Nr. 21

Für unsere Mütter und Hausfrauen

sondern auch der Mutter und dem nachfolgenden Kinde. Nach­teilige Folgen des langen Stillens sind für gesunde Mütter und Kinder nicht bekannt geworden. Das Kind darf allerdings nicht über Jahre ausschließlich an der Brust ernährt werden, etwa vom neunten Monat ab soll es eine Beitost erhalten, als die zuerst Brühe und leichtes Gemüse verabreicht wird, die aber mit der Zeit nahrhafter werden muß. Unter dieser Voraussetzung wird auch von längerer Brusternährung fein Schaden zu erwarten sein. Jahre lange Stillbauer ist bei vielen Völkern üblich: bei den Japanern, Chinesen, Estimos, Negern, Indianern, in islamitischen Ländern, ferner in Norwegen , Schweden und stellenweise auch in Deutschland . In King- Williams- Land ( Nordamerika ) soll es nach E. Bessels nicht felten vorkommen, daß ein 14 bis 15 jähriger Junge, der eben von der Jagd kommt, einen Schluck aus der Mutterbrust nimmt, und in dem Buche von Strazz über den Körper des Kindes ist ein vierjähriger javanischer Säugling abgebildet, der aus der Mutter­brust trinkt.

"

Feuilleton

Waterloo.

Von Stendhal .

W.

( Fortsegung.)

, Armer Kleiner, du wirst im Handumdrehen weggeputzt sein! Das ist bei Gott wahr! Auf jeden Fall," setzte sie im Befehlston hinzu, mußt du mit mir gehen!"

" Ich will aber ins Feuer!"

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wein an, das er mit einem Schlucke hinunterstürzte. Er konnte wieder auf seinen Klepper Hettern und setzte schweigsam seinen Marsch fort. Die Marketenderin schielte ihn von Zeit zu Zeit von

der Seite an.

" Du fannst morgen ins Gefecht gehen, mein Junge," sagte sie nach einer Weile; heute bleibst du bei mir! Du siehst wohl ein, daß du das Soldatenhandwerk erst lernen mußt."

" Im Gegenteil, ich will sofort ins Gefecht!" rief unser junger Held mit finsterer Miene, die der Marketenderin von guter Vor­bedeutung schien.

Der Kanonendonner wurde stärker und schien näher zu kommen. Die einzelnen Schüsse waren in eine rollende Kanonade überge= gangen, ohne irgendwelche Pause, und durch das unaufhörliche Brummen hindurch, das an das Tofen eines fernen Kataraktes er­innerte, vernahm man deutlich das Knattern des kleinen Gewehrs. In diesem Moment führte der Weg in ein kleines Gehölz. Die Marketenderin sah drei oder vier Soldaten in großen Sägen auf fich zulaufen. Sie sprang behende vom Wagen und verbarg sich eiligst fünfzehn bis zwanzig Schritte seitwärts vom Wege in einer Grube, die vom Ausroden eines großen Baumes offen geblieben war." Jeßt," fagte sich Fabrizzio, werde ich sehen, ob ich ein Feigling bin!" Er hielt neben dem von der Marketenderin im Stiche gelassenen Wagen und zog seinen Säbel. Die Soldaten be­merkten ihn gar nicht und liefen spornstreichs vorüber, längs des Gehölzes, links vom Wege.

,, Das sind welche von uns," sagte die Marketenderin beruhigt, indem sie ganz außer Atem wieder zu ihrem Wägelchen zurückkam. ,, Wenn deine Kracke Galopp ginge, würde ich dir sagen: reite bis an den Waldrand vor und schau' aus, was im freien Felde

Das sollst du auch! Komm'! Das sechste Regiment ist nicht los ist." von Pappe! Und heute gibt's für jedermann zu tun!"

Werden wir denn bald bei eurem Regiment sein?"

Höchstens in einer Viertelstunde!"

,, Unter dem Schuhe dieser braven Frau," sagte sich Fabrizzio, " gerate ich bei meiner absoluten Unwissenheit wenigstens nicht in den Verdacht, ein Spion zu sein, und kommne ins Feuer."

In diesem Augenblick verdoppelte sich der Kanonendonner; Schuß folgte auf Schuß. Wie die Perlen am Rosenkranz ," meinte Fa brizzio.

" Man hört schon das Schützensener durch," sagte die Marke tenderin und verfette ihrem Pferde einen Peitschenhieb; es war durch die Schießerei fchon recht lebhaft geworden.

Sie bog in einen Feldweg rechts ab über die Wiesen. Der Schlamm war fußtief, beinahe blieb der Karren darin stecken. Fa= brizzio griff in die Räder. Sein Gaul stürzte zweimal. Bald ward der Weg trockener, verlief sich aber in einen schmalen Wiesenpfad. Keine fünfhundert Schritte weiter blieb Fabrizzios Gaul urplötzlich stehen: ein Toter lag quer über den Weg. Roß wie Reiter erschraken gleichermaßen. Das von Natur sehr blasse Gesicht Fabrizzios färbte fich völlig grün. Die Marketenderin blickte den Toten an und mur­melte vor sich hin:

Der ist nicht von unserer Brigade." Dann fiel ihr Blick auf unseren Helden.

