Nr. 2

Die Gleich beit

des Kaiserreichs. Die bekannten Justizskandale, die ver­schiedenartige Behandlung von Kapp- Verbrechern und irre­geführten kommunistischen Arbeitern, die Stellung der Frauen und Mütter im Bürgerlichen Gesetzbuch geben ein anschauliches Bild davon.

Seit der Bildung des zweiten Kabinetts Wirth haben wir mun an der Spize des Reichsjustizministeriums einen Partei­genossen, den Rieler Universitätsprofeffor Radbruch, auf dessen wirksames und energisches Eingreifen zur baldigen Durchführung einer Justizreform die Hoffnungen der Partei­genossen gerichtet sind. Ein besonderes Vertrauen aber brin­gen die Frauen dem neuen Reichsjustizminister entgegen. Gerade die Behandlung der Frauenfragen im Recht schreit nach gründlicher Aenderung. Daß wir auf Berücksichtigung unserer Wünsche beim Genossen Radbruch rechnen können, darauf läßt eine Erklärung schließen, die der Genannte fürzlich auf verschiedene Anfragen gegeben hat.

Genosse Radbruch beabsichtigt mun unverzüglich die schon lange dringend nötige Reform des Strafrechts vorzunehmen. Wir nehmen an, daß in der neuen Fassung des StGB. die von Frau Schuch und Prof. Radbruch beantragte Abände rung der§§ 218/19( Abtreibungsparagraphen) berücksichtigt ist, die ja nun wohl allen Parteigenosfinnen geläufig sein dürfte.

Ferner wird sich Genosse Radbruch mit dem nötigen Nach druck für die Zulaffung der Frauen sowohl zum Schöffen­und Geschworenenamt, als auch zum Richterberuf selbst ein­setzen. Und da eine Reform der Justiz ohne eine Reform des Richtertums überhaupt nicht möglich ist, müssen Mittel und Wege gefunden werden, um neuen, geeigneten Kräften den Weg zum Richteramt freizumachen. Dazu ist in erster Linie Die erweiterte Heranziehung von Laienrichtern notwendig.

Ein sehr wunder Punkt ist unser heutiges Ehescheidungs. recht. Auch hier versprach Genosse Radbruch einen Entwurf, der die Umgestaltung des bisherigen zum Ziele hat. Wie bekannt, ist eine Ehescheidung zurzeit mit vielen häßlichen Begleiterscheinungen verbunden, bei der beide Teile zur öffentlichen Preisgabe trauriger ehelicher Angelegenheiten

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Feuilleton

Machts

Nach jeder Viertelftunde klingt Die Uhr vom nahen Turm;

Ein dunkles, dumpfes Nachtlied fingt Der Sturm.

Im Klang und Takt der Turmuhr schlägt, Wenn ſtill und tief du laufcheit, Der Drang, der jedes Herz bewegt, Der Hoffnung immer neu erregt

Und dich ins dunkle Traumland trägt.

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Horch, wie der Sturm die Nacht durchfährt! Wenn ftill und tief du lauſchſt, Dann hörit das leife Stöhnen du Der Sehnlucht, die fich felbft verzehrt- Dann hörft das gelle böhnen du, Das den verlacht, verlacht, verlacht, Der nur ein armes Sein begehrt

Und ewig nur entbehrt.

Пach jeder Viertelftunde klingt

Die Uhr vom naben Turm.

Ein dunkles, dumpfes Nachtlied fingt Der Sturm.

Wir entnehmen diefes Gedicht der foeben in zweiter Auflage erfchienenen ver­mebrten Sammlung ,, Kampfjugend", Gedichte von Walter Schenk. Das 32 leitige бeftchen ist zum Preile von 3,50 Mk. im Verlag: Jugend voran( Walter Rüdiger), Berlin SW. 68, Lindenstr. 3, II. 5of II Tr., zu beziehen.

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und auch recht oft zur Heuchelei genötigt sind. Der fünftige Entwurf soll das Verschuldungsmoment ausschalten und das Zerrüttungsmoment gelten lassen, d. h. also, der Richter kann die Ehe lösen, wenn diese so zerrüttet erscheint, daß die Fortsetzung einem oder beiden Teilen nicht mehr zugemutet werden kann, auch wenn die Zerrüttung nicht auf ein schweres Verschulden eines Ehegatten zurückzuführen ist. Das bedeutet an sich schon eine wesentliche Verbesserung der gegenwärtigen Zustände im Ehescheidungsrecht.

Von großer Wichtigkeit für uns Frauen ist die Frage der Verbesserung der Rechtsstellung der unehelichen Mütter und Kinder. Es soll auch hier ein neuer Entwurf in Bor bereitung sein, der mit der so schädlichen und viel bekämpften Einrede der mehreren Beischläfer" aufräumt, nach der der Anspruch auf Zahlung von Alimenten erlischt. Die Ge­noffinnen, die in der Wohlfahrtspflege tätig sind, kennen den Nachteil dieser Bestimmung gewiß zur Genüge.

Hoffentlich gelingt es, die beabsichtigten Neuerungen und Berbesserungen im Reichstage bei Lesung der Gesetze durch­zubringen. E. Rdt.

Die soziale Entlohnung

Unter obiger Formel spielt sich zurzeit zwischen Arbeit. gebern und Arbeitnehmern ein harter Kampf ab, der zunächst in der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerpresse, insbesondere der der Textilindustrie, der Buchdruckerei und des Handels seinen Ausdruck findet. Selbst wenn wir danach streben, die Ent­lohnung auf sozialer Basis aufzubauen, so müßte es uns doch stuzzig machen, daß der Vorschlag dazu in heutigen Zeiten höchster privatkapitalistischer Entwicklung von Arbeitgeber­seite stammt. Die Begründung, die man ihm mit auf den Weg gibt, flingt im ersten Augenblick sehr bestechend, und be­sonders mancher Hausfrau und kinderreichen Familienmutter mag sie zunächst sehr einleuchtend erscheinen. Wenn wir uns aber zu diesem Vorschlag, der in einer größeren Anzahl von Tarifen schon verwirklicht worden ist, kritisch einstellen, so werden wir zu der Erkenntnis kommen, daß seine allgemeine

Spetterin- Franzl

Bon Alwin Rudolph

Nachdem der Vater des Franzl gestorben war, blieb der

Bub den ganzen Tag sich selbst überlassen. Die Mutter ging spetten, wie man dort sagt. Das bedeutete, sie ging zu anderen Leuten puzen. Wenn man von ihr sprach, nannte man sie nicht anders als die Spetterin. Und ihr Bub war der Spetterin- Franzl.

Sofern ihn Kälte und Unwetter nicht gerade an das einzige Stübchen fesselte, hatte der Spetterin- Franzl auch sein Tage­wert. Zur Schule ging er noch nicht. So stellte er sich am Wege auf und drängte sich an die Buben, die noch mit vollen Backen fauten. Der eine oder andere schenkte ihm dann sein Brot oder verhandelte es ihm auch gegen irgendeine Dienst­leistung.

Nachher ging er zu den Bauleuten, die dann frühstückten. War deren Zeit vorüber, so zogen die Frauen vom Markt heim. Und wenn die die Reste ihrer Waren verluden, konnte der Spetterin- Franzl mit schnellem Griff manche Zwetsche oder Birne erhaschen. Manchmal lockte ihn auch eine Rübe. Den Nachmittag fonnte er weniger für sich sorgen. Aber irgendwie betätigte er sich doch. Der Spetterin- Franzl ver­schlief sein junges Leben nicht, hockte nicht tatenlos in der Sonne. Allerdings ging es nicht immer glatt ab. Und an solchen Abenden wurde er daheim nicht gnädig aufgenommen. Da klagte die Frau des Kaminfegers, daß der Franzl ihr beinahe eine Fensterscheibe eingestoßen habe. Noch nicht einen halben Meter weiter seitlich, und er hätte feinen Steden gerade mitten hineingeschlagen. Sie habe es ihm aber gleich gegeben. Das hielt freilich die Mutter nicht ab, die Lektion zu wiederholen.