Nr. 18/19
Die Gleich beit
legin ein höheres geistiges Gespräch zu führen, zu dem die„ Gleichheit" die Anregung gibt, fo gelingt es wohl manchmal. Man hat bann eine stille, innerliche Frende, das Interesse geweckt zu sehen. Leider ist diese Freude nur von kurzer Dauer, dann kommt das Häßliche, Schmutzige wieder und alles andere ist wie fortgewischt. Man fragt sich vergebens, wie es kommt, daß alle die Frauen, beren Töchter so jung find wie wir, sich selbst durch so häßliche Redensarten herunterziehen, zumal man immer wieder die Erfahrung macht, daß einige darunter sind, die auch irgendeine Sehnfucht mit sich herumtragen, die sie nur leider nicht zum Ausdruc zu bringen vermögen. Und find doch Mütter, und haben demnach das Leben, das heilige Leben kennengelernt, über das sie nun fpötteln mit faden, schlechten Witzen, ohne Rücksicht auf uns, die mir so gern an das Gute und Edle im Menschen glauben möchten. Dabei hat man im tiefsten Seeleninnern die geheime Angst, diesen Glauben zu verlieren, da er immer wieder ins Wanken gerät.
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Die„ Gleichheit" ruft zur Hilfe auf, zur Rettung aus dem Elend, aus der„ geistigen Not" der Fabrikarbeiterinnen! Wenn es möglich märe! Wenn alle erkennen möchten, daß das Leben heilige Werte hat! Berte, die durch nichts Aeußerliches zu erseßen sind, die man in der Seele tragen muß als köstlichstes Gut!
Zwei Freundinnen.
Von den Tiefen zu den Höhen
Das ift der Menschheitsgedanke des Sozialismus: Aus den Tiefen geboren, um zu den Höhen zu ftreben; von den Miederungen zu den Gipfeln iſt ſein Weg. Zu den Tiefen, wo die Armut Samen Streut. Wo der Bauer pflügt, der Bergmann gräbt, der Taurer baut, der бandwerker formt, der Pilot die бöben erfteuert, wo im Ameifenitaat Leben" jeder feine Lait trägt. Und wo der Dichter fingt das hohe Lied diefes Lebens, Liebens und Leidens. Wo der Denker grübelt über in tausend Birnen geborene Gedanken: über die hohe Sittlichkeit des Tuns und die heiligiprechung der Arbeit, der Religion des Sozialismus. Da ist der Schutz der Arbeit ein neues, ernites Gebot. Da ist der Dreiklang: acht Stunden Werk, acht Stunden Muße und acht Stunden Schlaf das Glaubensbekenntnis eines neuen Gefchlechts. Da ist die Verachtung der Gewalt und der Waffen, da ist Verbrüderung aller Menich- fein- Wollenden das große Evangelium diefes und der kommenden Jahrhunderte. Ein froher Wellenfchlag zu neuen Geftaden. Noch find wir Menichen der Miederungen. Wohlan, laßt uns Menichen des Gipfels werden!
Des Sozialismus Ziel ist бöhenleben.
Briefe über Kindererziehung
XVI.
Werte Freundin!
Jul. Zerfaß.
Ich versprach Ihnen in meinem letzten Briefe die weltliche Begründung der Moral". Sonderbar genug, daß man das„ weltlich" überhaupt betonen muß! Als ob Moral etwas Ueberweltliches, Uebernatürliches, Himmlisches oder doch wenigstens„ Geistliches" wäre! Es war so bequem, Gott auch die moralische Gesetzgebung zu zuschieben! Noch heute liebt es die Mehrzahl der Menschen, lieber sich von anderen verpflichten zu lassen, und damit alle Verantwortung auf diese abzuwälzen, als sich selbst in Zucht und Pflicht zu nehmen, und erst im politischen Leben, das ja nur ein Teil des moralischen Boltslebens ist, gilt heut die Selbstgesetzgebung und Selbstverwaltung für menschenwürdiger als die Fremdregierung. Daß man aber nun auch auf dem Gebiete des ganz persönlichen fittlichen Handelns, jeder reife Mensch für sich, sein ureigenstes Sittengesetz sich aufstellte und seine Vollziehung selbst in die Hand nähme so gut oder schlecht Gesetz und Ausführung auch sein mögen, davor schaudert die Gemeinschaft zurüd. Sie traut dem Frieden nicht, fürchtet vielmehr wildeste" Anarchie". Zwar sich selbst stellt jeder in seinem Innern das Zeugnis der fittlichen Reife aus und traut sich zu, sein eigener absoluter wohlwollender Selbstherrscher zu sein,... aber die bösen Anderen!!
