116 D i e G lüberzeugt sind, daß das weibliche Geschlecht in dieser Hinsicht mehroder weniger„minderwertig" sei.Run kann allerdings nicht bestritten werden, daß die Frau heuteim Durchschnitt weniger gelernt hak als der Mann, weniger weiß,und daß daher auch ihr Denkvermögen, ihre Denkfähigkeit ausgewissen Gebieten geringer entwickelt ist als die des Mannes.Die Frage ist nur: Sind dies die Folgen der minderwertigenErziehung und Ausbildung, die die Frau seit Generationen„ge-nießt", oder haben wir es hier tatsächlich mit einer ursprünglichen,das heißt natürlichen Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechteszu tun?Es sind vor allein zwei Tatsachen, die die natürliche Minder-Wertigkeit der Frau zu beweisen scheinen, und die im ersten Augen-blick wirklich etwas Bestechendes haben. Die erste ist, daß dieFrau im Durchschnitt ein„kleineres Gehirn", bzw. ein geringeresGehirngewicht hat als der Mann. Das steht naturwissenschaftlichfest, kann also nicht geleugnet werden. Aber beweist das wirklichetwas? Schon die Tatsache, daß eine ganze Reih« sehr bedeuten-der Männer ein Gehirn hatten, das weit unter dem Durchschnittder männlichen und auch der weiblichen Gehirne wog, zeigt uns,daß es gerade hier einzig und allein auf die Qualität(Güte) undnicht auf die Quantität(Menge) ankommen kann.Zum mindesten muß man das Gehirngewicht im Verhältnis zumKörpergewicht betrachten. Sonst müßten Elefant und Rhinozerosganz besonders kluge, Biene und Ameise ganz besonders dummeTiere sein. Vergleichen wir aber die Berhällniszahlen zwischenGehirn- und Körpergewicht bei Mann und Frau, so müssen wirfeststellen— da die Frau im Durchschnitt ein gut Teil leichterwiegt als der Mann—, daß das Gehirngewicht der Frau imVerhältnis zum Körpergewicht schwerer ist als das des Mannes.Weshalb den Anhängern der Gehirn-Theorie zu raten ist, diesen„Beweis" gegen die Gleichwertigkeit der Frau schleunigst fallen zulassen, weil man ihnen sonst eines schönen Tages mit dieser selbenTheorie„beweisen" könnte, daß der Mann dümmer und un-logischer ist als die Frau.Schwerer zu widerlegen scheint der zweite Beweis für dieMinderwertigkeit der Frau zu fein. Nämlich die Tatsache, daßwir in der Geschichte der Menschheit zwar eine ganze Anzahlhervorragender und genialer Männer zu verzeichnen haben, abernur eine ganz oerschwindend kleine Anzahl bedeutender Frauen.Hier kommt uns die Holländerin de Jong zu Hilfe, die dieFrage aufwirft, ob nicht vielleicht die Teilung zwischen den beidenGeschlechtern so sei, daß der Mann die geniale Arbeit schaffe, unde i ck b e i k Nr. 12die Frau den genialen Menschen. Eine„Arbeitsteilung", bei derdie Frau keineswegs hinter dem Mann zurücksteht.Diese Erklärung ist auch durchaus annehmbar. Denn kein Menschwird leugnen können, daß jede Mutter nicht nur körperlich, sondernauch geistig und seelisch einen großen Teil ihrer besten und wert-vollsten Kräfte ihrem Kind mitgibt, daß sie sich gleichsam ausgibt.-Doch genug von der„Vergangenheit" der Frau. Auch in derGegenwart gibt es eine ganze Reihe von Beweisen, die für dievolle Gleichwertigkeit der Frau sprechen. Es sei nur hingewiesenaus die wunderbare, und während des Krieges allgemein an-erkanitte Geschicklichkeit, Tüchtigkeit und Anpassungsfähigkeit derFrau, die es verstanden hat, in fast allen Berufen den Mann zuersetzen, obgleich sie in den meisten Fällen weder die Vorbildungnoch die Ausbildung des Mannes hatte.Und dann ein kleines, aber bezeichnendes Beispiel aus der Zeitkurz vor Ausbruch des Krieges. In mehreren deutschen Ländern,unter anderem auch in Baden, war man dazu übergegangen, inden Städten, die keine höheren Mädchenschulen(Gymnasien oderLyzeen) hatten, die Mädchen zu den höheren Knabenschulen zu»zulassen. Anfangs wurden Mädchen und Knaben durcheinandergesetzt. Doch da stellte sich bald heraus, daß die Mädchen, di«allerdings vorher ziemlich scharf gesiebt worden waren, in derRegel zur oberen Hälfte der Klasse gehörten.Nun wurde bekanntlich im alten kaiserlichen Deutschland da»männliche Geschlecht in der Anschauung großgezogen, daß es wert-voller sei als das weibliche. Wie sollten aber diese Knaben vonder Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechtes überzeugt werden,wenn sie tagtäglich vor Augen sahen, daß die Mädchen im Durch-schnitt bester lernten, das