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Für unsere Mütter und Hausfrauen

und

Bergzinnen haben ihren eigenen spröden Klang, wenn die Sonne die Nachtkälte bricht, und tief unter uns in dem friedlichen Tale stürzt sich dann und wann ein Zug wie ein heulender Teufel in die Finsternis des Tunnels. Wie ein plögliches Nervenzittern durchjagt es die Stille, streift uns einen Augenblick mit einer fernen Anklage - weil wir so müßig dasigen und entschwindet im Sonnenglanz. und entschwindet im Sonnenglanz. lind wir versuchen ein wenig Rassenstolz auf die Beine zu stellen eben aus Anlaß dieser Eisenbahn, die die Unseren erfunden herabzublicken auf das Volk da unten, das nichts erfunden hat, nicht einmal ein flein wenig Pietismus. Aber stehen wir erst einem dieser Berghirten gegenüber, so stürzt das Gebäude dieses Rassendünkels zusammen. Wir müssen sie ganz einfach lieben und sie beneiden, und unser einziger Ärger ist, daß sie uns nicht wieder beneiden: wir sind ihnen vollständig gleichgültig. Aber sie verbergen diese Gleichgültigkeit unter einer unbegrenzten Zuvorkommenheit, denn wir sind ja ihre Gäste.

Und nun sind wir zu Fuß auf dem Wege nach Granada  . Gerade unter uns liegt die große Vega, sechs Meilen im Querschnitt, ganz von Bergen   umringt, und am entgegengesetzten Rande der Ebene erscheint Granada   als ein grauer Fleck an der Berglehne. Wir folgen dem Bogen des Gebirges und behalten die Ebene zu rechter Hand. Überall ist emsige Geschäftigkeit, obwohl die Sonne noch nicht aufgegangen ist. Auf der Nordseite der Berge gehen die Männer mit langen Stöcken umher und schlagen die späten Oliven herab, während Weiber und Kinder auf der Erde liegen, um sie aufzu­sammeln. Auf der Südseite wächst unter den Ölbäumen Weizen, und liefgebückte Männer sind beschäftigt, ihn mit Hilfe eines kleinen Schabeisens in lange Büschel zu teilen. In den kleinen Wirtschafts­betrieben arbeitet die ganze Familie mit, über die großen Guts­areale aber ziehen Arbeiter in langen Reihen, und ihnen folgt ein Aufseher, auf einen dicken Stock gestützt. Wenn es uns gefällt, ver­lassen wir die Bergstraße und folgen dem Bahnkörper, der die Spuren starken Verkehrs zeigt. Er führt uns durch kurze Tunnels und über einen Abgrund, auf dessen Grunde der Fluß schäumt; oben am Ende des Tales sehen wir diesen sich über die Felsen breiten wie silber­graues gelöstes Haar.

Ringsum stürzt Wasser aus dem Erdreich, zuweilen in Sprudeln, so groß wie eine Tischplatte; das sind los nacimientos, Lojas   be rühmte Quellen. Einige von ihnen gurgeln heißes Wasser empor, und zahlreiche Weiber aus dem Volke stehen darin bis an die Hüften nackt und waschen. Und wir passieren andere Wasserläufe, deren Inhalt weit jenseits der Berge in geschlossenen Kanälen oder offenen breiten Läufen eingeholt wird. Wie ein fein verzweigtes Adernez verästelt er sich über die Berglehnen zu jedem Obstbaum, sammelt sich wieder und läuft weiter, um sich wie ein Spiegel über ein planiertes Kornfeld zu ergießen, und ein wenig tiefer bildet sich noch ein Spiegel und wieder einer eine ganze Treppe horizon­taler Spiegelflächen übereinander. Aber noch darf es nicht weiter; ganz unten wird das überschüssige Wasser nochmals gesammelt, freibt eine Stampfe und weiter unten eine Mühle, wird um den Berg herum in ein tieferes Tal geführt und beginnt seine Tätigkeit von vorne. Und überall, wo das Wasser rinnt, schießt Reichtum aus der Erde. Der wandert in die Beutel der großen Gutsbesizer in den Städten, und die Menschen hier bleiben immer gleich arm.

