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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Feuilleton

herakles.

Don Adam Asnyk  .

Herakles hießen ihn der Griechen Sagen, Doch anders wird in Wahrheit er genannt; Er heißt das Volk; in Sklaverei gebannt, Hebt rastlos er den Arm zu harten plagen. Geduldig, stark, mit wenigem zufrieden, Das Löwenfell um seinen nackten Leib, Erbebt er vor dem Herrn, scheu, wie ein Weib, Und hilft die eignen Ketten willig schmieden. Ein Held, vollbringt er spielend Riesenwerke, Gar furchtbar anzuschaun in seiner Stärke. Und dennoch dient und front er überall,

Den Blick gesenkt zur Erd'; und höhnend lachen Ob seiner Hände Schmutz die Feigen, Schwachen... Er schweigt und reinigt des Augias Stall.

OOO

Wie Klein- Janek sterben mußte.

Bon Ketty Guttmann  .

Es war in einer Fabrikstadt Russisch- Polens. Eine Stadt, die aussieht wie ein ungeschlachtes, ungewaschenes, mürrisches Riesen­find, das die gigantischen Glieder nur träge hebt das aber Ströme von ungeweckter, ungeheurer Kraft in sich trägt, eine Kraft, die Berge versehen kann, eine Kraft, die strahlende Wunder voll­bringen wird in der Zukunft. Es war eine Fabrikstadt, in der es nur ganz wenige reiche, sehr reiche Leute gab und eine Unmasse zer­Iumpter, verhungerter, unmoralischer Habenichtse.

An einer Straßenkreuzung konnte man das eigentümliche Leben dieser Stadt besonders gut beobachten. Die Straßen waren mit einer unglaublich hohen Schmußschicht bedeckt, die jetzt, im Winter, gefroren, beschneit, aufgetaut und wieder gefroren war. An den Gossen, in denen die warmen, trüben Abwässer der Fabriken flossen, hatte die halbmeterhohe Schmuhlage einen Bruch, an dem man das Muster geologischer Schichtungen studieren konnte. Die Häuser waren nicht alt; nicht älter vielleicht wie die Industrie hier. Aber sie waren leichtfertig und hastig gebaut und gänzlich verwahrlost. Darum fiel der Stuck von ihren Fassaden, darum hingen die Fenster windschief in den Angeln. Die Häuser sahen verkommen und trüb­selig aus. Mit Planken verschlagene Lagerplätze gab es zwischen diesen Häusern, und naive winzige Hüttchen, die nur ein Geschoß hatten und noch aus der Zeit stammten, da man in der Stadt nur Ackerwirtschaft und Hausweberei fannte. Eine mächtige, düsterrote, vierstockige Zwingburg stand dazwischen mit stinkenden Schloten und einem surrenden, fauchenden, unermüdlichen Lärm, der weit hinaus auf die Straße drang: eine der Riesenfabriken.

Hier an der Straßenkreuzung drängte sich ein betäubendes Durcheinander von Frachtfuhrwerfen, tlapprigen Droschten, eiligen Passanten. Fluchen und Schreien betrunkener Rutscher, aufgeregter Juden, ängstlicher Passagiere tönte durcheinander, die eilten, den Zug nicht zu versäumen um die eine Ecke herum stand der Bahnhof.

Aus dem breit offenen Torweg des Güterbahnhofs holperten die Lastfuhrwerfe in ununterbrochener Reihe; zumeist hochgeladene Kohlenfuhrwerke mit Futter für die glühenden Rachen der Fabriken.

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Auf dem schmalen Trottoir standen allerhand obskure Gelegen­heitsmacher herum. Die anständigen Fuhrleute, meist Juden, deren spectige, lange Röcke bis unter die Arme zerschlissen waren, und die sich in allerhand Lumpen eingewickelt hatten, um der Kälte einigermaßen zu wehren. Diese Fuhrleute hatten nichts Schlechtes im Sinn; sie waren hier mit ihren erbärmlichen Wägelchen und den zerbeulten, todtraurigen Mähren   davor und warteten auf ein Geschäftchen auf eine Fuhre oder so. Aber da waren auch andere! Verwegene, düstere Kerle, die die rechte Hand in der Brust­tasche hatten, auf eine so verdächtige Weise, wie sie Straßenräuber zu halten pflegen. Es gab hier manchmal überfälle auf reiche Leute, die vom Bahnhof kamen, oder auf die Geldtransporte der Post, die auch an dieser Kreuzung vorüber mußten. Dann war da ein minder gefährliches, flinkes Heer von Taschendieben, alte und junge. Und noch eine besondere Art von Gelegenheitsmacher war hier. Kleine, fleine Jungens, die Rohlen stahlen. Zu denen ge­hörte unser Janet. Das Kohlenstehlen war nicht schwer. Das