Feines!"

je, mein Junge!" platte sie lachend heraus, das ist was Fabrizzio war starr wie Eis. Was ihn ganz besonders entsetzte, waren die schmutzigen Füße dieser Leiche, die man bereits der Stiefel beraubt hatte. Sie hatte nichts mehr an als ein paar schlechte blutdurchtränkte Hosen.

" Immer' ran!" ermunterte ihn die Marketenderin ,,,' runter vom Gaule! An dergleichen mußt du dich gewöhnen. Schau, er hat eins durch den Schädel gekriegt!"

Gine Gewehrfugel hatte den Gefallenen neben der Nase ge­troffen und war auf der anderen Seite an der Schläfe wieder her­ausgegangen; das Antlitz der Leiche war gräßlich entstellt, ein Auge stand offen.

" Sitz' doch ab, Kleiner," sagte die Marketenderin, und drück dem armen Kerl die Hand, vielleicht tut er's auch!"

Dhne Zaudern, wenngleich vor Efel halb entfeelt, sprang Fa­brizzio vom Pferde, ergriff die Hand des Toten und schüttelte sie herzhaft. Dann stand er wie geistesabwesend da; er fühlte, daß er nicht die Kraft hatte, wieder in den Sattel zu kommen. Was ihm befonders Schaudern einflößte, das war das eine offene Auge.

"

Die Marketenderin wird mich für einen Feigling halten," sagte er fich mit Bitternis. Aber er fühlte sich außerstande, eine Bewe­gung zu machen: er wäre dabei umgefallen. Dieser Augenblick war abscheulich. Es fehlte nicht viel, so wäre ihm völlig übel geworden. Die Marketenderin merkte das, sprang flint von ihrem kleinen Wagen und bot ihm, ohne ein Wort zu sagen, ein Glas Brannt­

Fabrizzio ließ sich das nicht zweimal sagen, er riß einen Pappel­zweig herunter, streifte die Blätter ab und schlug aus Leibeskräften auf seinen Gaul los; ein Stückchen Weges galoppierte er, dann fiel er wieder in seinen gewohnten Zotteltrab. Die Marketenderin hatte ihr Pferdchen gleichfalls in Galopp gesetzt.

Halt, nimm mich mit!" schrie sie ihm zu.

Bald waren sie beide am anderen Rande des Gehölzes. Die Ebene lag frei vor ihnen, sie hörten ein schreckliches Getöse, die Kanonade und das Gewehrfeuer krachten von allen Seiten, rechts, links, rückwärts.... Das kleine Gehölz, das sie eben verlassen hatten, lag auf einem Hüge! acht oder zehn Fuß über der Ebene; so beobachteten sie recht gut ein Stück von der Schlacht. Aber schließlich war auf dem Wiesengrund vor dem Gehölz keine Seele. Tausend Schritte weiter war die Wiese von einer langen Reihe dichter Weidenbäume begrenzt, über den Weiden sah man weißen Rauch, der mitunter hoch in die Luft emporwirbelte.

Wenn ich nur wüßte, wo das Regiment ist," sagte die Marke­tenderin ratlos, geradeaus über die große Wiese dürfen wir nicht. Übrigens," riet sie Fabrizzio, wenn du einen feindlichen Soldaten siehst, so figle ihn ein bißchen mit deiner Säbelspitze, laß dir nicht einfallen, ihn niederzufäbeln."

In diesem Augenblick erblickte die Marketenderin die vier Sol­daten von vorhin wieder; sie kamen aus dem Gehölz hervor und liefen in die Ebene hinab, links vom Wege. Einer von ihnen war zu Pferd.

Das ist was für dich!" sagte sie zu Fabrizzio. He! Hallo!" rief sie dem Reiter zu, komm' und trint' nen Schnaps!" Die Soldaten famen heran.

,, Wo ist das sechste Leichte?" fragte sie.

,, Da drüben! Fünf Minuten von hier, über den Graben weg, der die Weiden entlang geht. Eben ist der Oberst Macon ge­fallen."

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Du, willst du fünf Franken für deinen Gaul?"

Fünf Franken! Du willst wohl Scherz machen, Altchen? Ein Offizierspferd, für das ich binnen einer Viertelstunde fünf Napoleons friege."

Gib mir einen von deinen Napoleons ," sagte die Marketenderin zu Fabrizzio. Dann ging sie dicht an den Reiter heran.

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Schnell' runter!" sagte sie zu ihm, hier ist dein Napoleon !" Der Solbat faß ab, Fabrizzio schwang sich frohgemut in den Sattel. Die Marketenderin schnallte den fleinen Mantelsack ab, der noch auf dem Klepper war.

Helst mir doch, Kerle!" rief sie den Soldaten zu. Läßt man eine Dame fich so placken?"

Kaum fühlte das Beutepferd den Mantelsack auf seinem Rücken, als es zu bocken begann, so daß Fabrizzio, der ein sehr guter Reiter war, alle Mühe hatte, es zu bezwingen.

Ein gutes Zeichen," meinte die Marketenderin, der Mosjöh ist das Kizeln des Mantelsacks nicht gewöhnt."