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Fast aller Boden ist in den Händen von Leuten, die ihr Leben in Madrids  , Sevillas oder Granadas Palästen verbringen und oft nicht einmal ahnen, wo ihr Eigentum liegt und wie es aussieht. Der Boden wird häufig mit Hilfe von Verwaltern und Tagelöhnern in großem Stile bewirtschaftet, zumeist ist er jedoch in Höfe und Häuser parzelliert, die für eine Reihe von Jahren verpachtet werden. Die meisten dieser Bächter haben den Eigentümer niemals gesehen, nur seinen Pachterheber; es wird behauptet, daß der andalusische Gutsbesitzer häufiger nach Paris   fährt als auf seine Güter.

Die hohen Pachtabgaben im Verein mit den drückenden Steuern und dem Stadtzoll, der auf dem Produktionspreis lastet, bewirken, daß die Ackerbautreibenden troß großen Fleißes sich nur selten aus ihrer bedrückten Lage aufzuschwingen vermögen. Ärmer jedoch sind die Arbeiter ohne eigenen Besit. Sie wohnen in elenden baufälligen Dörfern von 10000 bis 30000 Einwohnern, denen nur ein kärg licher Eintagsverdienst den Hunger vom Leibe hält. Jeden Morgen kommt der Gutsverwalter auf den Marktplatz des Dorses, wo er die Arbeitsuchenden mustert, um täglich aufs neue seine Wahl für den Tag zu treffen. Der Tagelohn beträgt 50 Centesimos bis zu einer Peseta( 40 bis 80 Pfennig) und einem gaspacho: einem Labe­trunk, bestehend aus kaltem Wasser, Essig, Ol, Salz und Pfeffer. Er wird um zwölf Uhr mittags verteilt und bildet zusammen mit dem mitgebrachten Brot das ganze Mittagsmahl. Ehe der Arbeiter zum Markt geht, hat er einen Teller Bohnensuppe zu sich genommen, und des Abends, wenn er heimkommt, bekommt er wieder Bohnensuppe.

Nr. 10

Ein steiniger Weg schneidet unter der Bahnlinie durch, eigentlich ein ausgetrocknetes Flußbett. Während wir die Brücke passieren, fährt ein großer Hund aus dem dunkeln Tunnel, und darinnen stehen einige große dunkle Männer um einen Feuerstoß. Räuber! durch­fährt es mich, und wir biegen ab und wollen in das Flußbett hinab­steigen, um ihnen aus dem Wege zu gehen. Aber sie sperren uns eifrig protestierend den Abstieg ab und zwingen uns, mit in den Tunnel zu kommen. Es sind Jäger, die im Begriff stehen, einen Hasen zu braten und Frühstück zu halten; sie suchen das Herz des Hasen hervor, schneiden es in Stücke und bieten es uns auf der Spitze eines großen andalusischen Bauchaufschlißermessers an, wir essen und werden wirklich mutiger davon. Nachdem wir aus dent Halse ihres gemeinsamen Weinfruges getrunken, erhalten wir Er­laubnis, wieder zu gehen. Sie sind ganz aufgeräumt, weil sie uns an ihrer Mahlzeit teilnehmen lassen konnten, und begleiten uns unter vielen liebenswürdigen Wünschen durch den dunklen Tunnel zurück. Und wieder sind wir auf dem Wege, der zwischen dem Abhang und weitgedehnten Olivenwäldern dahinführt, oder auf einer kalf­bestaubten Straße, wo zweirädrige Ochsenwagen, überspannt von einem Tonnengewölbe aus Leinwand, dahintrotten. Die Ochsen passen selbst auf den Weg auf, und drinnen auf dem Boden des Wagens, der fast an der Erde schleppt, liegt der Kutscher auf dem Bauche und singt Liebeslieder. Bei jedem Weinhaus bleiben die Ochsen von selbst stehen, der Kutscher krabbelt verwundert heraus, sieht die Tiere und die Welt um sich her fragend an und geht damit hinein und bestellt ein Glas.

Wir haben uns vor e nem baufälligen Häuschen auf den Weg­rand gesetzt, um zu rasten. Sogleich kommt ein altes Weib heraus­gehumpelt und bringt uns ein paar Stühle. Als aber die Junge dazukommt und das sieht, schilt sie: welch sonderbarer Einfall, Leute auf der nackten Landstraße zum Sißen einzuladen! Wir müssen ein­treten! Das Haus hat nur einen Raum; in der einen Hälfte ist der offene Herd und die Wohnstube, in der anderen die Schlafstelle und der Stall für eine Ziege und einen Esel. Während wir mit der jungen Frau sprechen, starrt die Alte uns unverwandt an und bewegt die Lippen. " Ihr kommt wohl weit her?" fragte sie endlich. ,, Ei jawohl, nicht eben nahe."

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,, Da habt Ihr gewiß das Meer gesehen seid wohl gar darauf gefahren? Das muß doch was Seltsames sein, das Meer? Ist es wahr, daß es rund um die ganze Erde geht und sich aufbäumen kann wie ein wütender Stier und die Schiffe niederstoßen? Pedro, der Eseltreiber, ist auf dem Gipfel der Sierra Nevada gewesen und hat das Meer gesehen, aber er lügt. Er sagt, es sei flüssiges Gold, und die Sonne komme gerade daraus hervor. Ich aber sage: das ist Lüge, kleiner Pedrico, denn Gold ist hart, und das Meer ist Wasser, da man ja darin baden und ertrinken kann. Da müßte ja die Sonne darin erlöschen."

Sie hat eine Tochter gehabt, die im Meere, an der nordspanischen Stüste, ertrunken ist, erfahren wir. Darum beschäftigt das Meer sie so sehr. Aber hier in den Bergen ist niemand, der ihr davon er­zählen kann, als Pedro, der Mauleseltreiber, der es vom Gipfel der Sierra Nevada gesehen und der lügt. Wir aber haben oft darauf gesegelt und sogar darin gebadet, so wie ihre Tochter, als sie da­mals ertrant und warum sollten wir wohl lügen? Sie saugt jedes Wort ein und macht die Bewegungen dazu, als ich ihr vom Schwimmen erzähle; und plötzlich bricht sie heftig aus: Ja, wer es doch sehen und etwa gar die Hand hineinstecken könnte- demr das kann einem doch nicht schaden, was? Zuzeiten, wenn es wettert und ich nicht schlafen kann, schaue ich zu den Wetterwolfen auf und denke: so ist gewiß das Meer auch und dann weine ich um meine Tochter, der es so übel erging. Aber wenn dann der Himmel wieder ruhig und blau ist, dann denke ich, daß so auch das Meer sein muß, und das macht mich so froh, so froh." Sie nicht getröstet vor sich hin, und wir machen uns wieder auf den Weg.

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Wie alle Neisende haben wir unsere Kleine Paßgeschichte. Unter gewöhnlichen Umständen ist ja ein Paß ein sinnloser Gegenstand, er kostet Geld und vermindert die Spannung des Reisens, indem er jede Möglichkeit, etwas Abenteuerliches zu erleben, zunichte macht alle langweiligen Polizeigeister nehmen einen ja in ihre Hut. Ich ließ daher Paß Paß sein, als wir reisten, und steckte statt dessen zwei Blatternatteste in die Tasche, die wir noch aus unserer Kinder­zeit liegen hatten. Es hat doch sein Interesse, zu sehen, was solch ein Papierlappen tatsächlich wert ist, wenn es darauf ankommt, und ich muß gestehen, daß die Atteste die Probe bestanden. Obwohl an den meisten Orten in Andalusien  , in denen wir uns aufhielten, die Blattern gewesen, gingen wir ganz frei aus.( Fortsetzung folgt.)

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Drud und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart  .