeit seines Bestehens festen Fuß gefaßt und ein reiches Betätigungsfeld gefunden hat. Er ist jetzt an seinem ersten Markstein angelangt und die Tagung in Görlig wird weiteren Kreisen sichtbar seinen bisherigen Weg zeigen, sie wird aber auch unserm Weiter schreiten die Richtung weisen.

Aus allen Winkeln...

Von бans бär

Aus allen Winkeln strömt das Leid herbel Und bringt in Ketten feine Kinder mit. Ein langer, fehnluchtsbanger Freiheitsschrei Begleitet ihren fchleppend müden Schritt.

Die Kinder, deren bleiche Lippen nie

Die Schalen des erfehnten Glücks berührt. Die Mütter, die nur бungerphantafie Zur fatten Fülle reicher Güter führt.

Der Jüngling, der von Spiel und Jugendglück Fern wie aus Märchenfphären klingen hört. Der Mann mit finftrem, ewig trübem Blick, Der keinem Gott, als dem der Rache ichwört.

Sie alle münden in ein großes Meer, Das brandend an die Burg der Feinde fchlägt, Das Stein um Stein hinwegfriẞt, dem kein Wehr, Kein hoher Damm den Wogenweg verlegt,

Das langfam dieles Bollwerk unterwühlt, Den Wall, die Türme in der Flut verschlingt, In wildem Schwall die Hochburg überspült Und ungebemmten Laufes vorwärts dringt--

Einſt ſtrömt das Glück in alle Winkel ein Und reißt aus Ketten feine Kinder frei, Sie follen Schützling ihm, nicht Sklaven fein! Aus allen Winkeln dröhnt ein Jubellchrei!

Hilfe für Rußland

Durch das weite, weite Rußland rast der Hunger. 3wan­zig Millionen Menschen haben nichts zu essen. Tod, Seuchen und Wahnsinn gehen um; vertieren fühlende, denkende, empfindende Menschen. Menschen wie wir!

Kinder gehen durch dieses grausige Elend, hungern, frie ren, weinen, sterben, werden zu Waisen, verkommen. Kin­Der wie unsere! Das geschieht in demselben Rußland , wel hes gute Gefeße für Schutz und Erziehung der Kinder ge­schaffen hat, die beschriebenes Papier bleiben müssen.

Und die Mütter? Wißt ihr noch, welcher Jammer uns durchschrie, als wir im Sommer 1917 hilflos zusehen muß ten, wie die Hungerseuchen unsere Jugend niedermähten? Unser Leid war abgrundtief, aber das Leid der russischen Mütter und Kinder ist raum- und grenzenlos. Auch bei uns Find Entbehrung und Mangel noch immer die grauen, Gäste in jedem Arbeiterhaus, und doch sind wir Glückliche, wenn wir den Hungernden abgeben können von unserem Wenigen. Und das wollen wir tun. Wir wollen nicht fragen, wie es gekommen ist, warum es so kommen mußte, wir wollen helfen.

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Das Bureau der Zweiten Internationale versandte das folgende Schreiben:

33 Eccleston Square. London SW. 1. England.

Liebe Genossen!

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Nr. 17

10. August 1921.

Ihnen wird bekannt sein, daß Rußland infolge des Ber­fagens der dortigen Ernte in schreckliches Elend gestürzt worden ist. Es ist die besondere Pflicht einer jeden sozialistischen Or. ganisation, ganz gleich, welche ihre Orientierung sein möge, ihr möglichstes zu tun, um die Not, welche das russische Volk- ins besondere die Frauen und Kinder während des kommenden Winters wird leiden müssen, zu lindern. Das Versagen der Ernte ist vornehmlich auf das Ausbleiben des Regens zurück. zuführen; infolge jedoch der lange fortgesetzten Anstrengungen seitens der tapitalistischen Mächte Europas , um Gegenrevo lutionen zu fördern und weiße Armeen", welche die eigenen Hilfsquellen des Landes ausgeplündert und den Wiederaufbau seines ökonomischen Lebens verhindert haben, zu unterstützen, fieht sich das russische Bolt gezwungen, diefer Hungersnot in geschwächtem und erschöpftem Zustande entgegenzutreten.

Die Arbeiter und sozialistische Internationale richtet daher an die sozialistischen Organisationen aller Länder den dringen den Aufruf zur finanziellen oder materiellen Unterstügung des russischen Volkes im vollsten durch ihre eigenen Verhältnisse erlaubten Umfange. In Anbetracht der mit der Baluta ver. bundenen Schwierigkeiten würde es vielleicht ratsam sein, Geld. sendungen direkt zu machen; wir erfundigen uns jedoch nach den besten Verteilungsmitteln und Vermittlungen und sind gern bereit, den interessierten Organisationen diesbezügliche Ratschläge auf Wunsch zu erteilen.

Wir bitten alle Organisationen dringend, diese Arbeit ohne Berzug in Angriff zu nehmen. Eine große Hungersnot in Rußland während des kommenden Winters fann unheilvolle Folgen sowohl in politischer wie in ökonomischer Hinsicht haben, und machen es nicht nur unfre sozialistischen Grundsätze, sondern auch unsere Menschlichkeit uns zur Pflicht, Hilfe zu leisten. Mit fameradschaftlichem Gruß 3. Ramsay Macdonald . Der Parteivorstand hat in einen Hilfsausschuß die Genos­fin Juchacz und den Genossen Bartels entsandt.

Auch das Bureau des Internationalen Gewerkschafts­ bundes hat einen Aufruf an die angeschlossenen Organisa­tionen erlassen und aus eigenen Mitteln sofort eine Million Mart zur Verfügung gestellt. Diesen Hilfsaktionen unserer Organisationen sollen wir Frauen uns zur Verfügung stellen, hier unser Scherflein geben. Jede Zersplitterung der Kräfte und Mittel muß vermieden werden.

Die Tagung des Hauptausschusses für Arbeiterwohlfahrt in Görlig wird der Wohlfahrtsarbeit im eigenen Lande Beg und Richtung weisen. Dabei wird die beste Gelegenheit sein, sich mit der so dringend notwendigen Hilfe für Rußland zu befassen. Clara Bohm- Schuch .

Leistungen und Beiträge der Invalidenversicherung

In dem wichtigen Aufgabenkreis unserer sozialen Gesezgebung nimmt die Invalidenversicherung eine der wertvollsten Stellungen ein. Jeder Staat sollte es als seine Ehrenpflicht betrachten, die­jenigen vor Not zu schüßen, die auf dem Felde der Arbeit ihre Arbeitsfähigkeit oder Gesundheit verloren haben, sowie denen einen erträglichen Lebensabend zu bereiten, die ihr Leben lang im In tereffe ihrer Bolfsgenossen tätig gewesen sind.

Wenn wir uns die heutige Invalidenversicherung ansehen, so ertennen wir ohne weiteres, daß der obige Grundsaß vorläufig lediglich eine theoretische Anerkennung gefunden hat. Die praktische Auswirkung, das heißt die zur Auszahlung gelangenden Beträge, find so gering, daß sie leider oft geradezu wie ein Hohn auf die Not der Betreffenden wirken. Das ist ganz besonders im Hinblick auf unsere Geldentwertung der Fall. Es muß Sache einer ein gehenden Reform der Reichsversicherungsordnung sein, hier gründ lich Abhilfe zu schaffen. Das ist, solange unsere Verhältnisse wie In den letzten Jahren im Fluß sind, außerordentlich schwierig; dennoch wird der sozialpolitische Ausschuß des Reichstages nach den Sommerferien versuchen, hier einen Weg zu finden.

Zunächst hat der Reichstag am 7. Juli d. J. ein Gesetz verab schied.t, das auf der einen Seite den Zweck hat, der finanziellen