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Die Gleichheit

geworden. Vielleicht daß sie seelisch zu sehr niedergedrückt ist, viel­leicht auch, daß der einfachen Frau die Umgebung von so vielen thr höchst gelehrig vorkommenden Männern etwas ganz Befrem bendes war, was sie befangen machte. Wie kann aber auch ein Mann verstehen, was sie zu durchkosten hatte! Nur als ihr Ver­teidiger in so treffender Weise den Geschworenen das Seelenleben dieser Frau darlegte, schien es, als sei durch seine Worte ein geisti­ger Kontakt mit ihr hergestellt. Wort für Wort mußte im übrigen der Vorsitzende aus ihr herausholen, sonst hätte in der Verhand­lung niemand etwas erfahren über die schwere Schuld des Mannes an dieser Frau. Gewiß, die Frau hat am Vorabend der furchtbaren Tat, als sie sich abermals von ihrem Manne miß­achtet und betrogen sah, in voller Erbitterung den Entschluß ge­faßt und Vorbereitungen getroffen, ihn und dann sich selbst zu töten. Darin erblickten die Geschworenen die Ueberlegung und er­fannten auf das Schuldig des Mordes", dem die Todesstrafe folgen mußte. In den nächtlichen Stunden des vergeblichen Wartens auf den Mann, hat der Wahn und die Idee- ich fann so nicht mehr weiter, ich muß Schluß machen sich zweifellos so start in ihr Empfinden eingegraben, daß sie nicht mehr lostonnte und die Tat frühmorgens ausführte. Würde der Mann rechtzeitig nach Hause gekommen sein, wäre die Tat vielleicht ungeschehen ge­blieben. Die Frau hätte sich dann wohl sagen können: Du bist im Begriff, ein Unrecht zu begehen.

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Es unterliegt feinem Zweifel: Der Berteidiger hatte recht, als er sagte, einem Mann ist es nicht möglich, sich in das Seelenleben dieser Frau zur Zeit der Tat zu versetzen. Aus diesem Grunde wird ein Mann die Tat diefer Frau nicht verstehen. Der Ge­schworenenspruch hat das voll und ganz bestätigt. Für den An­Pläger freilich war der Spruch eine Selbstverständlichkeit: Es rast der See und will sein Opfer haben!" Wir haben die leberzeugung: der Geschworenenspruch wäre anders ausgefallen, wenn Frauen an ihm mitwirken konnten. Deshalb ist es auch auf Grund dieser Sache die höchste Zeit, daß endlich einmal die Reform des Gerichts­wesens in Angriff genommen wird. Nach dem Entwurf des Reichsjustizministeriums vom Dezember 1919 sollen auch Frauen als Schöffen und Geschworene herangezogen werden, hauptsächlich bei der Aburteilung von Frauen und Jugendlichen. In diesem Fall sollen bei den Amtsgerichten( Schöffengerichten) ein Mann und eine Frau, bei den Straffammern ein Mann und zwei Frauen und bei den Schwurgerichten sieben Männer und fünf Frauen als Bollsrichter berufen werden. Damit würde erreicht, daß bei Frauen und Jugendlichen fein endgültiger Schuldspruch gegen den Willen und die Ueberzeugung der Frauen erfolgen fann. Die meisten Juristen, und auch andere Leute, die in der Frau ein weniger begabtes Geschöpf sehen, lehnen das ab. Sie halten die Frau zum Richteramt als ungeeignet. So wurde auch auf dem Dierten Deutschen Richtertag am 23. Mai d. 3. in Leipzig be­schlossen. Mit welcher Mißachtung die Frau behandelt wird, geht daraus hervor, daß der Bolksparteiler Amtsrichter und Abgeord­neter Stendel sich im Rechtsausschuß zu dem geradezu ungeheuer. lichen Satz verstieg: Die Frauen eigneten sich nicht zu dem Richter­beruf, weil sie nicht mit dem Gehirn dächten, sondern mit dem Rückenmark ."

Wir Einsamen

Nr. 18/19

Entgegen unserer Absicht, die Diskussion über diese Frage wegen Raummangels nicht weiter zu führen, wollen wir nun doch noch kurz einige Erwiderungen zum Abdruck bringen, da uns das, was darin ge. sagt wird, doch von größter Wichtigkeit für unsere Jugend beiderlei Geschlechts erscheint. Damit müssen wir aber die Aussprache leider wirklich schließen. Die Redaktion.

In Nr. 15 der Gleichheit" schreibt ein junger Genosse einen Artikel unter der Ueberschrift: Wir Einsamen". Ich will ver suchen, meinem unbekannten Freunde zu beweisen, daß es sehr, sehr viele Mädels gibt, die nicht nur Interesse für Alltägliches, für Kleidung, Bergnügen usw. haben. Auch unter uns Mädchen, die wir durch die Arbeiterjugendvereine zu Sozialistinnen er zogen wurden, gibt es eine große Zahl, die nach des Tages Arbeit das Werk unseres großen Bebel: Die Frau und der Sozialismus" und andere Werte unserer Führer, sowie auch unsere Klassiter studieren. Auch wir wollen hinauf zur lichten Höhe, kämpfen für die neue Zeit! Es kann doch keinen Jungfozialisten, feinen Jugend. genossen mehr geben, der sich einfam" fühlt. Haben doch die in Bielefeld erlebten Tage uns bewiesen, wie innig wir Arbeiter. mädchen und Burschen miteinander verbunden sind! M. H.

Der Artikel Wir Einsamen" hat auch mich eher freudig als traurig gestimmt. Ja, es freut mich und andere aufrichtig, daß ihr euch einsam fühlt, weil ihr geistige Freundschaften sucht, und noch weit mehr, daß ihr es wagt, an die Deffentlichkeit zu treten und es laut zu sagen: Uns fehlt eine rechte weibliche Freundin!" Auch uns geht es ähnlich so. Wir wollen dem Manne nicht nur eine Stlavin sein, die nur für des Leibes Nahrung und Not durft sorgt. Unsere Wünsche begegnen sich, denn wir wollen an der Arbeit, die ein Teil des Mannes ist, und somit an ihm selbst Anteil haben. Geistig sehr hochstehende Mädchen werden wir viel leicht nicht allzuviel in unserer Mitte aufzuweisen haben. Für die meisten Mädchen beginnt der Kampf ums Dasein, sowie sie die Schule verlassen haben. Dazu kommt noch, daß ein Mädel nach ihrer beruflichen Arbeit noch viele häusliche Arbeiten hat, die ihr nur dann seht, wenn sie einmal vernachlässigt werden. So wird es in den meisten Fällen nicht über ein gutes Buch in den Feierstunden hinausgekommen sein. Außerdem vertritt leider auch heute noch ein großer Teil der Eltern die altmodische Meinung, daß geistige Bildung" für ein Mädel nicht nötig sei.. Aber ver. ständnisvolle und intelligente Mädels gibt es doch genug unter uns, die gern mit euch zusammen meiter arbeiten wollen. Geht euch nur einmal richtig um, erzieht sie euch zur Mitarbeit! Gebt ihnen einen Posten auszufüllen, sendet sie als Delegierte in die Frauenkonferenzen! Durch das gemeinsame Streben und Lernen werden wir dann mit gegenseitiger Achtung uns anschauen. Eine Jungsozialistin.

Bollen die Frauen sich nicht lebhafter rühren gegen solche Herab. Die geistige Not der jungen Mädchen

fehung ihres Geschlechts? Wollen sie nicht ernstlich versuchen, auch den Richterstuhl zu erkämpfen? Wollen sie immer nur Subjekt ber Rechtsprechung sein und ihrem Seelenleben in den meisten Fällen fremd gegenüberstehenden Männern sich blindlings anver­trauen?!

Wie sieht es in dieser Beziehung in außerdeutschen Staaten aus? Norwegen hatte schon 1901 seinen ersten weiblichen Rechtsanwalt. 1912 finden wir in den verschiedensten Städten weibliche Stadt­richter, in Christiania ein Schwurgericht, bei dem von 10 Ge schworenen 7 Frauen find. Paris allein hatte 1912 bereits 30 weibliche Anwälte. In Italien wirkten schon damals auch weib liche Anwälte. Selbst im zaristischen Rußland beschloß 1911 die Duma, Frauen zur Advokatur zuzulassen. Wir könnten noch zahl­reiche andere Staaten nennen, wollen es aber mit den menigen genug fein laffen. Nur der hochbegabten und schaffensfreudigen deutschen Frau will eine bestimmte Kategorie von Männern das Borwärtsschreiten verwehren. Vorwärts, ihr Frauen, es gilt den Kampf um euer Recht und um die Gerechtigkeit selbst! Ihr seid es euern unglücklichen Geschlechtsgenoffinnen schuldig!

In älteren Jahren nichts mehr lernen können, hängt mit dem in älteren Jahren fich nicht mehr befehlen laffen wollen zufammen, und zwar lehr genau. Lichtenberg.

in den Fabriken

Auf die so wahren Worte dieses Artikels möchten wir gern etwas eingehen. Wir sind Freundinnen und stehen seit einigen Jahren auch im Staub" des Fabriflebens. Es ist fein Leben im eigentlichen Sinne des Wortes, es ist ein fümmerliches Bege tieren, wenn auch die Arbeit über vieles Bittere und Schwere hin. weghilft. Wenn nur die Sehnsucht nicht wäre, aus dem Staube" herauszukommen und die Angst, seelisch darin zu erstiden! Das Grauen, die Angst vor der geistigen Not", wie es in den Zeilen des Artikels so treffend genannt wird.

Das eigentliche Leben ist heilig und sollte nicht mit schmutzigen Worten angetastet werden. Aber man hört es so oft, wie das Wertvolle, das in der Seele eines jeden Menschen als Kleinod be wahrt sein sollte, in den Kot gezogen wird. Wir haben uns schon oft gefragt, ob denn unsere Mitarbeiterinnen, wenigstens die Mehrzahl davon, seelenlos sind.

Num fagt die Genossin Borchers sehr treffend: Die Seelen find stumps, find tot, sind verdorben, gestorben in all dem haftigen, staubigen Getriebe des Alltags der Fabrit". Es ist so namenlos schwer, am Reinen, Schönen festzuhalten. Meist wird man ver lacht, verspottet, wenn man zu den anderen darüber spricht, oder im gelindesten Falle angestaunt, niemals aber verstanden. Ver­fucht man, in den turzen Arbeitspausen mit dieser oder jener Rol