Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 22

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Beilage zur Gleichheit oooo

Inhaltsverzeichnis: Die Behandlung der Milch im Haushalte. Von Felix Linke. Das tägliche Brot" bei den alten Deutschen. Von Hannah Lewin- Dersch. Die Mutter als Erzieherin. Feuilleton: Es ist fein Gott. Von Shelley. Waterloo. Von Stendhal. ( Schluß.)

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Die Behandlung der Milch im Haushalte.

Die Bedeutung der Milch als Voltsnahrungsmittel wird noch vielfach erheblich unterschätzt. Der erwachsene Mensch denkt zu wenig daran, daß er während seines ersten Lebensjahres fast aus­schließlich von diesem Nahrungsmittel gelebt hat. Die hohe Säuglings sterblichkeit hat erst wieder die Bedeutung der Milch zur richtigen Würdigung gebracht. Wie wichtig die Milchfrage für die Bevölkerung ist, tommt auch in der Tatsache zum Ausdruck, daß in manchen Gemeinden der Geldwert der verbrauchten Milch den des Brot getreides übersteigt.

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Im Gegensatz zu anderen Nahrungsmitteln verlangt die Milch im Haushalte eine aufmerksame Behandlung, wenn sie tauglich bleiben soll. Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit sie nicht verdirbt. Auf dem Lande ist die Behandlung vor der Lieferung sehr einfach. Die Milch wird nach dem Melten durch geseiht und ohne weitere Maßnahmen an die Konsumenten abges geben. Anders ist es in der Großstadt, wo die Milch von den Verbrauchern nicht unmittelbar aus dem Stall bezogen werden kann, sondern meist aus größeren Entfernungen hergebracht werden muß und erst durch die Vermittlung oft mehrerer Hände an die Ver­braucher gelangt.

Ein altes Mittel, die Milch vor dem Verderben zu schützen, ist das Kochen. Wohl in jedem Haushalt wird die Milch vor dem Gebrauche abgefocht. Das Mittel war aus der Erfahrung gewonnen, ohne daß man wußte, warum die Milch durch Kochen haltbarer und gesünder wird. Heute wissen wir, daß durch das Kochen die in die Milch hineingelangten niederen Lebewesen, die Batterien, ver­nichtet und damit die durch diese bewirkten Zersehungsvorgänge gehemmt werden. Man hat früher geglaubt, daß durch Kochen alle in der Milch befindlichen Lebenskeime vernichtet würden. Das ist aber nicht der Fall. Die Siedetemperatur der Milch beträgt etwa 100 Grad. Diese Temperatur genügt aber nicht zur Ab­tötung aller Reime, es gibt vielmehr eine ganze Reihe von Dauer formen( Sporen), die noch erheblich höheren Hizegraden stand­halten. So können beispielsweise Milzbrandsporen über drei Stunden lang einer Temperatur von 140 Grad ausgesetzt werden, ohne ihre Reimfähigkeit, ihr Leben einzubüßen! Vor allen Dingen genügt das einfache Aufwallenlassen der Milch beim Kochen lange nicht, um alle Keime zu töten. Man kann darauf aber auch verzichten. Wenn die Milch aus einwandfreien Ställen kommt, ist es nicht nötig, sie völlig kochen zu lassen oder gar unter Druck auf noch höhere Hize­grade zu erwärmen. Die großen Milchverwertungsanstalten be­schränken sich daher auch darauf, die Milch zu pasteurisieren, bevor sie sie in den Handel bringen. Beim Pasteurisieren wird gewöhnlich die Milch auf 70 bis 80 Grad Celsius erhitzt und einige Zeit in dieser Temperatur erhalten. Während dieser Zeit können die Dauerformen der vorhandenen Lebensteime zu soge­nannten vegetativen auskeimen und diese vegetativen Keime dann vernichtet werden, wenigstens zum größten Teile. Solche Milch ist also nicht steril, keimfrei, sondern nur feimarm. Die wenigen noch vorhandenen lebenden Keime können später ruhig zur Ent­wicklung gelangen; wenn die Milch nicht allzu lange steht, werden sie nicht mehr gefährlich. Die Erhizung einer gut vorbehandelten Milch auf mittlere Wärmegrade führt zu einer wesentlichen Veredlung des Rohmaterials, sei es nun Vollmilch oder Rahm oder Mager milch, so daß man daraus Produkte erzielen kann, welche die aus erhitter Milch gewonnenen an Wohlgeschmack, Reinheit und Halt­barkeit weit übertreffen. Diese Tatsache macht sich namentlich die dänische Meierei zunube, und sie hat dadurch erreicht, daß die dänische Butter auf dem Weltmarkte führend dasteht. Mechanische Verunreinigungen der Milch werden durch Kochen natürlich nicht beseitigt. Das muß durch Durchseihen oder in Filtern geschehen. In größeren Betrieben werden dazu mit gutem Erfolg Sandfilter verwendet, die mit gereinigtem Kies beschickt sind..

Im Haushalt beschränkt sich die Behandlung der Milch auf das Kochen. Zu dem Zwecke sind meist die einfachsten Vorrich tungen vorhanden, die sich denken lassen. Es wird ein gewöhn

licher Topf verwendet, der nicht einmal immer ausschließlich für diesen Zweck benutzt wird. Daher stellten sich auch die mannig fachsten Ungelegenheiten ein. Die Milch läuft beim Kochen über oder brennt an. Benutzt man einen sauberen Topf, so wird das Anbrennen nicht so leicht vorkommen, namentlich wenn man den Topf mit Wasser anfeuchtet, bevor man die Milch eingießt und kocht. Besonders die Benutzung offenen Herd- oder Gasfeuers begünstigt das Anbrennen. Das Anbrennen der Milch beruht auf ähnlichen Vorgängen, wie sie in Dampffesseln zum Ansatz von Kesselstein und zu Explosionen führen. Das in Dampffesseln verwendete Wasser enthält bekanntlich eine Menge mineralischer Stoffe gelöst. Diese scheiden sich beim Kochen des Wassers aus, so namentlich der fohlensaure Ralf, und lagern sich an den Wandungen des Dampf­Kessels als Kesselstein ab. An denjenigen Stellen, wo der Kessel­stein sich ansetzt, läßt er das Wasser nicht an die Kesselwandung unmittelbar herantreten. Kesselstein ist aber ein schlechter Wärmes leiter. Ist nun der Ansatz über eine größere Fläche verteilt und schon einigermaßen dick, so kann die durch die Feuergase zuge­führte Wärme nicht schnell genug an das Wasser abgegeben werden. Es kommt dann mitunter vor, daß die betreffenden Stellen des Kessels glühend werden und sich dadurch stark ausdehnen. Dadurch bekommt der dort angesetzte Kesselstein Brüche, durch die das unter Druck stehende Wasser an die Kesselwand strömt und den Kessel stein durch die plögliche, überaus starke Dampfentwicklung abreißt, so daß das Wasser sich ungehindert an die Kesselwand preßt. Das glühende Eisen bewirkt aber eine so stürmische Dampfentwicklung, daß manchmal eine Explosion des Kessels eintritt. Auch der her metisch geschlossene Kochtopf ist solchen Gefahren ausgesetzt. Bei der Milch verläuft nun die Sache folgendermassen. Während des Kochens kann aus irgendwelchem Grunde zum Beispiel in folge Verunreinigung der Gefäßwände besonders mit Fett sich ein fester Niederschlag bilden. Begünstigt wird das durch die große Menge fester Körper, die die Milch enthält. Dieser feste Niederschlag ist ein schlechter Wärmeleiter, der bewirkt, daß an denjenigen Stellen, wo er ansigt, sich der Topf besonders stark er­hitzt, so stark, daß schließlich der Niederschlag selbst anbrennt und durch die Verteilung angebrannter Partikelchen durch die ganze Milch dieser den Brenngeschmack gibt. Verhüten kann man das Anbrennen durch stetes Umrühren der Milch beim Kochen, wozu man sich am zweckmäßigsten eines Gerätes aus einem Stoff( Glas­stab, Porzellanstab) bedient, an den die Milch sich nur schwer an­setzen fann. Man kann dem Anbrennen aber auch dadurch vor. beugen, daß man die Milchtemperatur nie über 100 Grad hinaus. gehen läßt. Das geschieht, indem man die Milch in einem Bade kochenden Wassers erhitzt und auf diese Weise tocht. Kochendes Wasser unter normalem Atmosphärendruck wird nie heißer als 100 Grad; stärkere Wärmezufuhr bewirkt nur ein stärkeres Kochen und damit rasche Verdampfung des Wassers. Solange also Wasser vorhanden ist, kann das in ihm befindliche Gefäß mit der Milch nie über 100 Grad heiß werden, und die Milch wird niemals anbrennen, weil eben die in ihr befindlichen Bestandteile bei dieser Temperatur noch nicht brennen können. Hierauf beruht auch das Soxhletsche Verfahren.

Das Austochen der Milch aber und ihr Überlaufen erklärt sich so. Das Kochen der Milch tritt bei etwa 100 Grad ein, gerade dann, wenn auch das Wasser zu sieden beginnt. Hat die ganze Masse der Milch diese Temperatur erreicht, so treten die großen Wasser Dampfblasen auf, wie beim Kochen des Wassers auch. Da die Milch wegen des Fettgehaltes ein viel zäherer Körper ist als das Wasser, so werden bei ihr die Blasen sehr viel größer und das Aufwallen geschieht viel stürmischer. Verstärkt und begünstigt wird das noch durch die beim Aufkochen frei werdende Kohlensäure. Der geschilderte Vorgang des Auskochens und Überlaufens gibt von selbst ein Mittel an, das zu verhüten. Man sorge dafür, daß die großen Blasen zerstört werden, bevor es zum überlaufen kommt, oder man lasse die Milch in einem eigens konstruierten Kochtopf überlaufen, wodurch die Blasen platzen und ihr Inhalt in die Luft entweicht. Dieser Rochtopf ist so beschaffen, daß die übergelaufene Milch in den Topf zurückfließt. Der bekannte Ber­liner Hygieniker Flügge hat eine solche Konstruktion angegeben. Am besten ist ein irdener Kochtopf, der oben durch einen Deckel abgeschlossen werden kann. Der Deckel liegt aber nicht oben auf dem Rande auf, sondern auf einem Ringwulst, der etwa 5 Zenti­