Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 8 0 0 0 0 0 0 0 0 Beilage zur Gleichheit

Inhaltsverzeichnis: Kind und Krieg.

Striegsbrot. Von M. Kt. Feuilleton: Der Jäger. Von Olive Schreiner  .

Kind und Krieg.

Welchen Einfluß üben die gegenwärtigen schweren Zeitereignisse auf das Empfinden und Denken der Kinder im werktätigen Volfe? Erschöpft sich dieser Einfluß in der erhöhten Neigung, Soldaten und Schlacht zu spielen, kriegerische Weisen zu singen, die nicht selten ohne jeden dichterischen und erzieherischen Wert sind; in der gesteigerten Empfänglichkeit, über soziale und politische Dinge Gedanken und Wer tungen anzunehmen, wie sie von der Schule des kapitalistischen   Staats den Kindern der Massen anerzogen werden sollen? Diese Frage könnte mur schlankweg bejahen, wer nicht weiß oder übersieht, wie eng das Heim ist, in dem das Kind des Arbeiters, des kleinen Mannes heran­wächst. So eng, daß es darin kaum ein schüßendes Winkelchen gibt, in dem das Kind vor den harten Stößen und Büffen geborgen wäre, mit dem sich der Krieg und seine Folgen dem Leben der Familie fühlbar machen. Recht interessantes Material zur Beurteilung solchen Ein­slusses der Verhältnisse auf Geist und Gemüt der Kinder hat ein Lehrer in Zürich   in der Berner Tagwacht" veröffentlicht, einem Drgan der schweizerischen Sozialdemokratie. Wir lassen den Artikel folgen, der nicht nur einen erschütternden Einblick in die jezigen Sorgen und Nöte des Volkes gibt, sondern gleichzeitig einen anregenden und ermutigenden Ausblick, daß die Dinge und Vorgänge des alltäglichen Lebens von der denkenden Mutter als Dienerin des sozialistischen  Ideals ihrer Bildungsarbeit am Kinde nußbar gemacht werden können; daß reiche sittliche Werte proletarischen Solidaritätsempfin­dens und Solidaritätswollens sich aus diesen Dingen und Vorgängen in den jungen Seelen entwickeln lassen. Wollen wir im Hinblick darauf die Mitteilungen des Herrn R. richtig schätzen, so müssen wir uns eins vergegenwärtigen. Die Begleiterscheinungen des Kriegs haben in der Schweiz   mit den Lebensverhältnissen der breitesten Volksmassen auch das Fühlen und Denken der Kinder aufs stärkste beeinflußt. Die Schweiz   ist aber ein neutrales Land, das glücklicher­weise nicht die schlimmsten Wirkungen des Kriegs erfährt. Die Kinder leiden zum Beispiel hier nur unter der Mobilisation des Vaters, sie zittern nicht mit einer verhärmten Mutter lange Wochen um sein Leben, die furchtbare Kunde bleibt ihnen erspart, daß eine Kugel sie plöglich zu Waisen gemacht hat usw. Wie aufrüttelnd und bestimmend muß in den kriegführenden Staaten der Einfluß des blutigen Völkerringens und seiner Folgen auf die kindlichen Seelen sein! An unseren Müttern darüber zu wachen, daß in dem tief auf gepflügten Boden kein Unkraut wuchernd emporschießt, daß es viel­mehr reiche sozialistische Ideensaat empfängt. Der Züricher   Lehrer J. R. schreibt:

Als anfangs August ein Schrei des Entseyens durch die ganze Kulturwelt ging über die unerhörte Statastrophe des Krieges, als unser Heer mobilisiert, Städte und Dörfer voll Soldaten waren, da herrschte bei unserer Jugend auch der des Proletariats citel Freude und Begeisterung. In ihren Spielen ahmten die Kinder die Tätigkeit des Militärs nach. So intensiv und realistisch wurden zum Beispiel Schlachten inszeniert, daß die Behörden einschreiten mußten. Freie Aufsäge sind Belege dafür, wie der Strieg auch die Gedanken und Handlungen der Kinder bestimmte, wie die Zeitereig­nisse sich in der Kinderseele widerspiegelten. Fast in jeder Aufsatz­stunde erzählte die Jugend von ihren Striegsspielen: Festungsbau, Verteidigung und Einnahme, Herstellung von Schüßengräben, Ver­schanzungen; Erstellung von Sanonen", Feldküchen, vom Abkochen, Vertvundetentransport; Sanitätsdienst usw.

Interessant ist es nun, den vollständigen Stimmungsumschlag in der Seele unserer Arbeiterkinder festzustellen. Die herrschende Ar­beitslosigkeit, die Not in vielen Familien, all das Elend, das der Serieg auch den neutralen Staaten, das heißt wenigstens deren Proletariat brachte, bewirkte den frappanten Umschwung im Denken der Kinder über den Krieg. Diese Tatsache konstatierte ich aus den Briefen, die meine elfjährigen Schüler( 5. Primarklasse) lezzthin dem Christkind schreiben durften. Die Arbeiten, auf die sich meine Aufzeichnungen stüßen, sind vollständig frei. Es wurde den jugend­fichen Schriftstellern nur, um sie zur Produktion anzuregen, das rührende Brieflein eines Zweitkläßlers einer stadtzürcherischen Ele­mentarschule vorgelesen. Es lautet: Liebes Christkindlein! Ich wünsche das die Mutter auf Weihnachien viel arbeiden kann. Sie kann iezt

