176
Die Gleichheit
Und sie müssen ein wirkliches Arbeitsfeld haben. Also Garten, Feld, Küche, Werkstatt, Lefehalle, die Möglichkeit des Miteinander und Füreinanderarbeitens. Darum sollten in einem Bau beieinander sein: eine Kindergartengruppe, einige Schulgruppen und Fortbildungsschulgruppen, was ja auch Hort und Jugendheim umschließt. Die Bedürfnisse der fleinen Gemeinschaft sollten möglichst von ihr selbst in lernender Arbeit befriedigt werden. Schönheit und Einfachheit müßten das äußere Leben bestimmen, dem inneren Leben dürfte die Bärme mütterlichen Empfindens nicht fehlen. Bei der Anftellung von Erziehern und Lehrern sollte dieser wichtigste Teil pädagogischer Eignung viel gewissenhafter geprüft werden, als es heute geschieht. Frauen, die sich als Mütter bewährt haben, sollten auch ohne abgelegtes Examen an den Erziehungsstätten der Gemeinde den ihnen zukommenden Ehrenplatz erhalten.
Den Eltern müßte der Zutritt zu den Erziehungsstätten Jederzeit frei fein, ihre Hilfe in Erziehung und Unterricht mit Freuden begrüßt werden, um die Einheit herzustellen, die unferem heutigen Erziehungssystem so sehr fehlt.
So würden unsere Kindergärten, Schulen, Horte nicht nur Erziehungsstätten für die Kinder sein, sondern auch Eltern schulen, d. h. die Keimzelle lebendiger Gemeinschaft, nach der wir Sozialisten streben.
Die Kinderfürsorge in der Gemeinde Die völlige Unzulänglichkeit und die lage Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen gegen die Ausbeutung der Kinder und die Gefahren, die daraus gerade für die Kinder der Aermsten entstanden, veranlaßten unsere Partei im Jahre 1908 zur Gründung einer Kinderschuhfommission. Es wurde damit ein Apparat geschaffen, der durch eingehende Prüfung selbst festgestellter Uebertretungsfälle einwandfreies Material für einen besseren Kinderschuh sammeln sollte.
Eine große Anzahl Frauen und Männer aus dem arbeitenden Volke unterzog sich dieser oft sehr schwierigen Arbeit. Eine ungeahnte Fülle von Kinderelend offenbarte sich hier den Helfern und Helferinnen, und ganz von selbst erweiterte sich durch diese Tätigkeit auch deren Aufgabenfreis. Fälle von Kindermishandlungen, Bernachlässigungen usw. mußten neben den Feststellungen der verbotenen Kinderarbeit mit behandelt werden. Hier sah man erst, wie wenig von den Kommunen und anderen Behörden getan wurde, um diesem Elend zu steuern. Die Hauptfürsorge überließen diese Stellen fast ganz privaten Wohltätigkeitsvereinen, die sich denn auch begreiflicherweise als Wohltäter der Armen fühlten. Da die wirklichen Ursachen dieses schreienden Unrechts am Volts. körper den meisten von ihnen fremd blieben, waren auch die Maßnahmen, die helfen sollten, ungenügend und oft ganz verfehlt.
Unsere Helfer und Helferinnen gingen dieser schweren Arbeit mit Liebe und Aufopferung nach, da sie ja zumeist aus ihrer eigenen Kindheit wußten, daß nur die traurigen Lohn, Arbeits- und Wohnverhältnisse die hautpfächlichsten Gründe dieses entsetzlichen Kinderelends sind.
Mit Beginn des Krieges wurden auch noch die menigen Schutzbestimmungen des Gefeßes über Kinderarbeit außer Kraft gesetzt und so der Kinderausbeutung schrantenlos freien Lauf gelassen. Die Kinderschutzkommission war damit ihres eigentlichen Tätigkeitsfeldes beraubt. Erst als die Kriegsfür forgearbeit einsetzte, stellten sich unsere Helfer und Helferinnen wieder zur Verfügung. Der Arbeit eines Teils dieser Helfer ist es zuzuschreiben, daß jetzt in vielen Orten wirklich kinderfürsorgerische Arbeit geleistet wird.