heißt klüger und intelligenter waren alssie? Deshalb erließ man eine hochwohlweise Verfügung, nach derMädchen und Knaben fortan— getrennt zu setzen seien.Womit der Beweis erbracht sein dürfte, daß die Frau genaudie gleiche Lern- und geistige Aufnahmefähigkeit besitzt wie derMann, sobald ihr die gleichen Ausbildungsmöglichkeiten gegebenwerden.Ein Unterschied besteht allerdings zwischen der Denkweise de»Mannes und der Frau: Da das Geschlechtliche auf den Körper unddamit auch aus das Gefühls- und Seelenleben der Frau viel stärkereinwirkt als beim Mann, wird auch das Gefühlsleben bei der Frauwohl meist größer und reicher sein und eine größere Rolle spielenals beim Mann. Ob das ein Nachteil ist, möchte ich bezweifelmEbenso bestreite ich, daß man aus dieser Tatsache eine„Minder«Wertigkeit" der Frau— sei es auch nur in geistiger Hinsicht—ableiten muß. Darüber wird man überhaupt erst einmal eingute Ehefrauen und Mütter werden— vorausgesetzt, daß dieMänner nicht ihre Pflichten als Gatten und Väter vernachlässigen."Weil die Frauen keine Rechte haben, hat man gewiste Vorrechtefür sie geschaffen, die auf Aeußerlichkeiten beruhen.„Diese Förm-lichkeiten", schreibt Mary,„erscheinen mir so possierlich, daß ichtauin meinen Lachmuskeln gebieten kann, wenn ich den Eifer undden Ernst sehe, mit dem ein Mann sich beeilt, für eine Dome einTaschentuch aufzuheben oder eine Tür zu schließen, was diese dochauch gekonnt hätte." Wenn nicht die Liebe die Unterschiede be-stiinmt, sollten in der Gesellschaft alle Unterschiede der Geschlechteraufhören, denn in diesem Unterschiede ist die Schwäche der Fraubegründet, er ist die Ursache ihrer geistigen Vernachlässigung. NichtVorrechte sollen der Frau eingeräumt werden. Sie soll Rechte er-halten und aus Grund dessen ihr« Pflichten erfüllen.Noch heute sind die Werke, die beeinflußt von der FranzösischenRevolution zur Verteidigung der Frauenrechte geschrieben wurden,aktuell. Alle �Gedanken, die sie enthalten, sind die Samenkörner,die während des 19. Jahrhunderts Wurzeln faßten. Tie Wirtschaft-liche, die rechttiche, die sittliche Seite der Frauenfrage sind ausdiesen Wurzeln gewachsen, und Ausgabe der heutigen Frauenweltist es, zu helfen, daß eine gesunde Politik, welche auf der Freiheitaller begründet ist, die Menschheit dahin führt, daß sie im SinneMary Wollstonecrast's„weiser und tugendhafter" wird.RegenA»n Max D o r t uch gehe langsam. Die Parkanlagen sind mir wie ein großesHeiligtum. Ich bin ganz allein. Der Regen klopft spielendauf hohe Pappeln und niedrige Linden. Die Lust ist weicher als«ine Frouenumarmung. All mein Wesen tränkt sich an diesergroßen Milde. Und mein Herz wird frei. Seine großen undkleinen Sorgenpanzer wirft es ab— ein Seufzer der Befreiunggeht über meine trockenen Lippen, und ich sage leise: Welch eingroßes Glück, daß ich die Schönheit der Welt verstehen, halten undwürdigen kann!Gott offenbart sich mir. Er ist die Schönheit. Hier steht sie,hinter den leichten rauchgrauen Schleiern des Regenmorgens. Dies«Weiche im Augenempfinden, dieses Sanfte um die Gehörnerven,und das Gütigseinwollen meiner Seele, das alles ist Gott!Rosen! Wie sie leuchten. Statuenweiß. Mit hellen Vor-sprüngen. Die wie klarstes Bengalcnlicht sind. Rosen wie Hin«beersaftl Und dort die Neinen zarten brauthübschcn Buschröschen.Wie Moosröschen ist ihr Geknospe.Wie verdiene ich schlechter Mensch all dies hohe Glück des Der«stehenkönnens?Gott, mein Bater, waren nicht alle meine Irrgänge der Schrittzum Tempel des Erkennen»!Mußte ich nicht wie Odysteus durch tausend Gefahren gehen,durch wüst« Labyrinthe—, um, ein müder Mann, in der Heimatzu landen!Und die Heimat hat mich nun. Meiner Heimat Schönheit hältmich. Gott wiegt mich, sein geliebtes Kind, auf den rauchgrauenArmen dieses weichen ruhigen Rcgenmorgens.Ich stehe auf ein-r Pavillonestrad«. Ein Aussichtspunkt. VorMir breitet sich duftige, zarte, ganz leicht zinnblaue Landschaft.Ein Fink schreit laut. Das klingt wie Streiten. Ein Autoh«stet. Wie bedaure ich dieses wilde Jagen nach falschen ma«teriellen Glücken!Es gibt nur ein Glück: durch das eigene Herz hindie große weiche und reine Schönheit Gottes zu erkennen. Auchhinterm Regen steht Gott!(Aus der kleinen Sammlung„Ein buntes proletarisches Skizzen«buch" von Max Dortu. VerlagszeseUschaft„Freiheit", Berlin.)