Nr. 8

Für unsere Mütter und Hausfrauen

Auch bei der heute üblichen Art des Backens tritt eine gewisse Vergeudung von Nährstoffen des Brotes ein. Bei der Verwendung von Sauerteig   verwandelt sich infolge der Gärung ein kleiner Teil des Brotteiges in Kohlensäure und Alkohol und geht in der Back­hize in die Luft. Dieser Verlust beträgt anderthalb bis zwei Prozent. Er ist scheinbar nicht der Nede wert. Aber der große Chemiker Liebig hat berechnet, daß allein in Deutschland   damals täglich etwa 2000 Zentner Brot hätten erspart werden können, wenn ein Substanzverlust, auch nur von einem Prozent vermieden wurde. Deutschland   hatte zu jener Zeit 40 Millionen Einwohner, die täglich rund 20 Millionen Pfund Brot verbrauchten. Die ersparten 2000 Zentuer Brot hätten aber den Brotbedarf für 400000 Menschen auf einen Tag gedeckt. Bei der heutigen Einwohnerzahl Deutschlands   würde man durch ein anderes Backverfahren täglich das Brotquantum für nicht weniger als 680000 Menschen ersparen können. Liebig schlug vor, die Kohlen­säure, die bei der Brotbereitung das Aufgehen des Teiges bewirkt, durch Chemikalien zu erzeugen, wie sie in dem bekannten Brause­pulver enthalten sind. In dieser Richtung ließen sich also, wenn nötig, noch wesentliche Ersparnisse machen. Die Verordnungen des Bundesrats ziehen sie vorläufig nicht in Betracht.

Dagegen hat der Bundesrat eine Verfügung getroffen, die nicht ohne weiteres kritiklos hingenommen werden darf. Sie betrifft den Zusatz von 5 Prozent Kartoffelmehl zum Roggenmehl und die Er­laubnis an die Bäcker, das Roggenmehl durch weiteren Zusatz von Kartoffelmehl und-flocken noch mehr zu strecken. Das aber bedeutet unter Umständen eine ganz wesentliche Verschlechterung des Brotes und damit der Volksernährung. Den Spiritusinteressenten wird es freilich nicht unlieb sein, daß sie für die Beschränkung des Spiritusnormal­brandes auf 60 Prozent entschädigt werden durch reichliche Gewinne aus der Fabrikation von Kartoffelflocken und Kartoffelwalzmehl. Der Bundesrat will ihnen überdies bei der Errichtung der hierzu nötigen Kartoffeltrocknereien mit finanziellen Beihilfen unter die Arme greifen. Das Volk aber hat alle Ursache, dem Kartoffelbrot, dem K- Brot, sehr mißtrauisch gegenüberzustehen. Der nächste äußere Erfolg ist der ge­wesen, daß die Preise für Kartoffeln und Kartoffelprodukte erheblich in die Höhe gingen. Zu bedenken ist ferner, daß die Kartoffelernte nicht übermäßig reich ausgefallen ist und daß der Konsum an Speise­fartoffeln infolge der Teuerung der Hülsenfrüchte erheblich zunehmen wird im Vergleich zu anderen Jahren. In den ärmsten Schichten verdrängt die billigere Kartoffel ohnehin einen Teil des Brotkon­sums. Diesen Armen wird nun das Brot auch noch mit Kartoffel­zusatz verabreicht und zwar in Gestalt von Kartoffelmehl, das, wie jede Hausfrau weiß, große Mengen Wassers zu binden vermag. Das Brot wird also schwerer, ohne gehaltvoller zu werden. Aber wenn auch der Gehalt an Kohlehydraten ungefähr der gleiche bliebe, an Eiweißgehalt erleidet das K- Brot sicher eine erhebliche Einbuße. Während Roggenmehl 12 Prozent Eiweiß enthält, hat Kartoffelmehl nur 1 Prozent davon. Ein Gutachten des Kaiserlichen Gesundheits­amts( im Nachtrag zu der Denkschrift über wirtschaftliche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges) hält freilich das Kartoffelbrot für einen " fast vollwertigen Ersatz des reinen Roggenbrotes". Eine wissenschaft­liche Autorität, wie Professor Rubner, ist aber anderer Meinung. Rubner schreibt in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift" sehr richtig: Man überlasse dem Menschen, wieviel er Brot und wieviel er Kartoffeln essen will, und zwinge den einzelnen nicht, Kartoffeln zu verzehren. Der Zusatz der Kartoffel zum Brot werde dieses kaum verbilligen, die Kartoffel aber sei an sich billig und für die mannigfachsten Zubereitungen zu verwerten. Billige Kartoffeln. neben Brot seien für die Voltsernährung wichtiger als gestreďte Brotmenge und teure Kartoffeln.