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brachten die Schwächsten und Ungeschicktesten fertig; aber auch dazu war der Janek eigentlich noch zu klein. War er doch kaum drei bis vier Jahre alt und konnte beileibe noch kein R aussprechen. Seine Mutter hatte ihn eingewickelt, so gut sie konnte; denn es war eine unbarmherzige Kälte. Schuhe hatte Janek nicht. Ant linken Fuße war mit Bindsaden eine Sammlung von Lumpen be­festigt, der rechte steckte in einem zerrissenen Frauenzugstiefel. Da, wo sich das Oberleder von der Sohle dieses Ungeheuers gelöst hatte, guckte ein scharlachrotes, verquollenes Fleischflümpchen her­vor: das winzige erfrorene Füßchen des kleinen Janet. Eine weite, große Hose hatte das Jüngelchen an, deren Boden ihm bis zu den Füßen herabhing, und die klappersteif gefroren war; denn Janet konnte sie nicht aufmachen, wenn er cin Bedürfnis hatte. Der Oberkörper war in Lumpen gehüllt, und das Kindergesichtchen wurde fast ganz verdeckt von der spizen Tuchmüße, die der Kleine über die Ohren gezogen hatte. Man mußte genau zusehen, wenn man seine Augen entdecken wollte die bläulich schimmernden, unschuldigen Augen eines fleinen Kindes. Die Nase troff ihm, und er weinte leise und inbrünstig in sich hinein. Von einem Füßchen auf das andere trippelte er vor Pein und plagender Kälte; er flüsterte in seinem Kinderwelsch abgerissene Worte vor sich hin. Sein Riesensack, den er in klammen Fingern hielt, war leer, ganz leer! Janek hatte nicht den Mut, zwischen die Wagen zu rennen und Kohlen aufzulesen. Er hatte eine rasende Angst vor den schnaubenden, prustenden Pferdeköpfen, vor der pfeifenden Peitsche des Kutschers  .

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Es war ja tinderleicht, die Kohlen auszulesen; man mußte sich bloß beeilen, daß man nicht unter die Räder des folgenden Wagens geriet. Daß die Kohlen herunterfielen, dafür war gesorgt. Zwei, drei fühne Jungens taten weiter nichts, als stets hinten auf die fahrenden Wagen zu springen und in rasender Haft mit blutenden Fingern die scharfen Rohlenstücke von dem Wagen zu werfen; einige große Stücke, dann follerten noch immer einige nach. Hiebe setzte es ja dabei ab, aber die Jungens lachten und zeigten die Zunge. Die Säcke der Herabwerfer wurden von den anderen, die sich zwischen den Rädern und den Pferdehufen tummelten, mit gefüllt.

Der Tag begann sich zu neigen. Aus den Straßenwinkeln krochen giftige Dünste. Die Kohlenwagen famen nicht mehr so häufig; sie würden bald ganz aufhören. Klein- Janek wimmerte in Verzweif­lung. Kein Stückchen Kohle im Sacke, ein schreckliches, nagendes Gefühl im Leibe: Hunger! Und es war so falt! Heimgehen ohne. Kohlen? Und die Mutter, die so schrecklich weinte und ihn so jämmerlich zerschlug, wenn er nichts brachte! Sonst gaben ihm die Kameraden wohl ein paar Stückchen. Aber heute hatten sie selbst nicht so viel wie sonst. Es waren heute weniger Kohlenwagen. Wenn nun gar keiner mehr käme? Solange sie da vorbeiratterten, hatte er immer gehofft, es könne doch vielleicht ein Stückchen zu ihm hinüberfliegen. Ein Splitterchen und noch eines. Aber nun waren die Wagen bald zu Ende! Janet durfte sich nicht fürchten vor den Pferdeköpfen. Er mußte auch wie die anderen unter die Räder, wo die glänzenden schwarzen Kohlen blinkten- viele, und immer neue flogen hinzu.

Der kleine Kohlensucher machte ein paar schüchterne Schrittchen auf den Fahrdamm, blickte sich verängstigt nach allen Seiten um, kehrte zurück und legte seinen zerlumpten großen Sack neben die Gosse, schlich vorsichtig wieder zu den Wagen- ein Augenblick bebender Angst, dann mutig rasch hinter einen Wagen, dem sofort die großen Köpfe der Gäule des anderen Wagens folgten Ah, die schönen Kohlen! Das Kind verstand nicht wie seine er­fahrenen Kameraden, im richtigen Takt zwischen den Wagen durch zulaufen und im Fluge die Kohlen aufzulesen. Es hatte auch seinen Sack nicht dabei. Es stand still und lud sich glückselig die Armchen voll Kohlen und da! da war es geschehen!

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Wie hätte der Kutscher   den winzigen Dieb bemerken sollen! Wie wäre es ihm möglich gewesen, schnell in der trottenden Reihe still­zuhalten! Und den Schrei, den dünnen Kinderschrei hörte er auch nicht im Lärm.

der zweite

So ging ein Wagen über das kleine Körperchen zermalmte, was noch Form an ihm hatte. Die Pferde des dritten Wagens aber blieben stehen, hoben die Köpfe, legten die Ohren zurück und schnaubten mit einer Gebärde des Entsetzens in den weitaufgerissenen Augen. Da merkte man denn, daß etwas pas siert sei. Und sie zogen das zermalmte Kind aus den Rädern. Das arme zerquetschte Köpfchen baumelte am Rumpfe den Leib hatten die erbarmungslosen Hufe aufgerissen.- Sie riefen einen der müßigen Judenfuhrleute, der den kleinen Janet fortschaffte in die Leichenhalle des Friedhofs.

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Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart  .