Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 8

oooooooo Beilage zur Gleichheit o

Inhaltsverzeichnis: Die Armen in der Kirche. Von Artur Rimbaud.

Kunst und Proletariat. Von Klara Zetlin.( Schluß.)- Steinwerfen! Von Heinrich Scharrelmann.  - Feuilleton: Sein letztes Hochamt. Bon Wilhelm Holzamer.  ( Schluß.)

Die Armen in der Kirche.

Don Artur Rimbaud.

In die Bänke und Winkel der Kirche gekeilt, Die ihr Atem verpestet, die Augen erhoben Zum goldenen Chor und zur Sängerschar droben, Die mit zwanzig Kehlen Meßlieder heult;

Wie wenn Brotgeruch den Wachsduft durchweht, Glücklich, geduckt wie geschlagene Hunde, Richten die Armen mit lallendem Munde Zu Gott   und Kaiser ihr hartes Gebet.

Für die Weiber ist's da ein wohliges Sein Nach den sechs von Gott   beschiedenen Tagen! Sie wiegen, in feltsame Pelze geschlagen, So etwas wie Kinder, dic mörderisch schrei'n. Ohne Andacht und dennoch die Augen voll Bitten, Ganz mager von ihrer ewigen Suppe, Heraußen die Brust, schau'n sie scheel auf die Gruppe Von jungen Göhren   mit schäbigen Hüten.

Roch eine Stunde. Wie schön. Und nachher Der betrunkene Mann und Hunger und Kälte- Unsagbar! Jndes mit Gekeif und Geschelte Klatscht von verfetteten Weibern ein Heer. Epileptiker fieht man, die auf den Gassen Man gestern gemieden, Kretins  , ganz verschreckt, Und Blinde, die Nase ins Meßbuch gesteckt, Die sich von Hunden herumführen lassen.

Vor vertrottelter Gläubigkeit speiend, schicken Zu Jesus   sie endlos ihr Bettlergebet, Der droben im fahlgelben fenster steht, Serne von allen den Magern und Dicken

Und dem Muffelgeruch, der den Raum erfüllt, Und dem kraftlofen ekligen, düstern Gedränge.- 3u gewählten Worten blühn die Gesänge Nur dann, und zu brünstigem Stammeln schwillt Der Choral nur, wenn lächelnd in seidenen falten. In den Kirchen, in denen die Sonne verglüht, Die vornehmen Damen, gesättigt und müd, Dem Priester die Hände zum Kusse hinhalten.

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Kunst und Proletariat.

Von Klara Zetkin  .

( Schluß.)

Wir wissen, daß die soziale Revolution, welche mit der Arbeit auch die Kunst befreit, das Werk des kämpfenden Proletariats sein muß. Aber das fämpfende Proletariat reicht der Kunst mehr als diese Zukunftsverheißung. Sein Ringen, das Bresche auf Bresche in die bürgerliche Ordnung legt, bahnt neuen künstlerischen Ent­widlungsmöglichkeiten die Wege und verjüngt die Kunst durch einen neuen Gedankeninhalt, der über das geistige Leben der bürgerlichen Ordnung hinausreicht und künftiges Menschheitsleben ist. Der Ins halt des proletarischen Klassenkampfes erschöpft sich teineswegs in wirtschaftlichen und politischen Forderungen. Er ist auch der Träger einer neuen Weltanschauung, die ein einheitliches, in sich ge= fchloffenes Ganze bildet. Es ist die Weltanschauung des Sozia­lismus, wie sie sich auf den Ergebnissen der Naturwissenschaften und der Gesellschaftswissenschaften aufbaut, die mit den Namen

