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Für unsere Mütter und Hausfrauen
Aber da war Drylyn schon auf dem Rückweg nach Salvation Gap. Der Expreßbote war 23 Jahre alt und Drylyn 45!
Solche Gazellen sind zu allem fähig. Aber hübsch war es doch nicht von ihr, daß sie, nur um sich einen Spaß zu machen, ihren alten Liebhaber zu seinem geheimen Nebenbuhler hinschickte. Sie hatte sich wie das Menschen manchmal tun- einen Nagel zu ihrem eigenen Sarge geschmiedet.
Nun ereignete sich die alte Geschichte. Die Leidenschaft des Mannes für die Gazelle und sein Glaube an sie blieben unverändert; er brachte ihr nach wie vor allen Goldstaub, den er ge= wonnen hatte. Die Frau fuhr nach wie vor nach Folsom, beob achtete immer weniger Vorsicht und verließ sich immer mehr auf ihre Beliebtheit in Gap. Allmählich tauchte ein Schatten von Verdacht in Drylyns Seele auf. Die Eifersucht schärfte seinen Verstand auf eine merkwürdige Weise. Und als er eines Morgens früh den Expreßboten aus dem Zelte der Gazelle heraustreten sah, fand die Geschichte ihren Abschluß.
Mit dem Augenblick, in dem er die Wahrheit erfaßte, wurde er schlau und berechnend; seine aufgewühlte Leidenschaft machte ihn einem wilden Tiere gleich. Ein vollständiger Plan stand, wie ein Bild, an dem kein Strich fehlte, plötzlich vor seinen Augen: er wollte hingehen und die Gazelle töten.
Den Mann ließ er ruhig den Hügel hinuntergehen. Als dann alle im Lager aufstanden, frühstückten und sich an die Arbeit begaben, ging Drylyn mit ihnen. Sein Arbeitsplatz lag so, daß die Gefährten ihn nicht beobachten konnten; nach einer Weile ließ er die Arbeit liegen und lief wieder nach Gap zurück. Um diese Zeit war die Tanzhalle meistens leer, das wußte er! Ebenso hatte er fich genau überlegt, was er sagen wollte, wenn er den anderen Frauen begegnete. Aber die Frauen waren unten am Bache mit Waschen beschäftigt, und nur die nichts ahnende Gazelle schlief noch ungestört in ihrem Zelte. Ruhig und ohne Haft trat Drylyn durch den Haupteingang in die Halle; dort ging er an den leeren Flaschen und dann draußen an dem Zaune vorüber und trat in das Zelt der Gazelle. Ebenso ruhig, wie er hineinging, kam er wieder heraus.
,, Nun kann die Gazelle ungestört weiterschlafen," dachte Drylyn, als er wieder knietief in der Erde stand und nach Gold grub. Er trug jetzt andere Beinkleider. Sie sahen aber genau so aus wie die, die er irgendwo unter Steinen versteckt hatte.
Plötzlich tönte lautes, anhaltendes Geschrei zu den Minen hinüber. Drylyn wußte nun, daß die Frauen vom Waschen zurückgekehrt waren.
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Mechanisch hob er den Kopf, um zu horchen. Er war kein schlechter Mensch, und er hatte nie in seinem Leben den Wunsch gehabt, irgend jemand ein Leid zuzufügen. Aber als er jetzt in seiner langsamen, schwerfälligen Art das Geschehene überdachte, empfand er nichts als Genugtuung ja er hatte noch mehr vor. Sobald er konnte, wollte er den Fußspuren des Mannes folgen und ihn auch aus der Welt schaffen. Diese beiden hatten ihn zum Narren gehalten! Diese beiden hatten über ihn gelacht! Und als er, wohl zum hundertsten Male, an den Tag dachte, an dem er das Paket mit dem Goldstaub vielleicht mit dem von ihm selbst mühsam gewonnenen Goldstaub- dem Nebenbuhler in Folsom übergeben hatte, zitterte er am ganzen Körper und stieß wilde, unartikulierte Laute aus.
Das Geschrei da unten hörte nicht auf. Ein Mann rannte an Drylyn vorüber, und Drylyn begriff plöglich, daß er auch mitreunen mußte. Von all den weit zerstreut liegenden Arbeitsplätzen kamen die Männer angelaufen, und es wurde laut und lebhaft in Ealvation Gap. Der Scherif, der am Abend vorher die Verfolgung einiger Posträuber aufgenommen hatte, erschien auch, wie er meinte gerade im rechten Augenblick, um alles nach Gesetz und Ordnung zu leiten. Ein ungeheurer Tumult erhob sich; die Männer waren in wilder Wut, sie schrien nach dem Täter und wollten die Gazelle augenblicklich rächen. Wer das getan haben fonnte, begriffen sie nicht. Die Gazelle war ja eine so lustige, gute Gefährtin, eine so tüchtige Sängerin, eine so unermüdliche Tänzerin und so beliebt gewesen! Die Frauen weinten und rangen die Hände, die Männer fluchten und redeten aufgeregt hin und her. Nur Drylyn verhielt sich merkwürdig ruhig so ruhig, daß der Scherif aufmerksam auf ihn wurde, obwohl er nichts von dem Verhältnis dieses Mannes zur Gazelle wußte.
Plötzlich schrie eine Frau:„ Drylyn hat es getan! Drylyn!" Die Männer warfen sich auf ihn, um ihn im nächsten Augenblick wieder loszulassen. Drylyn?! Nein, das war ein unsinniger GeDanke! Nur, weil er kein Wort sagte, sollte er es sein? Nun natürlich war dem nicht nach Sprechen zumute! Natürlich war der vor Schreck gelähmt! Den traf es doch am schwersten! Und sie erftärten dem Scherif, daß Drylyn ein Verhältnis mit der Gazelle
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gehabt hätte, und daß er immer still und sonderbar gewesen wäre. D!" sagte der Scherif, und dieses" D" drückte Verwunderung und Zweifel zugleich aus; im stillen setzte er seine Betrachtungen fort.
