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Für unsere Mütter und Hausfrauen

einen anderen geschichtlichen Werdegang hinter sich haben. Ein Volk, dessen Entwicklung dahin drängt, sich fremden Kultureinflüssen zu verschließen, versumpft oder versteinert. Davon gibt in der alten Geschichte Ägypten   Zeugnis und in der Neuzeit innerhalb gewisser Grenzen China  .

Werfen wir einen Blick auf die Unmenge ausländischer Waren, Bodenerzeugnisse, Industrieprodukte, auf die zahllosen fremden Er­findungen, wissenschaftlichen und künstlerischen Werke usw., von denen wir hören, die wir täglich sehen, im Beruf oder zu Hause in die Hand nehmen und benüßen. Er muß uns überzeugen, daß die fremden Elemente aus unserer heutigen Rultur nicht wegzu denken sind, daß sie einen wesentlichen Bestandteil dieser bilden.

Allein unsere Kultur birgt auch eine Menge Bestandteile, die wir nicht so leicht als ausländische erfennen, weil sie zum Teil schon vor vielen Jahrhunderten in unser Volksleben eingedrungen find. Wir denken nicht daran, daß die Kunst des Straßenbaus über die Alpen   zu uns gebracht wurde, daß es ein fremder Mönch war, der den ersten Kohl in unserem Land baute. Erst die Geschichts­wissenschaft gibt uns darüber Aufschluß. Aber auch diese Wissen­schaft, die in erster Linie von geschriebenen überlieferungen ab­hängig ist, läßt uns im Stiche für Beitabschnitte, in denen es noch feine Schrift gab, und bei vielen Einzelheiten und Vorgängen, die nicht aufgezeichnet wurden. In solchen Fällen nimmt der Forscher feine Zuflucht zu Hilfswissenschaften, insbesondere auch zur Unters fuchung der Sprache. Die Sprache ist ein Spiegel der Kulturge schichte. Sie spiegelt noch jetzt Zusammenhänge und Veränderungen wider, die zu früheren Zeiten eintraten, so daß wir an ihrer Hand auch das Eindringen fremder Kulturelemente in das Leben eines Boltes erkennen fönnen. Die Bodenfrüchte, die gewerblichen Er­zeugnisse und Fertigkeiten, die Künste und Wissenschaften, Sitten und Gewohnheiten, die von fremden Völkern eingeführt werden, bringen ihre Namen und Bezeichnungen mit, und diese verraten bann durch ihren fremdsprachlichen Laut noch zu späteren Zeiten die ausländische Herkunft der Dinge, die sie bezeichnen, auch wenn biese längst im neuen Boden heimisch geworden sein mögen.

So ist auch die deutsche Sprache zu allen Zeiten durch Kulturaus­tausch mit anderen Völkern bereichert worden und hat Fremdwörter aufgenommen. Viele solcher Wörter haben sich im Laufe der Zeit ben rein deutschen Wörtern angenähert, find den Laut- und Schreib­gesetzen unserer Sprache unterworfen worden, wie zum Beispiel bie Wörter Dame, Kamin, Koffer und andere. Solche Wörter nennt man Lehnwörter. Sie gelten allgemein als gut deutsche  , sind aber nichts anderes als Verletzerungen fremder Wörter. Zu einer Zeit, ba die Schrift, die die Wörter in ihrem ursprünglichen Laut zu erhalten vermag, der großen Masse des Volkes noch nicht geläufig war, wurden fremde Wörter einfach so ausgesprochen, wie es am leichtesten ging. Wem würde es einfallen, hinter dem Worte Pferd bas lateinische paraveredus zu suchen.