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1911

Darwin und Mary verknüpft von der Philosophie zusammen gefaßt werden. Diese Weltanschauung teimt und reist im Flammen und Wettern der Klassenkämpfe unserer Tage. Sie entwickelt sich in dem Maße, als der Kapitalismus   die gesellschaftliche Wirtschaft umwälzt und der kommunistischen   Ordnung freier Arbeiter entgegen­treibt; in dem Maße, als sich damit soziale Einrichtungen wandeln, als das Empfinden, Denken, Wollen der Menschen revolutioniert wird. Am tiefsten muß die Psyche und die Gedankenwelt der Klasse um­gepflügt werden, die durch ihre Lebensbedingungen in einen un versöhnlichen, dauernden Gegensatz zu der geltenden Wirtschafts­ordnung und ihrem ideologischen Überbau gerät: diese Klasse ist das Proletariat. Sein Denken und Begehren schreckt nicht dem der Bourgeoisie gleich vor den Schranken der bürgerlichen Gesellschaft zurück, umgekehrt, es strebt über diese Schranken hinaus, es weiß, daß es sie zertrümmern muß. Daher nimmt die kämpfende Arbeiter­klasse vorurteilslos und kühn die Konsequenzen aller Forschungs­ergebnisse auf. Je bewußter und kraftvoller ihr Kampf wider die tapitalistische Ordnung wird, um so schärfer tritt auch ihr geistiger Lebensinhalt in Gegensatz zu dem geistigen Leben der bürgerlichen Welt. Der proletarische Klassenkampf wird zum Träger neuer geistiger und sittlicher Jdeale, ein neues eigenes fulturelles Leben beginnt unter den Enterbten emporzublühen. Der starke Pulsschlag dieses Lebens läßt die Sehnsucht nach künstlerischem Genießen und Gestalten ihre Flügel ausbreiten. Geschieht das, so ist es aber der eigene höchste historische Wesensinhalt seiner Klasse, den der Proles tarier fünstlerisch umgeformt nachempfinden, den er künstlerisch selbst erschaffen will.

Das Proletariat sehnt sich nach Kunstwerken, denen die sozia­listische Weltanschauung Seele und Sprache verleiht. Damit gerät es in Gegensatz zu der bürgerlichen Kunst unserer Tage. Diese ist nicht die gesunde, entwicklungsfrohe Kunst einer jugendfrischen Klasse, die um ihre ganze Freiheit fämpft und sich damit als Trägerin der höchsten Menschheitsideale empfindet. Es ist die Kunst einer herrschenden Klasse, die sich auf dem absteigenden Ast ihrer ge= schichtlichen Entwicklung bewegt, einer Klasse, die den Boden ihrer Macht unter vulkanischen Kräften erzittern fühlt. So wird unsere zeitgenössische bürgerliche Kunst aus einer Stimmung der Götter dämmerung heraus geboren. Der Naturalismus, der die Kunst zu ihrem ewigen Urquell, der Natur, zurückführen wollte, der im Zu sammenhang damit auch gedanklich als Gesellschaftskritik Wert­volles geleistet hat, ist zur flachen, leeren Kopie der Wirklichkeit herabgesunken. Er gibt nur Wirklichkeit ohne große zusammen­hängende Ideen. Der Jdealismus unferer Zeit hinwiederum sucht feinen geistigen Inhalt in den fleinbürgerlichen Jdeen der Heimat­kunst" und, wo er sich weitere Horizonte steckt, in der Abkehr von der Gesellschaft und der Gegenwart. Er flüchtet in die Vergangen­heit oder jenseits der Wolken und verfällt als religiöser, ja fröm­melnder Neumyftizismus, als Neuromantik ufw. Kurz, er gibt Jdeen ohne Wirklichkeit. Woher sollte auch die bürgerliche Kunst die Ver­einigung von Idee und Wirklichkeit nehmen? In der Welt des geschichtlichen Seins der bürgerlichen Klassen klafft heute Idee und Wirklichkeit weit auseinander. Daher ist Anschauung und Stim­mung dieser Klassen pessimistisch. Grober, fleinlicher Materialismus bei den einen, mystische Weltflucht bei den anderen wird zur Si­gnatur der Zeit und damit der Kunst. Wie könnte solcher Inhalt der Kunst das Proletariat befriedigen? Es muß seinem ganzen historischen Sein nach optimistisch empfinden und denken. Hoffs nungsfreudig jauchzen ihm die treibenden Kräfte im Wirtschafts­leben von dem Nahen einer neuen Zeit, von der Stunde der Er­lösung, verheißungsstart spricht sein eigenes geistiges Leben davon. Hier ist eine Vereinigung von Idee und Wirklichkeit, wie sie heute nur durch die Ideologie der Massen geschaffen werden kann, die sich die höchsten Ziele setzen. Die Jdee: der Sozialismus, der er­habenste Freiheitsgedanke, den die Menschheit je geträumt. Die Wirklichkeit: eine Klasse, die sich in reifer Erkenntnis und stahl­hartem Willen anschickt zur gewaltigsten Tat, die die Geschichte kennt: ,, die Welt zu verändern, statt sie anders zu interpretieren", um mit Mary zu reden.

Aus diesem Zusammenhang der Dinge heraus erwächst dem Proletariat das leidenschaftliche Bedürfnis nach einer Kunst, deren Inhalt Geist vom Geiste des Sozialismus ist. Tendenzkunst alio, so schallt es uns entgegen. Wohl gar politische" Kunst. Politisch Lied ein garstig Lied." Das Proletariat hat dieses Gerede nicht