Für unsere Mütter und Hausfrauen
Nr. 20
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Beilage zur Gleichheit
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Für die Waterloo.
Inhaltsverzeichnis: Johann Peter Hebel . II. Von Dr. Wilhelm Hausen stein. Aus alten Zeitungen. Von Hannah Lewin- Dorsch. Hausfrau. Feuilleton: Mittagsglut. Von Karl Stieler . Von Stendhal .
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II.
Im Jahre 1791 wurde Hebel als Subdiakon nach Karlsruhe versetzt. Er hatte in dieser Eigenschaft am Gymnasium Latein , Griechisch, Rhetorik( Redekunst) und schließlich auch Hebräisch, neben den philologischen Fächern aber auch Naturgeschichte zu lehren und war außerdem verpflichtet, zuweilen die Kanzel zu besteigen. Als Lehrer hatte Hebel Glück. Er war überaus beliebt; die Buben merkten den Menschen und merkten auch, daß ihr Schulmeister fein übermäßig und unnahbar Gelehrter war. Hebel hat in der Tat zeitlebens einen Horror gegen dicke Bücher bekundet und hat es nie vermocht, systematisch zu arbeiten.
Als Prediger war Hebel minder erfolgreich wie als Lehrer. Die trockene Feierlichkeit des protestantischen Kultus war nicht seine Sache. Und er wußte es troß seines drolligen pastoralen Ehrgeizes auch, daß er auf der Kanzel nicht zu Hause war. 1791 schrieb er an Gustave, die Lörracher Liebste, einen reizenden Brief darüber:„ Ich bin so stolz, daß die Karlsruher Kenner so ziemlich zufrieden waren, und kaum die Hälfte der Zuhörer, höchstens zwei oder drei mehr, einschlieffen, so stolz, daß ich die Predigt in die ganze Welt schifen möchte, und Sie mir gar keinen größern Verdruß anthun könnten, als wenn Sie mich wissen ließen, daß Sie dieselbe nur zum Spaß verlangt hatten. Aber ein Karlsruher Diafonus laßt nicht mit sich spaßen. Sie müssen sie iezt haben, und sollten Sie nur Baumwollen darauf spinnen, oder Ihre blonden Haare damit aufwikeln. Bis dorthin ist's ohnehin eine alte Predigt und was kann eine alte, und noch dazu eine schlechte Predigt für einen schönern Tod pretendiren, als einen solchen....?"
Kann ein Theolog dem Wert seiner Predigtkunst liebenswürdiger mißtrauen? Mit ähnlicher feiner Selbstverspottung schrieb Hebel 1792 an Gustave von seiner ersten Predigt vor dem Hofe:„ Ich sah schon im Geiste voraus, wie sich alles in Thränen badete, wie der Sigrist mit einem Regenschirm in der Hand den Klingelbeutel einziehen mußte, wie der Marggrav mir ein Patent als Hofdia fonus mit einer Zulage von zweyhundert Gulden ins Haus schitte....." Da bekommt Hebel infolge eines allzu guten Essens eine Kolit. So predigt er den Vormittagschristen" acht Tage später. Das erste Mal ärgerten sie sich, daß ich nicht kam. Das zweyte Mal kam ich, und nun bereuten sie es, daß sie nicht zu Hause geblieben waren..... Man konnte so trockenen Fußes durch die Kirche wie durch einen geheizten Backofen gehen, auch ist der Läuffer von Hof noch nicht gekommen....."
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War Hebel ein mittelmäßiger Prediger, wiewohl der Markgraf • sein zähester Hörer war, so war er doch ein Mann von inniger Religiosität und vielleicht vermochte er es gerade deshalb nicht, im Talar zu schwätzen. Hebel war sozusagen überzeugter Christ, mitunter in einem fast altfränkischen Sinne. Sust sin die junge Burst mengmole e wenig phantestig, meine, si beige ellei mit Löffle d' Glärsamkeit gfresse. Dreck hen si gfresse, io woll... Schwätzen uf der Chanzle von weltliche Sachen us Büchre, b'haupte Christis der Her seig' s Josephs libliche So gsi, heig nit für is glitte, seig nit von de Todten erstande hol üch der Teufel denn au! Die dunderschießige Läri!"
