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Für unsere Mütter und Hausfrauen
richten, das ist meine Meinung," schloß er. Und er war sogar ein wenig hitig dabei geworden, ganz gegen seine Art.
Und als der Schullehrer und der Gemeindeschreiber abends noch ein Stück zusammengingen auf dem gleichen Heimweg, da meinte der Lehrer:„ Was der„ Herr Ober" da gesagt hat- es ging an mich. Das steht nicht im Katechismus- das kommt aus dem Herzen. Der muß schon was erlebt haben, der„ Herr Ober". Mir ist das heute abend eingefallen, so was kann man nur erleben. Der trägt was in sich herum, kommt's mir jetzt vor. Aber ich hab' Respekt. Ich hab' Respekt."
Manche sagten, der Jean sei selbst ein Grafensohn. Andere aber behaupteten und das waren ein paar, die mit ihm beim Militär waren, er sei das uneheliche Kind einer Schauspielerin. Man erzählte sich das im ganzen Dorfe. Aber es schadete dem Jean nicht. Er war einer von den Menschen, die man nicht nach Stellung, nach Herkunft und Anhang beurteilt, die man als sie selbst nimmt und nach dem Werte schätzt, der in ihrem Benehmen, ihrem Tun, ihren Leistungen, ihrer Art, eben in ihrer Persönlichteit in die Erscheinung tritt. Darin war er ein Glücklicher.
Was aber seine Herkunft anbetrifft, so war er wirklich der Sohn einer Schauspielerin, in wilder Ehe geboren, als seine Mutter die ,, Direttrice " einer Schmiere war. Und er hatte ein Schicksal, er hatte„ was erlebt". Als Kind hatte er schon auf der Bühne gestanden. Als Kind schon hatte er gehungert, hatte er stehlen müssen, und oft war gerade er's gewesen, den man geschickt benutzt hatte, die vielen Gläubiger, die's an jedem Orte rasch gab, wo ihr Karren hielt, hinters Licht zu führen.
Und welches Leben hatte gerade er gehabt bei dem Vater, dem Direktor". Manchmal fielen ihm die hübschen Titel ein, die ihm der Vater beigelegt hatte. Dann knirschte er. Aber weinen hätt' er mögen, wenn er an all die Gemeinheiten und Liederlichkeiten dachte, die er hatte ansehen müssen. Wozu hatte die Not nur seine Mutter oft gezwungen! Er schämte sich heute noch. Eine Blutwelle stieg ihm jedesmal heiß ins Gesicht.
Da hatte er Verachtung und Verzeihung gelernt. Denn er, hatte sie in Verzweiflung gesehen, wildfeindlich gegen sich selbst, erstickend vor Ekel vor Haß und Scham. Da hatte er das Mit
leid gelernt.
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Früh war er reif geworden. Das Schicksal hatte ihn in die Lehre genommen. Es hatte ihm die Jugend vergiftet, denn es hatte seinen Kinderaugen das Leben gezeigt, in seiner Härte und feinem Schmuh, in seinen Abgründen, Lockungen und Falschheiten.
Da ward er in sich selbst zurückgeschreckt. Er fühlte sich als Gegner zum Leben, zu all seinen Reizen und Genüssen.
Sein Wille ward so geweckt. Dem Leben einen besseren Wert! schrie's in ihm.
Er hielt sich allein. Er war ernst. Er ward froh im Freien, befreit und gesund in der Natur draußen, wenn er im Grase lag, wenn er die Straße hinwanderte, wenn er die Vögel singen hörte, die Blumen blühen sah und die Bäume Früchte tragen. Den Bauer liebte er, der den Acker bestellte, und er hätte einen Tag lang zusehen können, wie sein Pflug durch den Boden schnitt.
So hatte ihn sein Schicksal geformt.
Gering war er, aber so jung er noch war, er hatte sich nicht herabziehen lassen. Er hatte einen Stolz in sich und eine starke Sicherheit. Und das wußte er: Klagen und Sehnen konnten ihm nicht helfen, es galt eine Tat.
Er war siebzehn geworden, und eines Tages wußte er, was er tun mußte. Eine efelhafte Szene zu Hause hatte ihn zum Entschluß gebracht. Ganz plötzlich war's ihm eingefallen: er wollte ein Bauer werden. Morgen wollte seine Gesellschaft weiterziehen. Am Abend ging er. Ohne Abschied, gleichsam ein Wankendwerden fürchtend. Und er fand auch eine Stelle und blieb, bis er„ einrücken" mußte.
So war er frei geworden. Er arbeitete mit Pflug und Hacke, unermüdlich, und atmete auf. Er befreite sich.
Manchmal zerrte es ja in ihm, so gering zu sein und unbeachtet. Aber er sprach sich Mut und Hoffnung zu. Geduld und Ausdauer, sagte er sich. Er würde schon„ hinauf" kommen. Langsam in sich und dann auch vor den Menschen.
Und er hatte ja auch ein wenig Glück dabei. Wenigstens war's ein Glück zu nennen, daß er an den Grafen gekommen.
*
*
Der Jean war also mit den Buchenauer Burschen zur Regel bahn nach Schafbach gekommen. Er war unterwegs zu ihnen ge= stoßen.