COCO O O O O 1915

schon nicht mehr fiel arbeiden. Ich bien dann so glücklich. Ich grüße dich vielmal. Josef

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Und nun die Resultate! Ein einziger Schüler der großen Klasse, der Sohn von etwas besser situierten Eltern, schrieb den üblichen Wunschzettel: Süßigkeiten, Spielwaren usw. Die Mehrzahl der Kinder zählte solche Wünsche gar nicht auf, die übrigen erwähnten sie nur nebenbei. Peinlich berührte mich, was ein armer Judenknabe schrieb: Die Weihnacht gefällt mir gar nicht. Bei uns ist es wie ein gewöhnlicher Tag. Auf Weihnachten   bekomme ich höchstens ein paar Dhrfeigen und sonst nichts mehr. Ich wäre zufrieden, wenn der Krieg vorbei wäre, damit wir fortfahren können. Es gefällt mir gar nicht in Zürich  , weil man keine Arbeit bekommt." Alle Briefe sind sehr ernst gestimmt, von der Freude auf die fröhliche" Weihnachtszeit läßt sich nichts spüren; nur ein einziger erlaubt sich ein Späßchen und schreibt: Liebes Christkind! lasse du dieses Jahr einmal Kartoffeln schneien, denn sie sind in Kriegszeiten gar teuer; sonst müssen wir Hunger leiden. Ach erfülle doch diesen Wunsch!" Einige, bei denen Krankheiten in der Familie herrschten oder noch weilen, erwarten das Christkind als Bringer der ersehnten Gesund­heit; davon nur zwei Beispiele: Ich wünsche, daß meine liebe Mutter gesund bleibt; denn sie wurde legtes Jahr gerade auf Weih­nachten frank. Sie bekam einen Nervenschlag. Ein tieftrauriges Bild zeigt der zweite: Ich wünsche, daß meine Mutter auf Weih­ nachten   wieder gesund wird, denn sie wird operiert. Sie ist immer fränklich gewesen; da hat der Vater gesagt, sie solle sich einmal untersuchen lassen. Dann ging sie legten Mittwoch in die Fürsorge­stelle. Als sie wieder heim kam, sagte sie, sie müsse am Freitag wieder gehen, sie werde operiert. Der Vater fuhr auf und fragte: Ist das wahr?" Sie antwortete, ja, sie müsse etwa acht Tage in den Spital, wegen des linken Lungenflügels. Sie ging am Freitag um 6 Uhr, um das Zeugnis zu holen. Der Doktor sagte, am Montag müsse sie gehen. Also Christkind mach mir die Freude und mache die Mutter wieder gesund.-

Eigene Not schärft die Augen für fremde, und während die Geist­lichen sich so oft umsonst mühen, bei den Reichen soziale Gefühle zu erwecken, kennen die Proletarierkinder diese längst besser. Zwei Beispiele: 1. Liebes Christkind! Ich wünsche, daß mein Vater und die Mutter noch lange arbeiten können und daß wir noch lange genug zu essen haben. Bringe du den Armen Kleider, daß sie nicht frieren müssen, und bringe ihnen zu essen, daß sie nicht hungern müssen! Bringe mir ein paar Strangen graue Wolle, daß ich für die Soldaten stricken kann, daß sie nicht frieren müssen. Ich wünsche, daß die Soldaten wieder zu ihren Müttern heimkehren können; denn viele möchten wieder einmal in ein weiches Bett liegen. 2. Der erste Wunsch, den du, mein liebes Christkind, erfüllen kannst, ist der, hilf den armen Kindern, die ohne Eltern hilflos auf der Welt sind und bleiben. Schenke ihnen den Vater, der im Felde steht und kämpft, oder die Mutter, die in Gefangenschaft ist in Frankreich  oder England. Hilf den Flüchtlingen, die aus Belgien   in der Schweiz  sind und ihr Brot vor fremden Türen betteln und suchen müssen. Hilf auch unseren und anderen Eltern, daß sie immer arbeiten können. Gedenke auch der Kinder, denen der Vater erschossen oder gefangen worden ist. Schenke auch mir ein Paar Schlittschuhe, schenke meiner Schwester einen neuen Mantel und einen Schlitten! Aus einer ganzen Reihe von Briefen läßt sich die herrschende Arbeitslosigkeit erkennen:

1. Wir haben es noch schön, unser Vater verdient doch noch etwas. 2. Etwas wünsche ich mir doch; nämlich Arbeit für den Vater und die Mutter.

3. Liebes Christkind! Du weißt, daß Mama Dezember und Januar austreten muß; denn andere, die jetzt keine Arbeit haben, müssen auch wieder einmal verdienen. Du weißt auch, daß Papa schon lange feine Arbeit hat; darum wünsche ich, daß beide nach Weihnachten Arbeit bekommen.

4. Ich weiß, daß meine Mutter jest nicht viel kaufen kann. Nur noch der Vater verdient und mein Bruder steht an der Grenze für das Vaterland. Zu viel wünsche ich mir nicht, wenn ich nur das bekomme; denn wir müssen froh sein, wenn wir genug zu essen haben. Ich wünsche noch, daß mein Vater noch lange arbeiten fann und daß die Arbeitslosen auch wieder Arbeit bekommen.

5. Liebes Christkind! Ich bitte dich, daß du ein Bäumchen bringst. Wenn es dir möglich ist, kannst du mir eine Drange und eine Schokolade geben. Ich werde dir danken. Wenn es dir aber nicht