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Die Gleich beit

schlossen worden. Neben dem Moratorium ist aber eins als Fortschritt in den europäischen Fragen zu verzeichnen: die Einberufung der Konferenz von Genua , d. h. der Wiedereintritt Rußlands in die Politik. Ruß­ land foll für den Wiederaufbau der Wirtschaft Europas Absatzmöglichkeiten und Rohstoffe bieten, und nur auf diesem Wege, nicht allein durch deutsche Sachleistungen, die zum mindesten Englands Wirtschaft nur schädigen könnten, ist ein Ausblick für Europa und die Weltwirtschaft zu erhoffen.

So sehen wir, wie durch Vermittlung der großen Wirt­schaftsfragen, deren Zusammenhang kein Voik zerreißen kann, nun endlich doch alle politischen Probleme in Be­wegung geraten sind, die die Vernunft seit den Tagen von Bersailles umsonst flar zu machen versuchte, und wir können nur hoffen, daß die Konferenz von Genua in diesem Sinne nicht nur Wirtschaftskonferenz, sondern hochpolitisches Ereignis- weiterführen wird, was die nationalistischen Machenschaften der Pariser Kammer in Cannes nicht zur Ausführung gelangen ließen. Denn der Plan ist unzweifel­haft groß und vielleicht ebenso einschneidend wie das, was die Konferenz von Washington bringen sollte.

Dr. Charlotte Lütkens.

Vorschläge für die Agitation in den Ortsgruppen

Die Leiterin ruft nach Berständigung mit dem Vorstand und unter seiner Teilnahme die Genofsinnen zu einer vor bereitenden Sizung zusammen, in der die Möglichkeiten, einer besonderen Werbeaktion unter den Frauen besprochen werden. Wird eine Hausagitation beschlossen, gilt es zuerst, sich das Adressenmaterial zu beschaffen. Es tommen in Frage:

1. Frauen und Töchter der Parteigenossen; 2. die Arbeiterinnen in den Gewerbe- und Fabrik­betrieben, die uns von den dort arbeitenden Genossen und Genossinnen genannt werden können; 3. die Gewerkschaftsleitungen werden uns, wo das ohne Störung des freundnachbarlichen Verhältnisses mög­lich ist, auf Wunsch ebenfalls Frauenadressen zur Ver­fügung stellen.

Zwei bis drei Genofsinnen übernehmen die Organisierung der Hausagitation. Sie schreiben die Adressen auf einzelne Bettel, wobei genügend Raum für Bemerkungen gelassen wird. Diese Art ermöglicht es, das Adressenmaterial nachher ohne große Mühe so zu verteilen, daß die werbendene Ge­nofsinnen vermeidbare Wege sparen. Ein weiterer Grund­faz muß sein, den werbenden Genoffinnen nicht zu viele Adressen auf einmal zu geben. Auch braucht das ganze Ge­biet( Stadt, Bezirk) nicht auf einmal aufgeteilt zu werden. Vielmehr kann die Aktion sich in Zwischenpausen wieder

holen.

An einem festgesetzten Tage holen sich die Ge­noffinnen, die sich für die Arbeit zur Berfügung stellten, das Adressenmaterial oder es wird ihnen durch die Post, durch den Hauskassierer oder den Zeitungsboten mit einigen Be­gleitzeilen ins Haus gebracht. Die werbenden Genosinmen haben nun die Pflicht, in einem Zeitraum von acht bis vier­zehn Tagen( je nachdem man das in der vorbereitenden Sigung beschloß) Hausbesuche zum Zwecke der Aufnahme in die Partei zu machen. Als Werbematerial nimmt man sich am besten eine Gleichheit" und Aufnahmeschein mit. In vielen Fällen werden zwei Besuche bei einer Frau notwen dig fein. Manche brauchen Zeit zum Ueberlegen, andere wollen mit ihren Männern sprechen. Man fordert die Frauen freundlich auf, inzwischen einmal Gleichheit" und Parteipresse zu lesen.