In vorgeschichtlicher Zeit sind die Germanen, die Vorfahren der heutigen Deutschen  , Niederländer, Engländer, Schweden  , Norweger  und Dänen, in Berührung mit fremden Völkern getreten, und zwar sowohl auf dem friedlichen Wege des Tauschhandels als auch als triegerische Eroberer. In der finnischen   Sprache finden sich eine Menge germanischer Bestandteile. Da sich alle lebenden Sprachen, also auch die deutsche  , im Laufe der Zeit stark verändern, die fin­ nischen   Lehnwörter aber auf Formen zurückgehen, die in keiner schriftlichen Quelle der deutschen Sprache vorkommen, so fann man bie Zeit ihrer Aufnahme annähernd feststellen; fie muß stattgefun­ben haben, noch ehe germanische Völker schriftliche Denkmäler hinter laffen konnten. Die germanischen Sprachen haben andererseits teinerlei finnische Bestandteile aufgenommen, wohl ein Beweis da für, daß die Germanen den Finnen gegenüber die Träger einer höheren, wenn auch noch so einfachen Kultur waren. Die Germanen hingegen, die während der Völkerwanderung Frankreich  , Spanien  und Italien   eroberten, haben überall Sitten und Sprache der unterworfenen Völker angenommen, weil diese eine höhere Kultur besaßen. Die unterworfenen Romanen aber nahmen verhältnis mäßig nur wenige germanische Wörter in ihren Sprachschah auf.

Als germanische Stämme vor Beginn unserer Zeitrechnung, zum Teil von der Ostsee   kommend, im heutigen Deutschland   sich aus­breiteten, trafen sie auf teltische Stämme. Diese besaßen schon eine höhere, seßhaftere Kultur als die Germanen. Sie wohnten in Dör­fern und Städten, trieben Ackerbau und unterhielten Tauschhandel mit fremden Kaufleuten und fannten Privateigentum. Eine Reihe Flurs, Bach- und Ortsnamen erzählen heute noch von den Siede­lungen feltischer Stämme in Deutschland  . Namen wie Rhein  , Main, Donau  , Jsar, Vogesen  , Mainz  , Worms   gehen auf feltische Bezeich nungen zurück. Das noch heute gebräuchliche Wort welsch", dessen Stamm auch in Walnuß" vorkommt, leitet sich her von dem tel­

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ber ben vorbringe

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tischen Stamm der Volcae, der den vordringenden Germanen zu nächst wohnte. Sein Name wurde die allgemeine Bezeichnung für alles Ausländische und Unverständliche. Wahrscheinlich feltischen Ursprungs find auch die Wörter reich( ursprünglich= mächtig) Pferch, Habicht, Falke.

Nachdem die Germanen bis Rhein   und Donau   vorgedrungen waren, wurden sie die Nachbarn des römischen Weltreichs, eine fampf und raublustige Nachbarschaft, die nur durch Heeresgewalt im Baume zu halten war. Trotzdem fand der römische Kaufmann den Weg zu den rauhen, in Tierfellen gekleideten Barbaren und tauschte für Waffen aus Stahl, Schmuck aus Glas und Gold, Klei­der, Wein und anderes mehr Felle, Leder, Rinder und Sklaven ein. Junge Germanen fanden Gefallen daran, als Söldner die römischen Schlachten zu schlagen, ganze Bölterschaften, die sich ihrer Feinde nicht länger erwehren konnten, siedelten sich auf römischem Boden an. Mit den Gegenständen römischer Kultur wurden auch die römischen Ausdrücke übernommen.

Besonders auf drei Gebieten waren die Germanen die Schüler der Römer, im Straßenbau und im Hausbau, namentlich soweit dieser Steinbau war, im Garten- und Feldbau und in der Kochkunst. Hier sind fast alle Bezeichnungen uralte lateinische Lehnwörter, ein Beweis, daß die Germanen vor der Berührung mit den Römern in diesen Kün ften nicht weit vorgeschritten waren. So sind zum Beispiel latei­nischen Ursprungs Wörter wie Kalt, Pflaster, Straße, Play, Mauer, Pfosten, Pforte, Keller, Turm, Ziegel, Schindel, Fenster, Pfütze, tünchen. Lehnwörter aus dem Gebiet der Bodenkultur sind Birne, Kirsche, Kürbis, Kohl, Lilie, Rose, Rettich, Rarbel, Rübe, Wein, Most, feltern, pfropfen, impfen( ursprünglich= pfropfen). Das Wort Pflug   ist nicht ein lateinisches, sondern ein slawisches Lehn­wort. Die Wörter Küche, Kochen sind lateinischen Ursprungs, ebenso Käse, DI, Pfeffer, Semmel, Senf, Becher, Kopf( ursprünglich Trink schale), Schüssel, Kiste. Allerdings gingen auch manche altdeutschen Wörter einfach verloren zugunsten des eindringenden Fremdwortes, so sagen wir Butter statt Schmer oder Anke, Tisch statt Biut, Fen ster statt Windauge.