Eins war besonders notwendig. Man mußte den Mitarbeitern aus den bürgerlichen Wohltätigkeitsvereinen flar machen, daß die geleistete Arbeit nicht für die Armen und Hilfsbedürftigen ausschließlich getan wird, sondern daß auch der Staat an dieser Sache ein ganz erhebliches Interesse hat;
Nr. 18/19
denn er muß darauf bedacht sein, alle Teile des Volkes gesund und arbeitsfähig zu erhalten. Vielen der Unglücklichen mußte man erst die Scheu vor diesen Fürsorgeeinrichungen nehmen. Wenn man sich heute manchmal der Ansichten und Aeußerungen erinnert, die wohltätige Damen sich geleistet haben, dann kann man das Mißtrauen verstehen, das weite Kreise der Arbeiterschaft der Hilfe der privaten Wohltätigkeitsvereine entgegenbrachten. Bemerkenswert ist beispielsweise die Auf faffung, daß ein Kinderhort in den Schulferien geschlossen werden fönnte. Was würde aber ein Kinderhort nützen, wenn die arbeitende Mutter, für die es feine Ferien gibt, nicht weiß, wo sie in dieser Zeit ihre Kinder unterbringen soil! Allerdings haben auch viele bürgerliche Frauen sich mit Mühe und Ausdauer der ihnen gestellten Aufgabe gewidmet, und diese füllen auch heute noch ihren Platz aus.
Nun zu den Aufgaben und Einrichtungen der jetzigen Kinderfürsorge, der Notwendigkeit der gemeinschaftlichen Hilfe und der Mitarbeit unserer Frauen.
Säuglingsfürsorge- und Mütterberatungsstellen sollen zu. fluchtsstellen aller ratsuchenden Mütter sein. Deshalb ist es notwendig, daß neben Arzt und Fürsorgeschwester die frei. willige, lebensgeschulte Helferin steht. Hierzu brauchen wir Arbeiterfrauen, die durch ihre Mitarbeit dahin wirken, daß wir in der Säuglingsfürsorgestelle nur Mütter fennen, ohne Rücksicht darauf, ob sie verheiratet sind oder ledig. Ge rade die letzteren brauchen Rat und Hilfe am meisten. Wenn helfende Frauen die unehelichen Mütter als Gefallene be
trachten, wäre der Zweck derartiger Fürsorgestellen gänzlich
verfehlt.
Großer Beachtung bedarf auch das Pflegekinderwesen. Wir müssen überall bestrebt sein, die Fürsorge der liebebe. dürftigen Pfleglinge von Menschen ausüben zu lassen, die ein Herz haben und den Kindern die fehlenden Eltern wirklich ersetzen können. Ein Kind ist feine Ware- deshalb muß auch die Bezeichnung Haltekind verschwinden; ebensowenig find Polizeiorgane zur Vermittlung von Pflegestellen geeignet. Es gilt deshalb hier dafür zu sorgen, daß den Waisen oder Halbwaisen durch eine zweckmäßigere Fürsorgearbeit ein neues Elternhaus, eine neue Heimat geschaffen wird. Da müssen die Helferinnen tüchtig auf dem Posten sein. Mir tommt hierbei ein typischer Fall für die frühere, nun glüc licherweise überlebte bureaukratische Pflegestellenverteilung ins Gedächtnis: Eine unserer Nachbargemeinden wollte einen Knaben, der in einer Familie unseres Ortes seit sechs Jahren für monatlich 12 Mt. in guter Pflege war, fortnehmen, weil sich eine Familie gefunden hatte, die nur 9 Mt. monatlich beanspruchte. Die Schriftstücke, die aus diesem Anlaß zwischen beiden Gemeinden gewechselt wurden, erweckten nicht den Anschein, als ob es sich hierbei um das Wohl und Wehe eines Kindes handelte.
Besonderer Fürsorge bedürfen auch die Kinder, die die Mutter verloren haben. Häufig verheiratet sich der Vater wieder, und oft kommt es dann vor, daß die Kinder durch die neue Mutter auch noch den Vater verlieren.
Ein anderer Zweig der fürsorgerischen Arbeit, der erst im Berlauf der Nachkriegszeit eine wesentliche Erweiterung erfuhr, ist die Verschickung der Stadtkinder auf das Land oder in geeignete Heime. Bei der Verschickung der Kinder aufs Land ist besondere Vorsicht immer wiederkehrenden Fällen gegenüber geboten, bei denen die Kinder nicht aus Mitgefühl angefordert, sondern unter Nichtachtung ihres Gesundheitszustandes als billige, wehrlose Arbeitsobjekte ausgenutzt werden. In Anbetracht dessen ist vor allen Dingen eine häufigere Kontrolle dieser Pflegestellen notwendig. Aber auch die Kinderheime müssen von geeigneten Personen geleitet werden. Es genügt nicht, daß in einem Heim für leidende Kinder eine Schwester Leiterin ist. Neben die Schwester ge hört die pädagogisch geschulte Kindergärtnerin, die um das geistige Wohl der Kinder besorgt ist.
Vieles in der finderfürsorgerischen Arbeit wird, soweit es eben die dafür zur Verfügung stehenden Mittel gestatten, von