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So meinte Hebel 1787 an einen jungen Freund und Pfarrer. Aber der Humor des Tones widerlegt bereits die scheinbare Rechtgläubigkeit. Hebel war als Christ vor allen Dingen humanitärer Sittenlehrer, nicht aber Dogmatiker. Er machte die Sittenlehre des Christentums geltend, eine Moral der Menschlichkeit und Milde. Er fonnte nicht begreifen, daß Gott einem launischen Wohltäter gleichen soll, der alle seine Wohltaten an wunderliche Bedingungen knüpft. Und das täte er doch, wenn er den, welcher das, was die protestantische oder katholische Kirche sagt, geradezu glaubt, selig machte, und den, der gern glauben möchte,..... wenn er könnte, verdammen wollte..... Über den Rand des Grabes hinaus kann es wohl wenig schaden, nicht geglaubt zu haben, was man nicht glauben konnte..... Wer ohne den Glauben gut handelt, auch dessen wird sich Gott erbarmen....." Hebels Christentum war
O O O O O O O O 1911
weiter sinnlich in der künstlerischen Bedeutung des Wortes. Sein Christentum empfand, daß die Glocken der Wiesentäler Dorfkirchen in der falten und klaren Luft des Jänners anders tönen als in der Sonne des Maitags. Sein Christentum war von derartig seinen Wahrnehmungen inniger entzückt als der orthodoxe Kollege von sämtlichen Teilen der Augsburgischen Konfession. Für Hebel war jede Naturschönheit religiöse Offenbarung.„ Ebenso fromm( wie in der Kirche)... kann ich auch seyn wenn ich den ganzen Sonntags Morgen, in Beiertheim im Hirschen, im Grasgarten unter den Bäumen im Freien, bey einem halben Schöpplein Rothen und Butterbrod in der Sonntagsstille, unterbrochen von Glockengeläut, und Bienenfumsen size und im Jean Paul lese....." Das Anschauliche, das Sichtbare, Hörbare, Riechbare war weit mehr der Quell seiner religiösen Überzeugungen als der dogmatische Begriff. Das ging so weit, daß sein religiöser Glaube geradezu an die be stimmte Örtlichkeit seiner Heimat gebunden war.„ Ich glaube, daß am iüngsten Tag die Morgenröthe lauter Blize seyn, und der Donner Schlag auf Schlag die Morgenwache antrommeln werde. Wie es dann an ein Betglockläuten gehen wird, von Hauingen den Berg herum bis nach Efringen hinab! Wie sich die Leute die Augen reiben werden, daß es schon tagt! Wie es an ein Schneiden und Garbenbinden gehn wird, denn man will behaupten, daß der iüngste Tag in die Erndte fallen werde!..... Das alles könnte ich dort oben herab( vom Tüllinger Berg) ansehn und nach Weil hinunter schaun, und denken: nun werden sie dort unten doch auch aus den Federn seyn..... Und wer weiß, was ich täte, ob ich nicht in der blitzigen Morgendämmerung geschwind durch die Reben hinabstolperte, und Ihnen zusammen Ihre schweren goldenen Garben binden hülfe....." So schrieb Hebel 1792 an die Freundin im Weiler Pfarrhaus, an Gustave.
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Aus dem echt künstlerischen Bedürfnis nach einem konkret ausgedrückten Glauben, nach ins einzelne hinein bestimmten religiösen Vorstellungen stammte ihm wie der Widerwille gegen verstandesmäßige Dogmatik auch der Widerwille gegen einen sentimentalen, sich selber genießenden und kennenden Mystizismus. Hebel schrieb und es nicht einmal an Hitzig:„ Wir sollten Mysticismus haben wissen, und sollten wenigstens keinen griechischen terminus technicus ( Fachausdruck) dafür haben. Denn dadurch wird ein so stilles heimliches Hausgespenstlein leicht beschrieen....." Endlich war in dieser töstlich ursprünglichen und unbefangenen Religiosität auch kein Platz für den orthodox festgenagelten Gottesbegriff. 1808 äußerte sich Hebel in einem Brief an Hizig:" Ich gestehe dir, daß mir der Polytheism* immer mehr einleuchtet, und nur die Gefangenschaft, oder Vormundschaft, in welcher uns der angetaufte und anerzogene und angepredigte Glauben hält, hinderte mich bisher, den seligen Göttern Kirchlein zu bauen. Unser dermaliger philosophischer Gott steht, fürchte ich, auf einem schwachen Grund, nemlich auf einem Paragraphen, und seine Verehrer sind vielleicht die törichtesten Gößendiener, denn sie beten eine Definition an und zwar eine selbstgemachte. Ihr Gott bleibt ewig ein Abstractum und wird nie concret. Als man zur Zeit der Bibel nur ein paar Cubikflafter vom Weltall kannte, war es keine Kunst sich mit einem einzigen Gotte zu begnügen..... Und doch konnte selbst der sanktionierte Mono theismus ** nur mit Zwang und nie mit Glück, den Götterglauben und die Anbetung derer, die uns näher sind, als der einzige, ewig unsaßbare über den Sternen, entfernt halten. Ich möchte mich gerne mit einem oder einigen Göttern dieser Erde begnügen, die um uns sind, die uns lieben und beobachten, die unsere Blüten* fnospen auftun, unsre Trauben reifen lassen, denen wir trauen fönnen, und die sich lediglich nichts darum zu bekümmern haben, wer für die anderen Sterne sorgt, so wenig als wir. Sie sollen nicht allmächtig, nicht allweise, nur mächtig und weise genug für uns seyn, nicht souverain, sondern untergeordnet einem noch mächtigeren und weisern, um den sie sich, nicht wir uns zu bekümmern haben. Sie sind vielleicht schon oft erschienen, den Juden und Griechen, beiden in der Gestalt und Form, in der sie ihnen erfaßbar waren, dort Engel, hier Dämonen; sie würden vielleicht auch uns noch eben so wie ienen wahrnehmbar seyn, wenn wir nicht durch den Unglauben an sie die Empfänglichkeit ihrer Wahrnehmung verloren hätten. Das Organ dazu ist in uns zerstört...."
* Glauben an viele Götter( zum Beispiel im Sinne der altgriechischen Religion).
** Glauben an einen einzigen Gott.