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Ganz besonders start wurde die Aufnahme römischer Kultur und römischer Sprachelemente, als die deutschen   Stämme zum Christentum übertraten. Waren doch die Bischöfe und Mönche vor allem die Pioniere einer höheren Kultur, sie waren keineswegs nur Prediger des Wortes, sondern vorbildliche Ackerbauer. Viehzüchter und Bauleute. Ferner entstanden auf dem gewerbliche und landwirt­schaftliche Erzeugnisse reich tragenden Boden der Kirchen und Klöster, durch die religiösen Feiern, zu denen eine Masse Volkes zusammen­strömte, die ersten großen Märkte in Deutschland  . Die Ausdrücke des einfachen Handels, die Geld, Maß- und Gewichtsbezeichnungen famen zum Teil mit der Kirche, zum Teil mit den lombardischen und jüdischen Kaufleuten ins Land, sie sind daher spät lateinischen Ursprungs, so zum Beispiel Markt, Münze, Pfund, Zoll.

Vom Militärwesen der Römer übernahmen die Germanen nur wenige Wörter, wie Kampf, Pfeil, aus dem politischen Leben Kaiser  , Krone, ein Zeichen, daß sie für das Kriegswesen genug eigene Bezeichnungen hatten, die politischen Zustände des römischen Welt­reich aber nicht ohne weiteres übertragbar waren. Ebenso wenig übernahmen sie oder ihre Frauen die römische Kleidertracht, was schon die geringe Anzahl derartiger Lehnwörter aus dem Lateini­schen beweist. Dagegen hatten die Germanen noch keine Schrist. Die sogenannten Runen find in Holz oder Stein eingerigte Zeichen, die nicht gelesen, sondern von Eingeweihten gedeutet wurden. Das eigentliche deutsche   Wort für schreiben wäre demnach rißen", was sich noch heute in Wörtern wie Umriß, Aufriß, Reißbrett erhalten hat. Das Wort schreiben" kommt vom Lateinischen scribere, Brief vom Lateinischen breve, Siegel von sigillum. Auch das Wort dichten" stammt vom Lateinischen dictare, was laut hersagen bes deutet. Gedichte wurden in ältester Zeit vom Dichter nicht auf­geschrieben, sondern vorgetragen. Es ist selbstverständlich, daß fast alle Wörter, die dem religiösen und firchlichen Leben angehören, lateinischen Ursprungs sind, soweit sie nicht durch künstliche Neu­schöpfungen ersetzt wurden. Der lateinischen Kirchensprache ent­nommen sind zum Beispiel Kloster, Münster  , Altar, Kanzel, Krug, Oblate, Orgel, Abt, Küster, Mönch, Nonne, Probst, Messe, Feier, Fest, Segen, Almosen, Opfer, Predigt, Engel, Marter, Pein, Plage, Pech, verdammen. Andere tirchlichen Lehnwörter sind aus dent Griechischen übernommen. Das ostgermanische Volk der Goten war nämlich während der Völkerwanderung nach der Balkanhalbinsel  gekommen und hatte um die Mitte des vierten Jahrhunderts das Christentum angenommen, natürlich mit einer Menge griechischer Ausdrücke. Von ihnen gelangten manche griechischen Lehuwörter in unsere Sprache, so Kirche, Pfingsten, Teufel, Pfaffe. Die Kirde brachte den Deutschen   neben dem Christentum auch die Gelehrsam