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das allgemeine und direkte Wahlrecht...." Das allgemeine und direkte Wahlrecht im Gegensah zu dem bestehenden dreiklaffigen indirekten Zenjuswahlrecht wurde von Lassalle zum Kern- und Mittelstück seiner politischen Agitation gemacht. Die Liberalen in der preußt. schen Kammer- fie nannten sich jetzt Fortschrittspartei- waren mit dieser Parole jedoch keineswegs einverstanden. Auch bei den Arbeitern, denen er diesen Vortrag hielt, erntete er zwar lebhaften Beifall, aber irgendeine praktische Fol gerung wurde zunächst nicht daraus gezogen. Alles Intereffe nahm der Verfassungskampf gegen die Regierung in An­spruch, und eine Aenderung des Wahlrechts, das bei jeder Wahl mehr Fortschrittler in den Landtag brachte, erschien vielen als eine Begünstigung der Reaktion.

So stand Lassalle scheinbar vereinsamt gegen die feste Front der liberalen Fortschrittspartei, die er vergeblich zu entschiedenerem Handeln vorwärtszudrängen suchte. In­dessen bot sich eine ganz andere Gelegenheit, die sozialistische Anschauung der Dinge, wie sie im Arbeiterprogramm" zu tage trat, in weiteren Kreisen zu verbreiten.

daß mit der Bildung" allein nichts gewonnen sei, solange Das formelle Mittel der Durchführung dieses Prinzips ist nicht auch die wirtschaftliche Lage der Arbeiter sich bessere. Nicht wenig hatten zu der allgemeinen Aufrüttelung mehrere Borträge beigetragen, die Ferdinand Lassalle aus Anlaß des Verfassungskonflikts in Berliner Versamm­lungen gehalten. Lassalle war schon 1848 und 1849 im Rhein­ land an der revolutionären Bewegung beteiligt und mehrfach in politischen Prozessen unter Anklage gewesen. Mit Marg stand er in Briefwechsel. Er bezeichnet sich selbst auch als Schüler von Marg, trotzdem er das nur in sehr bedingtem Maße war. Er war vielmehr ein selbständig gewachsener, genial veranlagter Mensch, der ein außerordentliches Wissen mit einer hinreißenden Sprache und einer glänzenden Be­redsamkeit verband. Lassalle ergriff die Gelegenheit, den preußischen Fortschrittlern zu zeigen, daß der Verfassungs­streit nicht nur durch Proteste und Reden im Abgeordneten hause ausgefochten werden könne. Verfassungsfragen, sagte er ihnen, sind ursprünglich nicht Rechtsfragen, sondern Fragen der Macht. Wenn sie also den Verfassungskonflikt zu ihrem Gunsten entscheiden wollten, so dürften sie sich nicht darauf beschränken, der auf ihr Gottesgnadentum pochenden Krone gewissermaßen Rechte abzuhandeln. Sie müßten vielmehr deutlich aussprechen, daß die Regierung des Königs( dadurch, daß sie für eine Militärreform Gelder, deren Bewilligung die Landtagsmehrheit ausdrücklich ab­gelehnt hatte, ausgeben ließ) tatsächlich die Verfassung ge­brochen habe: Alle große politische Aktion- fagte Lassalle in einem dieser Verfassungsvorträge besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist." Der Junker Bismard war indessen stärker als die liberale Rammermehrheit in Berlin . Er pfiff auf die Ber­faffungseide und dergleichen Zwirnsfäden", führte, dem Parlament troßend, die Militärumwandlung zu Ende und begann dann die Kriege von 1864 und 1866. Als Sieger" zurückgekehrt, ließ er sich von einem in der Siegerstimmung gewählten neuen Parlament die vorher versagte Genehmi­gung für gefeßwidrige Geldausgaben nachträglich durch Indemnität ersetzen. Hatten die Vorträge Lassalles über Verfassungswesen auch nicht eine unmittelbare Ein­wirkung auf das Verhältnis des Parlaments zur Krone und umgekehrt, so hatten sie doch eine weit größere mittel. bare Wirkung, indem sie die wirklichen Machtverhält niffe im Staate aufzeigten und damit auch die Schwächen und die Wandelbarkeit geschriebener Verfassungen der da. maligen Generation und ihren Nachfolgern ins Bewußtsein hämmerten.