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Sind die denn wirklich so böse? Freilich: Vor und nach der Sintflut glaubte der Jahwe der alten Hebräer, der es als Menschenschöpfer ja einigermaßen wissen mußte, feststellen zu müssen, daß des Menschenherzens Dichten und Trachten böse set von Jugend auf", eine Erkenntnis, die für seine Allwissenheit reichlich Ipät fam; aber das ist doch eigentlich kein Grund, warum die auf der Entwicklungslehre fußende Wissenschaft von heute dies aus dem Unmut über ein misratenes Machwert geborene Urteil infach nachsprechen müßte! Wo aber das gleiche Urtell über die
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raditale Berderbtheit der Menschennatur aus dem tiefaufgeschürf ten Grunde der eigenen Erfahrung geschöpft wird, wie oft bet echtreligiösen Naturen, alle Achtung! Doch darf man der Ehrlichkeit und dem Wahrheitsmut dieser Bekenner der eigenen Unzuläng lichkeit volle Ehre zollen, ohne deshalb sogleich auch die kühne Ver allgemeinerung solcher persönlichen Erfahrung gutheißen zu dürfen, Der Schluß: ich bin ein schlechter Keri; nun bin ich ein Mensch, also sind alle Menschen schlechte Kerle ermangelt doch wohl einigermaßen der erforderlichen Strenge, auch abgesehen von der Seltenheit eines ehrlichen Bekenntnisses zu dem Vordersatz.- Wie?" ruft nun aber ein besonders schlauer Verfechter ange borener menschlicher Gemeinheit, berieft ihr euch nicht eben auf die Entwicklungslehre? Nun, wenn der Mensch vom geilen Affen und von Gott weiß welch anderen Bestien abstammt, ist nicht damit das Vorhandensein der„ Bestie im Menschen", von der Zola uns fündete, und die der gottlose Nietzsche ob ihrer Blondheit ver. herrlichte, ausreichend auch für euch erwiesen?" Nicht so ganz, werden wir antworten. Wohl sprechen auch wir viel von dem „ Tierischen" im Menschen, das durchaus zugunsten des Reinmensch. lichen überwunden werden soll aber seit wann ist denn das Tierische ein Unsittliches? Steht denn nicht eingestandener. maßen das Tier jenseits, meinetwegen unter unserem Gut und Böse? Oder wollen wir, wie das fromme Mittelalter, wieder den Mai täfern, Ratten und Heuschrecken den Prozeß machen wegen Flur. beschädigung oder Erntediebstahl? Aus der Tierheit stammt der Urbestandteil unseres Willenslebens, die fast zwangsläufigen Triebe, die die Erhaltung und Fortpflanzung alles Lebenden fichern; aus derselben Tierheit aber in ihren höheren Stufen glimmt auch langsam und allmählich der Verstandesfunke der Er. tenntnis auf, der sich ohne sprungartige Unterbrechung zum Lichte menschlicher Bernunft, des Vermögens der Ideenbildung, ver. breitert. Wie weit das Dämmerlicht der Vernunftidee von Gut und Böse schon in die höhere Tierwelt hinabreiche, das steht noch dahin und ist gerade jetzt Gegenstand tierpsychologischer Unterfuchungen. Aber gewiß fann man schon sagen, daß eben das Vollbewußtwerden, des Unterschieds zwischen Gut und Böse, also die Grundvoraussetzung aller Sittlichkeit und Unfittlichkeit, oder mit der sinnigen Sündenfall- Legende zu sprechen: das Essen vom Baum der Erkenntnis, den Menschen ebenso vom Tier scheidet und an die Tierreihe anknüpft, wie nur der aufrechte Sohlengang und die Entwicklung des Großhirns. Durch Schuld wird aus dem„ reinen Tor" ein Wissender das gilt für die Menschen, wie für jedes Menschenkind, das die Menschheitsgeschichte im eigenen Geifte er lebt. Die„ Unschuld" des Tieres und des Kindes find feine Hochstufen, von denen ein„ Fall" stattfindet, sondern Unterstufen, von benen man zur Höhe steigt.
Aus unserer Natur, der tierischen wie menschlichen, quillt Gut und Böse, Sittliches und Unfittliches, unfere Moral und Un. moral, und unsere Kultur, die erst diese Unterschiede als Be ziehungswerte schafft, bringt sie uns in, mit und durch Gemeinschaftsleben zum Bewußtsein. Mitten in dieser unserer natürlichen Welt" ist unsere moralifche Welt" entstanden, ein von der Menschengemeinschaft errichteter Ueberbau über die natürlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, mit all den Fehlern und Un vollkommenheiten, die dem Menschenwert nun einmal anhaften, aber auch mit lauter Angriffspunkten zum Bessermachen. Wie flein denken im Grunde die Gottgläubigen von ihrem Welten. schöpfer und seinem Wert, wenn sie ihn alle Augenblicke, wo etwas schief zu gehen droht, bald mit der Verleihung einer unsterb lichen Seele, bald mit der Veredlung„ toten" Stoffes durch Geist, bald mit religiösen Offenbarungen, bald mit Wundern, bald mit Erweckung eines moralischen Sinnes", bald endlich mit einer den ganzen Erdenjammer abschließenden Erlösung" in seinen von Ewigkeit her festbestimmten Weltenlauf eingreifen lassen! Wir Weltkinder sind frömmer! Was an unserer weltlichen Moral" schlecht ist, das halfen wir nicht der Ungeschicklichkeit des Welt- und Menschenschöpfers auf, sondern gedenken es höchst eigenhändig mit unseren Kindern und Enkeln Hand in Hand- zu verbessern. Tun Sie mit? Ihr Dr. Penzig.
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Frauen im Krieg