Nicht eiweißärmer, sondern, wenn möglich, eiweißreicher sollten wir das Kriegsbrot machen, gerade im Hinblick auf die für breite Schichten erschwerte Möglichkeit einer rationellen Ernährung. Dies läßt sich meines Erachtens sehr wohl erreichen, wenn man den Brotteig nicht mit Wasser, sondern mit Buttermilch, Magermilch oder eingedickten Molten bereitet. Solche Versuche sind bereits gemacht worden. Der Eiweißgehalt stieg im Moltenschrotbrot auf 12 Prozent, gegenüber 6 bis 8 Prozent im Bäckerbrot. Sowohl das mit Buttermilch wie das mit eingedickten Molten bereitete Schrotbrot haben überdies einen ganz vorzüglichen Geschmack, der allerdings so stark aus­geprägt ist, daß er sich mit dem landesüblichen Fleisch- und Wurst­belag nicht verträgt, wohl aber mit Obst und weißem Käse, ganz im Gegensatz zu dem faden Bäckerbrot, das als Geschmacksreiz der start gewürzten Wurst bedarf. Buttermilch, Magermilch und Molken werden in den großen Sammelmolkereien bei der Butter- und Käse= fabritation täglich in solchen Mengen gewonnen, daß sie oft nicht einmal als Viehfutter volle Verwertung finden. Zur Ausnutzung der überschüssigen Milch hat die Industrie sich bereits auf die Herstellung von Galalith geworfen, einer hornartigen, aus dem Käsestoff der

31

Milch gewonnenen Masse, die zu kämmen und Haarschmuck ver­arbeitet wird. Das aber ist ein Lurus, den wir uns in so schwerer Zeit nicht mehr gestatten dürfen, die an die Voltsernährung ganz besondere Anforderungen stellt. Magermilch, Buttermilch und Molfen müßten für die Ernährung der Massen möglichst direkt verwendet werden; einer der Wege hierzu ist die Anreicherung des Brotes mit den Eiweißstoffen, den Nährsalzen und dem Milchzucker jener drei Molkereiprodukte. Breiten Schichten unseres Volkes, deren Ernährung jetzt wahrlich nicht unter einem überschuß an Eiweiß leidet, könnte so zu einem hochwertigen Kriegsbrot verholfen werden. Das ge= streckte" Brot nach der Verfügung des Bundesrats verhilft nicht dazu. Die Erlaubnis zum Kartoffelzusatz macht wieder schlecht, was die Anordnungen über die stärkere Ausmahlung des Getreides gut gemacht haben. M. Kt.

Feuilleton

Der Jäger.*

Bon Olive Schreiner  .

In fernen Tälern lebte ein Jäger. Tag für Tag durchstreifte er die Wälder nach Federwild und geriet dabei einmal an die Ufer eines großen Sees. Als er nun da im Schilfe stand und auf den Strich der Vögel wartete, fiel ein mächtiger Schatten auf ihn, und auf dem Wasser gewahrte er ein Spiegelbild. Er blickte auf; doch die Erscheinung war verschwunden. Da ergriff ihn brennendes Ver­langen, dies Bild im Wasser noch einmal zu sehen, und er harrte und wartete den ganzen langen Tag. Aber die Nacht brach herein und es zeigte sich ihm nicht wieder. Da trat er mit leerer Jagd­tasche, traurig und in sich gekehrt, den Heimweg an. Seine Ge­nossen befragten ihn ob seiner Verstimmung; er aber antwortete nicht, sondern setzte sich brütend abseits. Erst als ein Freund zu ihm kam, sprach er.