Da ertönte ein wilder Schrei. Man hatte die Fußspuren hinter dem Zelte entdeckt! Dieser Schrei riß Drylyn aus seiner Bes täubung. Blindlings rannte er hinter den anderen her, um die Fußspuren zu sehen. Der über jede Vorstellung hinauswachsende Sturm der Leidenschaften, die seine Tat entfacht hatte, hatte jedes Denken in ihm getötet; es war seinem Bewußtsein völlig ent schwunden, daß er der Mörder der Gazelle war. Er hatte nur das dumpfe Empfinden, daß er bei einer Verfolgung beteiligt war, daß die Tannen an ihm vorbeirasten, und daß der Scherif ver suchte, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Sein Nachbar, ein richtiger Kalifornier, dessen Worte immer am leichtfertigsten flangen, wenn er es am ernstesten meinte, rief dem Scherif zu:" Ja ja, Ordnung. ist gewiß des Himmels erstes Gesetz und eine elegante Sache."
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Der ängstliche Beamte wagte nur zu entgegnen, daß Ungesetzlichkeiten dem guten Namen des Landes schaden und Ansiedler fernhalten könnten. Daraufhin wandte sich der Kalifornier plötz lich an Drylyn und fragte ihn:„ Na, wann gedenkst du denn auf zuwachen? Schlafwandeln ist nicht gesund." Drylyn antwortete nur mit einem sonderbar ernsthaften Lächeln und sie liefen weiter. Der schwaßluftige Kalifornier wandte sich nun an einen anderen Mann:„ Daß der Drylyn so an der Gazelle hing, wußte ich gar nicht," sagte er leise.„ Es kann ja wohl möglich sein, daß der Scherif die anderen davon abhält, den Mörder aufzuhängen! Aber Drylyn!? Das glaube ich nicht."
Sie tamen aus dem Walde heraus auf eine Straße. Drylyn war sich bewußt, daß dies die Poststraße zwischen Folsom und Surprise Springs war. Die Männer liefen die Straße hinunter. An einer Wegbiegung saß ein Mann ruhig auf einem Steine und wartete, wie es schien, auf die Post.
Plößlich sah er die Menge sich auf ihn zuwälzen. Er fuhr auf und zog einen Revolver hervor. Das war das Törichteste, was er tun konnte. Aber er dachte in diesem Augenblick nur daran, seinen Goldstaub zu verteidigen.„ Stecken Sie Ihren Revolver nur ein," rief ihm der Scherif zu." Sie tun besser daran, nicht noch mehr Leute zu töten." Der Mann seufzte wie befreit auf, als er die Stimme des Scherifs erkannte, und steckte sofort seinen Revolver ein. Er hatte geglaubt, daß es Wegelagerer wären, die auf sein bißchen Goldstaub fahndeten, und sah nun dem herandrängenden Haufen im Bewußtsein seiner Unschuld ruhig entgegen.
,, Wie viele Menschen habe ich denn schon getötet?" rief er den Leuten scherzend zu, als sie ihm näher kamen. Statt aller Antwort ergriffen sie ihn und durchsuchten seine Taschen. Als sie den Goldstaub bei ihm entdeckten, brachen sie in ein solches Wutgebrüll aus, daß das Lächeln auf seinen Lippen erstarrte. Dann fesselten sie ihn und trieben ihn vorwärts.
Vergebens versuchte er zu erklären, daß ein Irrtum vorliegen müßte. Der schwaßluftige Kalifornier antwortete ihm:„ Nun ja, es ist wohl immer ein Irrtum, wenn man eine Frau umbringt!" Die Leute fümmerten sich nicht weiter um die wachsende Angst des Mannes.
Als er sich an den Scherif wandte und ihn anslehte, ihm, um ihrer alten Bekanntschaft willen, doch zu sagen, wessen man ihn beschuldigte, lachten die Männer auf eine sonderbare Weise. Er sah ratlos in ihre erregten Gesichter.
„ Ich weiß wirklich nicht, was ihr von mir wollt," sagte er ganz verzweifelt.
Sie hielten das Gold empor und fragten ihn:" Wem hat das gehört?" Er zögerte einen Augenblick mit der Antwort. Eines weiteren Beweises bedurfte es für die Minengräber nicht. Sie fonnten ja nicht wissen, daß der glückliche Liebhaber auf eine Lüge sann, weil er plößlich Drylyns starres Gesicht erblickt hatte und sich scheute, in seiner Gegenwart die Wahrheit zu bekennen. In der Ferne wurde Rädergerassel laut bald darauf tauchte die Post auf und hielt. Der Wagen war leer, und der Kutscher und einer seiner Freunde saßen auf dem Bock. Sie beide kannten den Scherif sowohl als den Expreßboten und fragten erstaunt, was denn los wäre. Der immer ernste und immer ängstliche Scherif erzählte dem Kutscher, was für ein Verbrechen der Mann begangen haben sollte. Der Angeschuldigte stieß einen Entsegensschrei aus, als er die furchtbare Wahrheit hörte. Er begriff sofort, daß er in einer unentwirrbaren Kette von unglücklichen Zufällen und Mißverständnissen gefangen war. Atemlos, in Todesangst erklärte er jetzt den wahren Sachverhalt. ( Schluß folgt.)
Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zetkin ( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart . Druck und Verlag von J. H. W. Dtes Nachf. G.m.b.g. in Stuttgart .