36Die GleichheitNr. 4jener Bedingungen abhängig und dadurch das Zivilrechtunwirksam zu machen versuchten. Mit der Zunahme derKirchenaustritte wurde die Frage brennend, was zu ge schehen habe, wenn ein Elternteil in späterem Alter eineandere Ueberzeugung gewinnt und demgemäß den Religions unterricht seinen Kindern im Geiste einer anderen Welt anschauung erteilen zu lassen wünscht, als es der Ursprung-lichen Einigung entsprach. Auf die Eltern, die keinerReligionsgemeinschaft angehörten, hatten die älteren Gesetzekeine Rücksicht genommen. Eine gesetzliche Handhabe zurBefreiung der Dissidentenkinder vom christlichen Religions unterricht gab es nicht. Es war also hohe Zeit, in den Fragender religiösen Erziehung der Kinder und des Einflusses derEltern auf das Bekenntnis ihrer Nachkommen ein für ganzDeutschland einheitliches, modernes Recht zu schaffen.Das neue Gesetz hebt alle ihm entgegenstehenden Bestim mungen der Länder auf. Ferner wird(wie in Preußenschon 1803) den Verträgen über die religiöse Kindererziehungdie bürgerliche Wirkung abgesprochen. Damit ist die Bahnfür eine Neuregelung freigemacht.Zwar bleiben die vor der Verkündigung des Gesetzes ge schlossenen Verträge in Kraft: aber sie haben nur in einigensüddeutschen Ländern Rechtsgllltigkeit und können auf Antragdurch das Vormundschaftsgericht aufgehoben werden. Andie Stelle der Verträge tritt die freie Einigung der Eltern.Derartige Abmachungen können jedoch jederzeit von einemElternteile widerrufen werden: auch der Tod eines Ehegattenhebt sie auf. Besteht keine Einigung, so greifen die Vor schriften des BGB. Platz über das Recht und die Pflicht, fürdie Person des Kindes zu sorgen. Von ihnen ist besondersbemerkenswert der Z 1634, in dem es heißt:„Bei einerMeinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Mei nung des Vaters vor." Dieses Vorrecht des Mannes wirdjedoch zugunsten der Mutier stark eingeengt:„Es kannwährend bestehender Ehe von keinem Elternteil ohne die Zu stimmung des andern bestimmt werden, daß das Kind ineinem andern als dem zur Zeit der Eheschließung gemein samen Bekenntnis oder in einem andern Bekenntnis alsbisher erzogen, oder daß ein Kind vom Religionsunterrichtdieses Mädchens umfassend zu betrachten. Helen Keller wurde am27. Juni 1880 in Tuscumbia geboren. Helen nannte sie ihreMutter, weil dies Licht bedeutet, und sie hoffte, daß die Tage derTochter von Glanz umleuchtet sein würden. Doch schnell sollte dieErnüchterung kommen. Im 20. Monat ihres jungen Lebens er krankte Helen an einem Fieber. Sie genas zwar, verlor aberAugenlicht und Gehör, und auch die Sprache verging infolgedessenallmählich bis auf einen geringen Rest. Geruchsinn und Tastgcfühlmußten ihr in der Folgezeit den Verkehr mit der Umwelt ver mitteln. In ihrem achten Lebensjahr erhielt sie eine LehrerinAnnie Sullivan. Und diese hat das äußerst schwierige Werk voll bracht, Helen aus dem Dunkel ihrer Tage in die Helle des Lebenszu führen.Sie begann damit, der Taubblinden und Stummen die Wörtermittels des Fingcralphabets in die Hand zu buchstabieren. Solernte Helen wohl die Wörter, die Bedeutung eines Worts jedochund die begreifliche Verbindung mit dem bezeichneten Gegenstandgingen ihr verloren. Erst als die Lehrerin sie an die Pumpe führte,ihr das kalte Wasser über die eine Hand fließen ließ und ihr in dieandere Hand mehrmals das Wort„IVster"(Wasser) schrieb, ent hüllten sich ihr Begriff und Bedeutung. Schnell lernte sie nunalle Gegenstände der Umgebung benennen durch einfache Nach ahmung. Sie lernte, wie ihre Lehrerin berichtete, weil sie nichtanders konnte, genau wie der Vogel fliegen lernt. In ähnlicherWeise erfolgte die Verdeutlichung abstrakter Begriffe, so daß sieverhältnismäßig schnell mit der Erlernung der Brailleschen Blinden-schrist beginnen konnte, die sie dann ebenfalls rasch lesen undschreiben lernte. Später benutzte sie die Hammondschreibmaschine.Im Frühjahr 1890 ging sie wieder einen Schritt weiter, sie er lernte die Lautsprache, und zwar mit einem solchen Eiser, daß sieschon nach Verlauf ron zwei Monaten, während der sie 11 Unter richtsstunden gehabt hatte, zusammenhängend bis auf wenige Nach hilfe verständlich sprechen konnte. Einschneidend in ihren Ent wicklungsgang war dann die Weltausstellung in Chicago. Es warabgemeldet werden soll." So ist die