" Ich sah heute", sagte er, etwas, was ich bisher nie gesehen habe: ein großer weißer Vogel segelte mit ausgebreiteten fil­bernen Schwingen in dem unendlichen Blau dahin, und mir ist seitdem, als sei in meiner Brust ein großes Feuer entflammt wor­den. Es war nur ein Glänzen und Schimmern, ein Widerspiel

* Aus Träume" von Olive Schreiner  . Ferd. Dümmlers Verlags­buchhandlung, Berlin  .

Olive Schreiner   ist eine Dichterin von stärkster persönlicher Eigen­art, eine Dichterin, die an dem Ringen des weiblichen Geschlechts für Gleichberechtigung und Freiheit erwachsen ist, und dieses Ringen tünstlerisch gestaltet. Vom Großvater her deutscher Abkunft, die Tochter einer Engländerin, hat sie im Kapland ihre Kindheit und Jugendzeit verlebt. Die dort begonnene wissenschaftliche Ausbildung hat sie durch umfassende Studien in England weitergeführt und durch Reisen in Italien   und Frankreich   bereichert. Die großzügige füdafrikanische Landschaft ist Olive Schreiners schöpferischer Phan­tafie ein nie versagender Born der Kraft und Erneuerung. Ihr ver­dankt die Dichterin fruchtbarste Anregungen, kühne, gewaltige Bilder, und jene Einfachheit und Größe der Darstellung, des Stils, die an die erhabene Poesie des alten Testaments gemahnen, deren Einfluß übrigens ebenfalls fühlbar ist.

Olive Schreiners   erste größere Dichtung war der Roman: The Story of an African Farm"( Die Geschichte einer afrikanischen Farm). Er erschien 1883, gleich hervorragend durch die kraftvolle realistische Gestaltung wie durch den Gehalt an freiheitlichen, frauenrechtlerischen Jdeen. Außer diesem Roman sind in deutscher überseßung besonders be­fannt: Peter Halket im Mashonaland" und" Träume". Die Träume" sind Barabeln, wie sie nur ein echter dichterischer Genius zu er­sinnen und zu formen vermochte, der hohe Gedankenflüge wagt und aus einem ebenso tiefen wie zarten Empfinden schöpft. Sie waren ursprünglich der Geschichte einer afrikanischen Farm" und anderen. größeren Werken eingestreut und wurden erst später in ein Bändchen zusammengefaßt, dem der" Jäger" entnommen ist. Auch Peter Hallet" ist im Verlag von Ferd. Dümmler, Berlin  , erschienen.

Glühende Freiheitsliebe und unbeugsamer Bekennermut trieben die Dichterin in die politischen Kämpfe ihres Vaterlandes. Schon vor dem Ausbruch des Burenkriegs verteidigte sie mit edler Leiden­schaft das Recht der Eingeborenen und Altangesiedelten gegen die einbrechenden fapitalistischen Kolonialpolitiker, trat sie namentlich dem System der englischen Kolonialpolitik entgegen. Während des Burenkriegs dünkte sie den Engländern eine so gefährliche Gegnerin, daß sie etliche Zeit in Staatsgefangenschaft gehalten wurde. Diese ſchmachvolle Maßregel trug sehr viel dazu bei, den heftigen Wider­stand gegen den Burenkrieg in England selbst zu stärken. Olive Schreiner   ist eine überzeugte Anhängerin des Friedens und der Solidarität der Völker. Sie sprach in der gewaltigen Frauenver­sammlung, die im August 1914 nach der Kriegserklärung in London  gegen das entbrannte Völferringen protestierte.