Notwendig ist es, sich für die Aussprache mit den Frauen etwas vorzubereiten. Doch lernt man hier manches bei der Arbeit selbst. Zweckmäßig fann es auch sein, wenn zwei

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Genofsinnen, die eine mit agitatorischer Erfahrung, die zweite, die lernen will, sich zur Werbearbeit zusammentun. Die Aufnahmefcheine und alle Adressenzettel, letztere mit Bemerkungen( über erfolgte Aufnahme oder Gründe für die Beigerung zum Eintritt in die Partei) werden nunmehr der Leitung wieder zugestellt.

Die Leiterin, ebenso die Genoffinnen, die ihr bei der Or ganisation zur Hand gingen, müssen nunmehr das Resultat der ganzen Aktion durcharbeiten, damit sie in einer Sizung, die das Ganze abschließt, mit einem furzen summarischen Bericht, an den sie ihre eigenen Schlußfolgerungen knüpfen, die Aussprache über die Arbeit eröffnen können. Den Schluß bildet dann ein Bericht an die im Vorstand des Parteibezirks tätige Genossin.

Dieser Bericht soll enthalten:

1. Zahl der vor der Hausagitation im Ort organisierten Genofsinnen;

2. Zahl der Genossinnen, die sich für die Arbeit zur Ver fügung stellten;

3. Zahl der gemachten Hausbesuche; 4. Erfolg der Arbeit;

5. Angabe der Gründe für Nichteintritt auf den Zetteln; 6. Bemerkungen.

Arbeiten wir systematisch an der Verbreiterung unserer Organisation, wird uns auch auf anderen Gebieten der Ec­folg nicht fehlen.

Aus den Erinnerungen einer alten Führerin

Vor einigen Wochen, um die Weihnachtszeit, brachte der vereinigte Borwärts- Diez- Verlag ein Buch heraus, das wir, die Jüngeren in der Bewegung, als ein Geschenk der Zeit por uns betrachten können. Es sind die Lebenserinnerungen unferer alten führenden Genoffin Ottilie Baader , die sie unter dem Titel Ein steiniger Weg" zu einem handlichen Büchlein vereinigt hat. Die Gleichheit" brachte in ihren Nummern 23 und 24 des vorigen Jahres bereits Hinweise auf diese Neuerscheinung, doch ist eine ausführ= lichere Würdigung dieses für unsere gesamte Bewegung fo überaus wertvollen Buches hier gewiß am Piazze.

Das Leben der jetzt siebzigjährigen Ottilie Baader ist un­löslich verknüpft mit der Geschichte der sozialdemokratischen Frauenbewegung, und ihre Erinnerungen sind ein getreues Spiegelbild des Aufstiegs unserer Organisation. Wir sehen die junge Ottilie in ihrem proletarischen Elternhause, dem leider viel zu früh die treusorgende Mutter entrissen wurde, und müssen das Leid des in raftloser, stumpfer Arbeit um den allereinfachsten Lebensunterhalt ringenden Mädchens miterleben. Wenn man heutzutage, besonders von Frauen, immer wieder die bittere Klage hört, es sei gar nichts gegen früher besser geworden, es hätte sich nichts geändert, dann soll man ihnen Ottilie Baaders Buch in die Hand geben, in dem man mit Entsetzen von zwölf- und mehrstündiger täg­licher beruflicher Arbeitszeit, von elendester Entlohnung und von gänzlich unzureichenden Arbeitsverhältnissen liest.

Mit lebendiger Deutlichkeit entrollt uns Ottilie Baader das Bild der früheren politischen Rechtlosigkeit der Frau. Weit mehr noch als die Männer unter dem Sozialisten­gesetz wurden, auch nach dessen Aufhebung, die Frauen schikaniert und verfolgt. Wer von den jüngeren Angehörigen unserer Partei tönnte sich eine rechte Vorstellung davon machen, was es heißt, dauernd von der Polizei überwacht zu werden, jeden Augenblick gewärtig zu sein, wegen irgend­einer kaum bedachten Aeußerung zu Geld- und Freiheits­strafen verurteilt zu werden? Die Frauen hatten nach dem damaligen Vereinsgesetz, das bekanntlich erst im Jahre 1908 fiel, nicht das Recht, sich politisch zu interessieren. Ihre Vereine wurden geschlossen, die Mitglieder der Vorstände bestraft, die Versammlungen, an denen Frauen teilnahmen,