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Für unsere Mütter und Hausfrauen
ohne ein Wort zu sagen, und kehrte zu dem Gefangenen und seinen Wächtern, die sich vor der Tanzhalle befanden, zurück. Sie hatten inzwischen nur einen Strick herbeigeholt und warteten in aller Ruhe auf ihn.
„ In Arkansas lebte einmal ein Mann, der gar kein Urteilsvermögen besaß," begann der Scherif .
Nun ja, so schlecht erzieht man die Leute in Arkansas ," sagte der Kalifornier , und die Männer bildeten einen Kreis um den Scherif und den Gefangenen.
Die Frau des Mannes hatte Urteilsvermögen, aber sie starb." " Das beweist schon gutes Urteil," bemerkte der Kalifornier . " Der Mann mußte die Farm nun allein bewirtschaften. Sie besaßen eine Geflügelzüchterei, und der Mann wußte, daß die Frau immer Hennen auf Enteneier gesetzt hatte. Er hatte sie nie gefragt, weshalb sie das täte, er wußte nur, daß sie es getan hatte. Da sich im Hühnerstall viele Eier fanden, aber keine Hennen, die brüten wollten, so nötigte der Mann, der fein Urteil hatte, eine Ente, die Eier auszubrüten. Es war eine sehr gute, aber etwas haftige Ente. Als die Küken ausgetrochen waren, nahm sie sich nicht die Zeit, sie zu betrachten, sondern führte sie sofort an den Teich. Da die Küken nicht in das Wasser gehen wollten, stieß sie sie mit Gewalt hinein, so daß sie jämmerlich ertranten. Am näch sten Tage tam eine Henne mit jungen Enten an den Teich. Die Ententüfen befanden sich sehr wohl im Wasser, und die Hühner mutter schritt inzwischen gackernd am Ufer auf und ab. Als die Ente das sah, erkannte sie ihren Irrtum und war sehr unglücklich. Aber die kleinen Küken waren im Himmel."
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Der Scherif bemerkte, daß es ihm gelungen war, die Wut der Männer etwas zu beschwichtigen, und er fuhr fort.„ Nun, Jungens, ist das hier nicht etwas Ahnliches wie mit der Ente? Ich weiß nicht, was ich noch sagen könnte, und ich weiß nicht, ob ich irgend etwas tun könnte. Die Sache steht schlecht für den Mann hier, das sehe ich ebensogut wie ihr. Aber, Jungens, es ist entsetzlich, einen Unschuldigen zu töten! Ich habe das einmal miterlebt und war Gott verzeih' mir selbst mit dabei! Es war ähnlich wie heute. Wir gingen aus, ihn zu suchen, und waren ganz sicher, auf der rechten Spur zu sein. Wir kamen an eine merkwürdige, uns ganz unbekannte Hütte hoch oben in den Bergen. Hier mußte er sich versteckt halten! Wütend über das begangene Verbrechen, fannen wir nur auf Rache. Der soll uns nicht entwischen, dachten wir. Wir machten unsere Flinten schußbereit und krochen zwischen den Bäumen durch bis dicht an die Hütte heran. Dann riefen wir nach dem Manne, und er kam mit einem Buche in der Hand heraus. Er sah aus wie der Mann, den wir suchten, und, Jungens wir ließen ihm keine Zeit... Er hat nie erfahren, weshalb wir schossen! Es war ein harmløser, alter Prospektor*, der es müde geworden war, dem Glück nachzujagen und nach Gold zu suchen. über seine Tür hatte er die Worte gemalt: Hier dringt das Böse nicht mehr störend ein. Er hatte geglaubt, daß die Welt ihn hier oben in Frieden lassen würde.... Seitdem habe ich immer ein Gefühl, als gehörte mein Leben in erster Linie jenem alten Manne und dann erst mir selbst. Ich stehe hier ganz allein. Ihr wißt, daß ich als einzelner nicht viel ausrichten kann. Deshalb bitte ich euch: achtet das Gesetz! Ich gebe zu, daß das Gesetz in diesem großen Lande an manchen Orten noch zu jung und an manchen Orten schon zu verfault ist, um sich Achtung zu verschaffen. In solchem Falle muß der amerikanische Bürger zur Selbsthilfe greifen. Aber ist das hier bei uns nötig? Nennt mir doch einen einzigen Mann hier, der den Schuldigen nicht mit dem Tode gestraft zu sehen wünschte! Müssen wir ihm nicht, gerade weil das so ist, die Möglichkeit geben, sich von dem Verdachte zu befreien? Ich sehe wieder den Prospettor an seiner Tür! Ein alter, harmloser Mann tam furchtlos auf unseren Ruf heraus, weil sein Gewissen rein war. Und wir schossen ihn nieder, ohne ein Wort zu sagen!- Jungens, der Alte hat ein Recht auf mich! Und wenn ihr darauf besteht-
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Der Scherif hielt inne, befriedigt von dem Eindruck, den seine Erzählung auf die Minengräber gemacht hatte. Einige kannten die Geschichte von dem Prospektor sie hatte in der Zeitung ge standen, aber daß der Scherif dabei beteiligt gewesen war, hatten sie nicht gewußt. Sie begriffen sehr gut, daß er seine Tat mit der Verteidigung dieses Gefangenen sühnen wollte. Es trat Stille ein, und die Stimmung schien sich zugunsten des Gefangenen zu neigen. Plöhlich erklang Pferdegetrappel.... In demselben Augenblick fam Drylyn aus dem Zelt heraus. Als er die Pferde erblickte, begriff er sofort, daß es sich um einen Rettungsversuch handelte. Er erwachte plötzlich aus seinem dumpfen Traumzustand und lief, einem
* Prospektoren nennt man in Amerika Leute, die das Land durchwandern, um nach Gold zu suchen. Auch Wassersucher werden manchmal so genannt.