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Schon wenige Tage vor seinem ersten Berfassungsvor trage hatte Laffalle in einem Berliner Handwerkerverein, dem hauptsächlich Maschinenbauer angehörten, eine andere Rede gehalten, die den Titel führte: Ueber den besonderen Zu­sammenhang der gegenwärtigen Geschichtsperiode mit den Ideen des Arbeiterstandes"; eine Rede, die später unter dem Titel Arbeiterprogramm" erschienen und als solche melt bekanntgeworden ist. In ihr zeigte Lassalle den Arbeitern in klassisch- schöner Form ein Bild von den Klassenlämpfen der bürgerlichen Gesellschaft bis zur Gegenwart, in der die proletarische Klasse oder wie Lassalle sagte: der Arbeiter­stand selbständig geworden ist und um politische und wirt­schafiliche Freiheiten kämpft. Arbeiter sind wir alle," sagt Lassalle in dieser Rede, insofern wir eben nur den Willen haben, uns in irgendeiner Weise der menschlichen Gesellschaft nüglich zu machen. Dieser vierte Stand, in dessen Herzfalten daher kein Keim einer neuen Bevorrechtung mehr enthalten ist, ist eben deshalb gleichbedeutend mit dem ganzen Menschengeschlecht. Seine Sache ist daher die. Sache der gesamten Menschheit. Seine Freiheit ist die Freiheit der Mensch heit selbst. Seine Herrschaft ist die Herrschaft aller..

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Bon Leipziger Arbeitern erging der Ruf an Ferdi. nand Lassalle ,,, in irgendeiner Form seine Ansichten über die Arbeiterfrage und die von den Arbeitern anzuwendenden Mittel" zu entwickeln. Er folgte dieser Aufforderung, indem er sein berühmtes Offenes Antwortschreiben an das Zentralfomitee zur Berufung eines allgemeinen deut­ schen Arbeiterkongreffes in Leipzig " veröffentlichte. Das Antwortschreiben ist vom 1. März 1863 datiert. Mit seinem Erscheinen beginnt die Geschichte des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins , der ersten umfassen. den sozialistischen Organisation in Deutschland .

Die Frau als Laienrichter

Am. 6. April hat der Reichstag die Zulassung der Frauen als Schöffen und Geschworene beschlossen.

Nachdem die Frauen das aktive und passive Wahlrecht befizen, nachdem sie dadurch auf die Gesetzgebung selbst einen starten Ein fluß ausüben können, ist es nur fonfequent, wenn sie auch in der Rechtspflege tätig sind. So meint man. Was uns einfach und logisch erscheint, dünft vielen Leuten gar nicht so. Schon im März 1921 wurde anläßlich des Gefeßentwurfs zur Entlastung des Gerichts im 22. Reichstagsausschuß beschlossen, das Gerichts. verfassungsgesetz in seinen§§ 31 und 84 zu ändern und dadurch den Frauen die Pflicht aufzulegen, wie jeder männliche Staats­bürger als Laienrichter mitzuwirken. Es ging schon sehr oft mit solchen Beschlüssen so, hinterher kommen den Herren Bedenken ob der Durchführbarkeit und siehe da, aus den Geseßesbeschlüssen werden Entschließungen wie die folgende:

,, Die Reichsregierung wird ersucht, baldigst... einen Gesetz entwurf vorzulegen, der den Frauen den Zugang zum Schöffen. und Geschworenenamt eröffnet." Nur immer hübsch langsam

voran.

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Der Reichsrat hatte dann das Gefeß, das die Reichsregierung ihm pflichtgemäß vorlegte, abgelehnt. Das war nicht anders zu erwarten. Trotzdem ist es eingebracht worden. Der nur aus Männern bestehende Reichsrat hat seine besondere Begründung für seine ablehnende Haltung gegeben. Und die ist sehr inter essant, es marschieren da alle psychologischen Bedenken und Gründe wieber auf, die vor Jahren von männlichen Vertretern der Wissen schaft gegen das Frauenstudium geltend gemacht wurden: seelische Eigenart der Frau, die sie gefühlsmäßigen Einflüssen ge neigt macht und die noch verstärkt wird durch Menstruation, Schwangerschaft und Wechseljahre. Aber auch die förperliche Schwäche der Frauen wird wieder herangezogen, auch hat sie nicht Entschlußfähigkeit und Kraft zum Durchgreifen, die Gesetzgebung wird verweichlicht ufw. Es lohrt nicht, dagegen zu polemisieren. Festgestellt muß werden, daß wir uns gegen diese Art auch im 22. Ausschuß nicht wehren brauchten. Wenn Frauen an den Ver handlungen teilnehmen, wird die Form des Ausdrucks schon aute matisch anders. Ein Punkt aus der Begründung des Reichsrats lohnt sich aber wörtlich anzuführen: