Nr. 9
-
Für unsere Mütter und Hausfrauen
-
seher selbst sprang auf. Hernach kamen sie alle wieder zurück auch der Aufseher. Sie schimpften auf den los, der gepfiffen hatte, wußten aber nicht, wer es war. Ich o mein Bester, ich weiß wahrhaftig nicht, warum sich das Schiff so sehr verspätet! Ob so etwas wohl schon einmal vorgekommen ist? He, Bursche! Komm her!" Das schmierige Geschöpf kam abermals heran. „ Hat sich das Schiff schon einmal so stark verspätet?" " Ich weiß nicht," erwiderte das Geschöpf.
" Du weißt nicht? Nun, was weißt du denn, du Taugenichts? Was hast du zu trinken?"
„ Allerlei," spricht das Geschöpf mit einfältigem Lachen. " Trinken Sie Branntwein?" fragte Blagoje, sich dem Hauptmann zuwendend.
„ Nein."
„ Auch ich nur selten. Aber was soll man nur jetzt beginnen? Warten Sie mal läutet es nicht?"
-
Er verstummt und horcht hin.
,, Keine Spur! Bring uns Branntwein! Nicht mal mehr rauchen kann ich! Mir ist schon ganz schlimm vom Tabak! Puh, und das nennt sich Dampfschiff."
Nachdem er sein Pfeifchen ausgeflopft, erglänzten seine äuglein etwas lebhafter, und sein ganzes Wesen nahm den Ausdruck ruhiger Entschiedenheit an.
„ Aber das ist mir ein Schiff! Das soll nun gar schneller gehen als ein Fuhrwerk! Wenn sich einer auf den ersten besten Ochsenwagen gesetzt hätte, wie weit wäre er jetzt schon! Puh! Und nun erst auf einem guten Pferde?"
Alle Kavallerieoffiziere sprechen gern von Pferden, und wenn es mit Nonnen wäre. Auch unseres Hauptmanns Augen strahlten förmlich. Er dachte gewiß an einen Araber, als er erwiderte: " In acht Stunden!"
-
" In acht, wahrhaftig?" fiel Blagoje ein, dem diese Parteilichkeit gerade recht kam.„ Und jetzt ist es schon wieviel Uhr? Wenn ich nur wüßte aber ich hätte ihn doch wieder nicht zu Wagen transportieren können. Zwar sein Kamerad Jole sagt, er sei leicht verwundetganz leicht, aber, wissen Sie, eine Wunde ist doch immer eine Wunde. Wie sollte ich ihn da per Achse fortschaffen? Ei, was war das für eine Stute, die mein ehemaliger Meister hatte!- He da, du Maulwurf, bring noch Branntwein her!- Eine Stute wie ein Reh! Und sie machte nur so eine Wendung mit dem Kopfe -" Er reckte den Arm so stark aus, wie ungefähr ein Pferd mit gebrochenem Hals aussehen könnte.
-
„ Aber hast du denn zum Kuckuck keinen besseren Branntwein? Ei, du Wiedehopf! Sag dem Wirt David, daß ich Branntwein verlange, sage, guten', sage, für den Meister Blagoje'!- So drehte die Stute den Kopf! Aber da galt's auch seine Hände gebrauchen! Die müssen die Zügel anziehen bis zum Reißen! Wenn sie rennt und den Kopf fortwährend so wendet" er steckte den Kopf zwischen die Beine- ,, da heißt's halten, halten! Und wenn schließlich nichts hilft, so fährt man an einen Heuschober, eine Blanke, eine Mauer, wie sich's eben trifft! Sie sieht nichts unterm lieben Himmel, wenn sie erst einmal in Zug gekommen war! Und ich fahre an den Zaun. Wenn sie so mit dem Kopfe anrennt, so denke ich, zum Teufel geht sie und ich und der Wagen, alles! Aber es passiert dennoch nichts. Und hinterdrein geht sie noch so ruhig einher wie ein Käfer. Aber kein anderer wußte auch so mit ihr umzugehen wie ich. Einmal fuhr der Geselle Widak mit ihr an die Save, um Kupfer aufzuladen. Sie macht ihre gewöhnlichen Kapriolen" und er steckt wieder den Kopf zwischen die Beine und streckt sein Kinn vor, wie wenn er ein Pferdegebiß im Munde hätte. Widak läßt hierauf die Zügel schießen und legt sich in den Wagenkorb, während sie über Gräben und Hecken dahinsetzt und läuft, läuft, läuft! Aber es läutet! Nicht wahr, es hat geläutet? Zahlen!" Er lief wieder hinaus, aber als er nach einer Weile zurückkehrte, hatte sein Gesicht den Ausdruck der Ungeduld verloren, und eine Art blöder Fröhlichkeit dämmerte ihm aus den Augen, über welche schon nach der Redeweise meiner Landsleute der Branntwein seinen Glanz zu breiten begann.
-
-
-
-
„ Was war das für ein Pferd! Der Meister hatte einmal cinen mächtigen Kasten auf den Wagen geladen ich weiß nicht, was er damit wollte, aber die Stute das Gebiß zwischen die Zähne und- vorwärts! Und so wie sie den Weg entlang flog, so wollte sie auch in den Hof. Aber da stößt der Wagen an, die Hinterräder bleiben vor dem Tor, der Meister im Tor, der Kasten ihm auf den Kopf, die Vorderräder beim Adler am Hause und die Stute läuft ins Haus. Wir wollten bersten vor... bor ... Aber was diese Zündhölzchen hier abgeschabt sind! Heda, eine glühende Kohle her!" Der Hauptmann hörte ihn nicht mehr. Seine Gedanken schweiften weit ab, weit bis nach Knjazevac hin. Dort meille seine Frau
35
bei ihrer Mutter, ihre Entbindung erwartend. Aber damals waren dort auch die Tscherkessen! Schreckliche Gedanken zuckten dem Hauptmann durch den Kopf. Alle Greueltaten, welche diese Lieblinge Europas sich zuschulden kommen ließen, malten sich in seinem Geiste in den schwärzesten Farben. Aber härter als alles dies dünkte ihn die verzweifelte Ungewißheit. Denn seitdem er in den Krieg gezogen war, hatte er nur zwei Briefe von seiner Frau erhalten. In beiden schrieb sie ihm, daß sie nach überstandener Entbindung zu ihm kommen werde, aber seit dem letzten Briefe waren bereits fünf Wochen verstrichen, die Türken waren inzwischen nach Trefibaba vorgedrungen; und die Tscherkessen hatten sein Haus zerstört und vielleicht das Bett verbrannt, auf welchem seine Frau gelegen... und dennoch erwartete er sie. Es steckt im Menschen eine Ader, trügerisch wie der Zufall, und die man dennoch Ahnung" nennt. Wer in die Lotterie setzt, hat bei jeder Ziehung die Ahnung", daß er gewinnen werde, und nach der Ziehung wundert er sich doch nie, daß ihn dies Vorgefühl betrogen hat. Wird er aber nur ein einziges Mal vom blinden Glück begünstigt, so versichert er die ganze Welt, er habe im voraus gewußt, daß er gewinnen werde, denn so und nicht anders habe ihm seine " Ahnung" es gesagt. So ging Hauptmann Athanas bereits das dritte Mal vergebens von seinem ziemlich weit entfernten Garnisonsort nach der Schiffsstation, wozu er die Erlaubnis vom Kommandanten nur mit schwerer Mühe ausgewirkt hatte, denn es schien ihm stets so, als würde seine Ahnung ihn heute nicht betrügen. Aber gerade jetzt kam es ihm so vor, als werde das Schiff überhaupt nicht mehr kommen. Er wurde ungeduldig wie Blagoje. Er ließ seine Gedanken in der Vergangenheit umherschweifen, um die düsteren Visionen, welche ihn beschleichen wollten, zu bannen. Er begab sich im Geiste nach Knjazevac, seinem Geburtsort; er betrat das elterliche Haus, setzte sich unter den Nußbaum, den man bei seiner Geburt gepflanzt hatte und der jeßt in seinem Gezweig bereits dürre Äste hatte. Hier hatte er Vater und Mutter begraben, hier über die Straße weg in der Nachbarschaft ein Mädchen liebgewonnen, hier im Nebenhaus seinem Gevatter eine Zitrone und damit die Einladung zur Verlobungsfeier überbracht. O, wie traut und lieb ihm alles hier war! Der alte Nußbaumschrank und die fleinen Tassen, welche von einem türkischen Pascha zur Zeit des ersten Aufstandes erbeutet worden waren; die zerbrochenen Gestelle hinter der Wanne im Keller; das Bild des heiligen Nikolaus mit der doppelflügligen und gewundenen, zwei Schnecken ähnlichen Nase; das Kleid in der Rumpelfammer, welches seine Mutter bei ihrer Hochzeit getragen, und dann, dann und dieses Bild über
-
strahlte alle andern das fröhliche, sanfte und volle Gesicht seiner Frau und die verschämte Hoffnung auf Vaterglück... und... nein, das ist unmöglich! Wenn es auch Türken sind, so sind sie darum doch nicht wilde Tiere!
Er rieb sich die Stirne, um diese Gedanken zu verscheuchen. „ Der Meister hätte es Gott weiß wie gern gesehen, wenn sie ein Füllen geworfen hätte," fuhr Blagoje fort, unverwandt auf die Stelle hinblickend, auf welcher der Hauptmann noch von Anfang an saß. Freilich, das ist ein Tausendsasa, kein Pferd. Ei, aber so.." Der Hauptmann hörte ihm so ruhig zu wie dem Bendel an der schmierigen Uhr. Weder dieser noch Blagoje hinderten ihn im geringsten, seinen Gedanken nachzuhängen.
Wieder ist er im Geiste auf der alten Stelle. Wieder brennen die Häuser, und auf den Gassen liegen Entsetzen erregende Leichname... Erst gegen Mitternacht streckte er sich auf die Bank neben dem Fenster aus, nachdem er vorher noch einen Blick auf die immer schwächer leuchtende und immer übler riechende Lampe sowie auf Blagoje geworfen, welcher schnarchte, den Kopf zwischen den Beinen und die Arme nach vorn gestreckt, wie wenn er die Zügel eines Pferdes in der Hand hätte.
Vergeblich mühte sich der Hauptmann, die Augen zu schließen. Die Tscherkessen kamen ihm nicht aus dem Sinn. Erst gegen Morgen verfiel er in eine Art Halbschlaf; aber da vernahm man auch durch die nächtliche Stille schon das gleichmäßige Stoßen der Näder und das Geschrei der Leute, welche vom Borderteil des Schiffes aus die Tiefe des Wasserstandes maßen. Dann begann die Pfeife das verschlafene Personal auf dem Stationsschiff au wecken. Der Hauptmann springt auf; der Säbel entgleitet ihm und stürzt rasselnd zu Boden. Blagoje fährt aus dem Schlafe auf: " Du willst nicht- he?" spricht er, und es sieht aus, wie wenn cr von neuem die Zügel anzöge. Dann schläft er abermals ein. Der Hauptmann stürzte hinaus in die frische Morgenluft; der Atem versagte ihm fast; cin unaussprechlicher Schred hatte ihn crgriffen. Er lief spornstreichs zum Schiff, ergriff die von dem landenden Dampfboot ausgeworfenen Seile und begann sie zu sich herüberzuziehen. Kaum aber hat er begonnen das Tau um den