In der Kegelbahn war's nun schon laut. Und heiß, sehr heiß. Die Luft dick vom Tabatsqualm.
Nr. 11
Der Jean wünschte, lieber nicht hierher gegangen zu sein. Wenn er noch mal draußen wäre, ginge er vorbei. Da er aber nun mal drin war immerzu.
Er begrüßte den Lehrer, den er fannte.
Dann suchte er sich einen Platz abseits, von wo aus er gut sehen konnte. Er wollte nur zusehen.
Der Ochsenwirt brachte ihm ein Glas Bier.
,, Nicht mittegeln, Herr, Ober?"
"
Will mal sehen, später mal einen Wurf, warum nicht!" Ein paar am Tische hörten das.
meist
,, Dann kriegt der Herr, Ober' die Uhr, dann adje Partie!" Der Jean sagte aber nichts darauf, er sah still zu. Weitere Gäste kamen, einzeln, zu zweien und dreien aus den umliegenden Ortschaften. Die Schafheimer waren schon ziemlich vollzählig da.
Es war besetzt in der Kegelbahn. Nun kamen noch die Weilauer und gleich nach ihnen die Hatzbacher. Sie hatten die weitesten Wege und wurden darum allgemein begrüßt.
Jetzt hieß es zusammenrücken. Und man tat's auch. Nur da und dort war mal einer, der schimpfte.
Drickerei!"
„ Der Knoll soll for Disch und Stiehl sorje, so An Jeans Tisch saßen ein paar Hatzbacher. Einer erzählte, die Italiener aus Hatzbach , die da beim Bahnbau beschäftigt waren, fämen noch.
„ Gibt's aach noch Krawall heit," sagte einer.
Ja, und sie hätten auch noch die Tremplers Anna bei sich. Die hätt' sich dem einen an den Hals geworfen, am Sonntag vor acht Tagen, auf der Tanzmusit hätt' sich's gemacht. Ein schöner Kerl" fei der Italiener ja, aber es sei doch schad für die Anna. Sie habe auch schon ihr Teil Schläge daheim gekriegt. Aber sie lasse scheint's nicht los.
Sie habe doch ein paar tausend Mark Vermögen und sei von guten Leuten. Und sei auch immer so still und ordentlich gewesen. Und auf einmal ganz vernarrt.
Man müßt's ja sagen, schön sei der Italiener, der schönste und „ feinste" von denen. Aber's gäb doch auch noch schöne Kerl" int eigene Ort".
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Und dann wisse man doch auch, wie's da gehe. Erst alles Lieb's und dann sei's geschehen. und Gut's. Dann mal so ein Suff Bis dann' s Kind da sei, sei der Kerl längst verdustet- oder käm's mal zur Heirat, dann Hunger und Schläge.
Da wär's doch schad um die Tremplers Anna. Und dann hätt' man ja immer's Totenhemd bei den Kerlen an. Beim Geringsten ' s Messer.
Der Jean hörte nur mit halbem Dhr.
Er kannte das ja all gerade so gut. Und bei der Hübnerslies war's ja gerade so gewesen. Die Mädels nehmen ja aber nicht Vernunft an.
Da waren die Italiener schon. Sechs, acht Mann.
Sogleich gab's ein Lärmen, daß das Kegeln einen Augenblick aussetzen mußte. Die Italiener forderten einen Tisch für sich.
Der Ochsenwirt sprang. Man mußte den rauflustigen Burschen rasch den Willen tun. Er hätte ihnen schon lieber gleich auf den Rücken gesehen. Das waren immer böse Gäste, und erst wenn sie betrunken waren! Und das waren sie bald. Sie tranken ja das Bier wie Wasser. Und das starke Rauchen und Lärmen dazu- da stieg's rasch ins Hirn.
Nun hatten sie ihren Tisch.
Die Anna saß mitten unter ihnen. Es wurde ihr doch bald ein bißchen genierlich, dies Lärmen der Jtaliener, dies Welschen, das sie ja nicht verstand. Erst war ihr das so merkwürdig vorgekommen, und sie lachte dazu. Bald war's ihr aber doch keine Unterhaltung mehr. Das Fremde hatte sie gereizt, die Gesten, die redenden Augen, das hatte ihr gefallen. Auch die gewandtere Art der Italiener . Wie wurde ihr nur das Glas hingehalten zum Profit! Cara mia! wie lag ihr das im Ohr!
Bald hatte das alles aber den ersten lockenden Reiz verloren. Sie staunte nicht mehr, es war ihr bekannt, fast gewohnt. Fremd freilich blieb es ihr, so eine halb wehe Romit lag ihr darin. Heute wenigstens. Es war ihr unbehaglich. Vielleicht weil sie das einzige Mädchen auf der Bahn war.
Doch da wollte sie sich drüber wegsetzen.
Aber ewig dieses Italienisch um sie herum. Sie war ordentlich froh, wenn sie deutsch radebrechten. Sie hatte das neulich bei der Tanzmusit gar nicht so bemerkt, gar nicht gefühlt. Da war die Musik, da waren die anderen Mädchen. ( Schluß folgt.)
Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe,