Nr. 22

Für unsere Mütter und Hausfrauen

der Ansatz zu einer wichtigen und wertvollen Charaktereigenschaft des werdenden Menschen ist. So raubst du deinem Kinde ein Stück Lebensfreude, du siehst in der Jugendzeit nicht den schönsten Lebens­abschnitt des Menschen, der sein volles Recht auf seine eigene Art hat. Statt dessen bekämpfst du die eigentliche Kindlichkeit, statt dessen siehst du in den Jugendjahren ein bellagenswertes Entwicklungs stadium, eine Periode der Unvollkommenheit und der Mangelhaftig feit, die schnell überwunden werden muß, damit das Kind auf die Höhe des Erwachsenen gelange. Aber in Wirklichkeit stehen wir Erwachsenen nicht höher als die Kinder, wir sind nicht besser als sie, sondern nur älter. An diesem bescheidenen Vorzug sind wir aber unschuldig. Jm Vertrauen gesagt: ich gäbe diesen Vorzug gern her, wenn ich dafür noch einmal die Jugendzeit mit allen h. sch. ihren Fehlern eintauschen könnte.

Feuilleton

Es ist kein Gott.

Von Shelley.

Jah war ein Kind, als meine Mutter einst, um eines Atheisten Flammentod

zu sehn, hinausging; und sie nahm mich mit. Die schwarzen Priester standen um den Holzstoß, die Menge gaffte rings in dumpfem Schweigen, und als der frevler unerschrocknen Blicks vorüberschritt, da sirahlt' ein ruhig Lächeln verächtlich halb um seine Züge her. Das gierige Feuer 3üngelte empor um feine männliche Gestalt, versengt zu Blindheit wurde bald sein kühnes Auge; fein Todeskampf zerriß mein Herz! Der Pöbel erhob ein tolles Siegsgefchrei,- ich weinte. Da sprach die Mutter:" Weine nicht, mein Kind! Denn jener lästerte: Es ist kein Gott."

Es ist kein Gott! Das ganze All bestätigt den Glauben, den sein Tod besiegelte. Mag Erd und Himmel, mag das wechselnde Geschlecht der Menschen ihren Spruch verkünden; mag jeden Ring, der an der Kette hängt und ihn ans Ganze fesselt, auf die Hand hindeuten, die ihr Ende hält und trägt! Mag jedes Saatkorn, das zur Erde fällt, sein Zeugnis still beredt vor uns entfalten: drinnen und draußen zeiht Unendlichkeit die Schöpfung doch der Lüge; und der Geist, der wandelbare, welcher die Natur durchdringt, ist ihr alleinz'ger Gott; doch weiß der Stolz des Menschen seines Wissens Ohnmacht gefchickt mit hohen Worten zu verhüllen.

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Der Name Gottes hat schon jeden frevel mit Heil'genschein umfirahlt, und doch ist er nur das Geschöpf der Menschen, die ihn ehren; und mit den Toren, die ihm Tempel baun, verändern seine Namen und Begierden und seine Eigenschaften rastlos sich: Fo, Siva, Buddha, Gott, Jehova, Herr- Stets dienet er der kriegbefleckten Welt als Stichwort der Verheerung; ob das Blut zermalmter Leiber seines Wagens Räder im Siegeslauf bespritzt, indes Brahminen ein heilig Lied zu Todesseufzern plärren; ob hundert Mitregenten seine Macht

sich teilen, daß sie schier zur Ohnmacht wird; ob brennender Städte Qualm, das Wehgeschrei hilfloser frauen, hingemordeter

wehrloser Greife, Jünglinge und Kinder

gen Himmel steigt zu seines Namens Ehr;

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ob endlich- schlimmstes Los! das Eifenalter der Religion die Erde seufzen macht

und Priester von dem Gott des Friedens schwatzen zur selben Zeit, wo ihre Hand vom Blut Unschuldiger trieft, und wo sie jeden Keim der Wahrheit unterdrücken, alles morden, die Erde wandein in ein Schlächterhaus!

Waterloo.

Von Stendhal .

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( Schluß.)

Der Stab passierte einen fleinen Graben; Fabrizzio fah fich neben einem Wachtmeister, der treuherzig dreinschaute. Den muß ich anreden," sagte er sich, vielleicht sieht mich dann keiner mehr so an." Lange ging er mit sich zu Rate.

Herr Wachtmeister," begann er endlich, ich bin zum ersten Male in einer Schlacht. Das ist doch eine richtige Schlacht?" ,, Ein wenig, ja. Wer bist du denn eigentlich?"

"

" Ich, ich bin der Bruder der Frau eines Rittmeisters..." Von was für einem Rittmeister? Wie heißt er?" Unser Held war in furchtbarer Verlegenheit, auf eine solche Frage war er ganz und gar nicht gefaßt. Zum Glück galoppierten der Marschall und der Stab wieder an. Was für einen franzö­ sischen Namen soll ich sagen?" dachte er bei sich. Da fiel ihm der Name des Gasthofsbesizers ein, bei dem er in Paris gewohnt hatte. Er ritt dicht an den Wachtmeister heran und rief ihm mit voller Lunge zu:

,, Rittmeister Meunier!"

Der Wachtmeister, der Fabrizzio bei dem Kanonendonner nicht deutlich verstand, gab ihm zur Antwort:

" Ah, der Rittmeister Teulier! Ja, der ist gefallen." " Famos," sagte Fabrizzio bei sich, also der Rittmeister Teulier! Ich muß Trauer heucheln."

O du mein Gott!" rief er laut und steckte eine gottserbärm­liche Miene auf....

Man war aus dem Hohlweg herausgeritten und ging in Kar­riere quer über eine kleine Wiese. Wieder schlugen Geschosse ein. Der Marschall ritt auf eine Kavalleriebrigade zu. Der Stab bc= fand sich mitten unter Toten und Verwundeten, aber ihr Anblick machte bereits feinen so tiefen Eindruck mehr auf unseren Helden, er hatte an andere Dinge zu denken.

Indessen hatte der Stab Halt gemacht. Fabrizzio bemerkte den fleinen Wagen einer Marketenderin. Seine Zärtlichkeit für diese schätzenswerte Einrichtung riß ihn fort. Er sprengte darauf los. " Zum Donnerwetter, so bleib' doch hier!" schrie ihm der Wacht­meister nach.

,, Was soll er mir hier anhaben?" dachte Fabrizzio und galop= pierte weiter bis zur Marketenderin. Während er seinem Pferde die Sporen gab, hoffte er im stillen, daß es seine gute Marketen­derin vom Vormittag wäre. Pferd und Wägelchen sahen genau so aus, aber die Besitzerin ganz anders. Ihr Gesichtsausdruck kam ihm bösartig vor. Als er sich ihr näherte, hörte er sie sagen: Er war doch ein bildschöner Mann!"

Ein sehr kläglicher Anblick bot sich dem neuen Soldaten; man nahm eben einem Kürassier, einem schönen jungen Menschen, fünf Fuß und sechs Zoll lang, ein Bein ab. Fabrizzio machte die Augen zu und goß vier Glas Branntwein nacheinander hinunter.

Du fausst wie ein Loch!" meinte die Alte. Der Branntwein brachte ihn auf einen Gedanken: Ich muß mir das Wohlwollen meiner Kameraden vom Stabe erkaufen."

Geben Sie mir alles, was noch in der Flasche ist!" sagte er zu der Marketenderin.

Höre mal," entgegnete sie, der Rest kostet an einem Tage wie heute zehn Franken!"

Als er wieder bei der Eskorte angaloppiert fam, rief der Wachtmeister:" Ach so, du bringst uns was zu trinken. Darum bist du ausgerissen. Gib her!"

Die Flasche machte die Runde; der letzte, der sie bekam, warf sie in die Luft, nachdem er sie ausgetrunken hatte.

Danke, Kamerad!" rief er Fabrizzio zu. Aller Augen ver­weilten mit Wohlgefallen auf ihm. Diese Blicke nahmen ihm eine Zentnerlast vom Herzen. Er war eine jener zu fein geschaffenen Seelen, die der Freundschaft ihrer Umgebung bedürfen. Endlich wurde er nicht mehr scheel von seinen Kameraden angesehen; es gab ein Bindemittel zwischen ihnen. Fabrizzio atmete tief auf, dann redete er den Wachtmeister freimütig an:

Wenn der Rittmeister Teulier gefallen ist, wo könnte ich da meine Schwester treffen?"

Er hielt sich für einen kleinen Machiavell, da er so schön Tene lier statt Meunier sagen konnte.

Das wird sich heute abend finden!" brummte der Wacht­meister.

Der Stab brach wieder auf und wandte sich gegen Infanterie­massen. Fabrizzio merkte, daß er ganz berauscht war, er hatte zu viel Branntwein getrunken. Er schwankte ein wenig im Sattel. Glücklicherweise kam ihm eine Regel ins Gedächtnis, die der Kut­scher seiner Mutter zu predigen pflegte: Wenn man zu viel hinter