Nr. 17
menschlichen Antrieb folgend, den Hügel hinab, um zu helfen. Der Scherif, der ihn zufällig bemerkte, glaubte, daß er entfliehen wollte. „ Seht, das ist der Mörder!" rief er aufgeregt. Einige Männer rannten zum Hügel, und als sie den laufenden Drylyn und die Pferde da unten erblickten, wußten auch sie sofort, daß es sich um einen Fluchtversuch handelte. In wilder Hafst liefen sie zurüd, packten den Scherif, warfen ihn zu Boden und hielten ihn fest, weil sie glaubten, daß er in heimlichem Einverständnis mit dem Kutscher gehandelt hätte.
" So, du warst allein warst du allein?" schrie der Kalifornier . Nun, deine Rede war gut. Halt still, wir tun dir nichts!"
Diese scheinbare Falschheit des Scherifs reizte die Wut der Männer auf das äußerste. Sie rotteten sich zusammen, und rasch wie der Blitz war das Schicksal des Gefangenen entschieden. Die Schlinge wurde ihm um den Hals geworfen, und das Todeswerk nahm seinen Lauf....
Als Drylyn vorsichtig den Hügel hinauf geschlichen tam, um zu erspähen, ob der Augenblick für die Befreiung des Angeschuldigten günstig wäre, sah er, wie sich der in der Luft schwebende Körper dunkel vom flaren Abendhimmel abhob. Mit wildem Aufschret stürzte er auf die Männer zu stürzte er auf die Männer zu sie packten ihn und hielten ihn fest. Erst als der Strick seine Schuldigkeit getan hatte, ließen ste ihn los und gaben auch den Scherif frei.
Inzwischen war der Freund des Kutschers, der seine Pferde unter den Tannen hatte stehen lassen, herbeigekommen.
" Ihr habt es gut gemeint," wandte der Scherif sich an ihn. Erzähle den Jungens doch, wie du hierher gekommen bist. Ste glauben, daß ich sie belogen habe."
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" Ich werde ihnen die Sache erklären," sagte Drylyn.„ Ich bin der Mann, den ihr suchtet!"
Die Männer blickten ihn betroffen an. Ihre Leidenschaft hatte sich ausgetobt jetzt standen sie stumm und wie betäubt da, wäh rend die Dämmerung sich allmählich auf die Berge zu senken begann.
" Ihr glaubt, daß ich meinen Verstand verloren habe," sagte Drylyn.„ Aber seht," er holte sein Messer hervor,„ mit diesem Messer habe ich es getan! Mit diesem Messer, sage ich euch." Sie blickten stumm auf das Messer in seiner Hand.
„ Der da," fuhr Drylyn auf den Toten zeigend fort, hatte sich zwischen sie und mich gedrängt. Ich wollte ihn auch umbringen! Das wäre mein Recht gewesen." Er sah auf das Messer nieder und drehte es hin und her. Als er aufblickte, las er zweifelndes Staunen in den Gesichtern seiner Kameraden. Ihr glaubt mir immer noch nicht," schrie er wild. Aber ihr sollt mir glauben! Ich kann es euch beweisen."
Er rannte an den Bach hinunter und kehrte mit seinen blut getränkten Beinkleidern in der Hand wieder. Entsett wichen die Männer vor ihm zurück.
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Glaubt ihr noch, daß es bei mir im Kopfe nicht ganz richtig ist?" fragte er und warf die Beinkleider hin. Ich bin vollkommen ruhig, so ruhig, wie diese große Tanne da."
Erwartungsvoll blickte er die Männer an. Nun macht aber rasch ein Ende!" Aber keiner rührte sich.
„ Ich habe das Recht zu fordern, daß ihr es rasch macht. Mit dem da habt ihr es rasch genug gemacht," sagte Drylyn, mit der Hand auf den Toten zeigend.
Die Männer folgten mit ihren Blicken der Bewegung seiner Hand und starrten schweigend zu dem unschuldig Gerichteten empor dann blickten sie wieder den Schuldigen an.
Der Ralifornier schüttelte den Kopf. Es ist merkwürdig," sagte er langsam. Man müßte es tun- aber man tann es jetzt nicht! Man kann nicht schießen, wenn die Flinte abgeschossen ist."
Der schwerfällige Drylyn blickte seine Kameraden erwartungs voll an. Ihr wollt nicht?" fragte er.
„ Geh du nur irgendwo anders hin hier bei uns kannst du nicht bleiben," entgegnete der Kalifornier .
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Drylyns Augen liefen über die Gräben und die Goldgruben, über die nahen Hütten und die fernen Hügel hin und blieben dann an dem Toten haften. Ihn und mich uns beide," murmelte er. Das war nicht recht. Ihn und mich...!" Plötzlich brach er in die Worte aus:„ Aber er soll nicht denken, daß ich so bin...!" Ehe die Männer es verhindern konnten, warf er sich zu Boden, und das Messer bohrte sich in seine Brust.
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" Scherif ," begann er, aber seine Stimme versagte.„ Ich- werde ihn einholen," flüsterte er.„ Er- wird alles erfahren. Legt mich- an seine Sie taten es.
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- Sei- te
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