Gleichberechtigungzwischen Mann und Frau annähernd wiederhergestellt.Außerdem kann, falls die Zustimmung nicht erteilt wird, dieVermittlung des Vormundschaftsgerichtes beantragt werden,für deren Verfahren einige Richtlinien gegeben werden.Seinen Entscheidungen liegen die Vorschriften des BGB. zu grunde, die das geistige und leibliche Wohl des Kindes sichernund einen Mißbrauch der elterlichen Rechte verhüten sollen-Zur Auskunft und Klärung der Sachlage sind Verwandte,Lehrer und dergleichen möglichst heranzuziehen. Gegenübereinem beigeordneten Vormund hat bei Meinungsverschieden heiten die Ansicht des Vaters oder der Mutter das größereGewicht. Wenn beide Eltern vor dem Inkrafttreten diesesGesetzes verstorben sind und über die religiöse Erziehung ineinem bestimmten Bekenntnis nachweislich einig waren, sokann der Vormund bestimmen, daß sein Mündel in diesemBekenntnis erzogen wird. Ist der Vormund der allein Er ziehungsberechtigte, so bedürfen seine Anordnungen über diereligiöse Erziehung seines Mündels der Genehmigung desVormundschaftsgerichtes. Bei allen gerichtlichen Entschei dungen über seine religiöse Erziehung ist das Kindvom vollendeten 10. Lebensjahre ab zu hören. Hates das 12. Lebensjahr erreicht, so kann es nicht gegen seinenWillen in einem anderen Bekenntnis erzogen werden alsbisher. Mit der Vollendung des 14. Lebensjahres wird esreligionsmündig, d. h. es steht ihm die Entscheidung darüberzu, zu welchem Bekenntnis es sich halten will. Das Vor mundschaftsgericht tritt nur in Tätigkeit, wenn es auf Miß stände aufmerksam gemacht oder seine Entscheidung beantragtwird. Derartige Anträge können nur von den Erziehungs berechtigten(Eltern, Pfleger. Vormund) gestellt werden,nicht aber vom Staatsbeamten, Lehrern oder Geistlichen.Aus vorstehendem ergibt sich, daß das neue Gesetz lediglichdie privat- und familienrechtliche Seite des Problems berück sichtigt, unabhängig von der Lösung anderer mit derreligiösen Kindererziehung eng zusammenhängenden Fragen,so bleibt z. B. der Inhalt des Religionsunterrichts völligunberührt, ebenso die tirchenrechtliche und bürgerliche Zuge hörigkeit zu einem Bekenntnis oder der Austritt aus einerihr gestattet worden, olles zu betasten, wie denn überhaupt von derLeitung und den Ausstellern alles geschah, um ihr hilfreich undaufmerksam zu begegnen.„In diesen Wochen", sagte sie,„machteich den Sprung von dem kindlichen Gefallen an Märchen undSpielzeug zur Wertung der Wirklichkeit und des Ernstes in derwerktätigen Well." Von ihrem 14. Lebensjahre an besuchte sie dieWright-Humason-Schule, in der sie besonders gut sprechen und vonden Lippen ablesen lernte. Nebenher trieb sie Deutsch und ver mochte schon nach Verlauf eines Jahres den„Wilhelm Tell" mitdem größten Entzücken zu lesen. Auf der Artur-Gilam-Schule be reitete sie sich für das Radeliffe College vor und schon im Jahre 18??bestand sie die vorläufige Prüfung in Deutsch, Französisch, Englisch,Griechisch und römische Geschichte. Zwei Jahre bereitete sie sichdann noch privatim zur Universität vor. Das einzige Fach, da«ihr etwas Schwierigleiten bereitete, war Mathematik, und hieringebrauchte sie bei der Aufnahmeprüfung etwas niehr Zeit. Lateindagegen siel ihr sehr leicht und im Homer fand sie ein Paradies.Vier Jahre lang lernte und studierte sie, immer durch Vermittlungvon Annie Sullivan, die ihr alles zufingerte. Wenn auch mancheihrer romantischen Vorstellungen nicht in Erfüllung gingen, solernte sie doch viel, was sie sonst zu lernen wohl nie Gelegenheitgehabt hätte Die Vorlesungen über Philosophie und Shakespearewaren ihr besonders wertvoll, und ani Schlüsse ihrer Lernzeit ge stand sie:„Eins, das ich gelernt habe, ist die kostbare Wissenschaftder Geduld, die uns lehrt, daß wir's mit unserer Erziehung haltensollen wie mit einem Spaziergange auf dem Lande— in Muße,den Sinn gastlich offen für Eindrücke jeder Art."Schon diesir Bildungsgang ist erstaunlich genug, noch wunder barer aber ist es, daß Helen Keller es ermöglichte, Schriftwerkeselbständig herauszugeben. Sie veröffentlichte 1903„Die Geschichtemeines Lebens", in der in aller Ausführlichkeit mitgeteilt wird,was hier zusammengedrängt werden mußte. Auch enthält da»Buch ihre Briefe und im Anhang niehrcre ausführliche Aufsätzeüber Helen Kellers Persönlichkeit, Bildungsgang, ihre Sprache und