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Für unsere Mütter und Hausfrauen
also Geduld!"
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„ Aber auch wir sind es nicht. " Ja, gewiß, Don Louis, Geduld wenn man mur nicht achtzig wäre! Denn eines schönen Tags, da." Er bewegt die Hände, als seien sie ein Körper, der den Berg hinab Purzelbäume schlägt und auf dem Friedhof tief unten endet.
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Diese Häusler tragen das Gepräge des Erdreichs wie unsere eigenen dessen Ruhe, dessen Solidität. Aber nicht dessen Schwere; sie klebt nicht an ihren Fußsohlen. Wie sie da gehen und mit dem Akademiker Don Louis die Zustände des Landes erörtern, besteht zwischen ihnen und ihm nur ein äußerlicher Unterschied; sie sind ebenso frei, sprechen dieselbe reine bilderreiche Sprache, ohne Dialekt und ohne nach Ausdrücken zu suchen. Und uns die Fremden umgeben sie vom ersten Augenblick an mit einem Wohlwollen, einer verfeinerten Rücksicht, die viele Generationen ererbten Adels voraussetzen könnte. Sie führen das Gespräch auf unser Gebiet, damit wir uns nicht langweilen, pflücken meiner Frau Blumen, suchen die besten Wegstellen für uns aus. Sie behaupten, wir müßten unbedingt etwas zu uns nehmen, ehe wir zum Dorfe kämen, und einer von ihnen muß vorauslaufen und es uns bringen; wir wechseln untereinander ein paar Worte, wie schön ein blühender Mandelbaum sich gegen den blauen Himmel zeichnet, und Alfonso klettert hinauf und holt uns einen Zweig.
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Das Dorf X. hängt mitten auf der Südseite des Berges. Es besteht aus Hütten, die an die Berglehne geklebt scheinen, hat 25000 Einwohner, fünf Priester und feinen Schullehrer. Wie die meisten größeren andalusischen Dörfer hat es elektrisches Licht, das durch Wasserkraft erzeugt wird. Dieser Fortschrittt ist ein Kind des allzugroßen Rüdganges, denn ein Liter Petroleum kostet infolge des ungeheuren Zolls auf alle Bedürfnisartikel einen Frank viermal soviel wie bei uns daheim. Aber die Elektrizität ist nicht bis in die Häuser gedrungen. Hier sitt man immer noch und tappt umher nach dem Schein eines Öldochtes, der mühsam mit Feuerstahl und Zunder angezündet wird weil der Staat fünf Millionen jährliche Steuern allein von Zündhölzchen erheben will. Ganz eigentümlich wirkt es, einen Menschen eine ganze Viertelstunde stehen und den Feuerstahl auf den Flintstein hämmern zu sehen, um seine Zigarette anzuzünden, direkt unter der selbstzündenden Glühlampe.
Es gibt keinen Bürgerstand in dieser Stadt, die doch an Einwohnerzahl unseren größeren Provinzstädten gleichkommt; die ganze Bevölkerung lebt von der Erde, die große Mehrzahl als Tagelöhner. Aber es gibt hier einen Stand, der sonst in Andalusien nicht anzutreffen ist bodenbesitzende Häusler. Mit dreien von ihnen haben wir schon Bekanntschaft gemacht, und oben im Dorfe erwarten uns noch andere und begleiten uns zur Schenke, wo für uns aufgetischt ist: Schweinefleisch und Tomaten, Spiegeleier mit Speckwürsten dazu.
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Während wir speisen, unterhalten uns die Häusler. Einer von ihnen erzählt, wie es ihm erging, ehe er seinen eigenen Boden hatte. Er arbeitete für einen großen Pachtbauern unten in der Vega und erhielt einen halben Franken Tageslohn, mit dem er sein Weib und sechs Kinder ernähren sollte. Nach Feierabend ging er täglich die anderthalb Meilen nach Granada und bettelte an einer Straßenecke bis Mitternacht : hierdurch verdiente er wieder einen halben Franken, und dies reichte einigermaßen zum Unterhalt der Familie. Aber für Schlaf blieb nicht viel Zeit übrig, und der allnächtliche dreimeilenlange Weg legte sich in die Beine. Und eines Abends war sein Platz von einem anderen Bettler eingenommen, der der Kälte wegen eine Decke um den Kopf gewickelt hatte. Er geriet in solche Wut, daß er auf den Mann losfuhr und ihm die Decke vom Stopfe riß; aber da war es sein eigener Brotherr, der von dem halben Franken gehört und ihm denselben wegschnappen wollte. Er ging nicht mehr hin, um seinem Dienstherrn nicht in den Weg zu kommen, aber seinen Abschied erhielt er dennoch.
„ Das sind jene Dinge, die die Leute zu Revolutionären machen," sagt Don Louis heftig, mit seiner weißen, ringgeschmückten Hand gestikulierend.„ Ich war vorige Woche in Madrid ; welcher Reichtum ist da in einzelnen Händen aufgehäuft, und welch' grenzenlose Armut dagegen bei den großen Massen! Die Gesellschaft muß zusammen brechen unter all dem himmelschreienden Unrecht jawohl, wir haben bald die Revolution." Er blickt überzeugend von dem einen zum anderen, und sie nicken düster und vertrauensvoll sie muß bald kommen! Dann geht ein helles Erinnerungslächeln über sein Gesicht.„ Es war allerdings eine teure Tour," sagt er und sieht sich mit tindischer Wichtigkeit um, sie hat mich über 5000 Franken gefoſtet bloß auf eine Woche, und ich war keine Nacht zu Bette. Ich spüre es noch immer in den Gliedern." Und er gähnt übermäßig wie ein prahlender Konfirmand.
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,, 5000 Franken!" wiederholen sie bewundernd unter sich, während er mit einem bescheidenen Lächeln den Kopf neigt. Soviel Geld
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habe ich nie auf einmal gesehen!" sagt einer, und sie lachen und schütteln den Kopf ob solcher Verschwendung.
Die Mahlzeit ist vorüber. Don Louis schenkt ein Glas Wein ein und reicht es zusammen mit einer Scheibe Speckwurst einem der Männer; dieser trinkt ein wenig von dem Glase, worauf es wieder vollgeschenkt wird und mit einer neuen Wurstscheibe zu dem nächsten geht. Auch dieser nippt ein wenig, es wird wieder vollgeschenkt und geht so weiter durch die ganze Runde, bis es zu Don Louis zurückkehrt, der diesen Kelch leert, ohne mit den Augen zu zwinkern. Ich fasse mir ein Herz und tue desgleichen. Als aber das Glas mit seinem wenig appetitlichen Inhalt zurückfommt, läßt der letzte es in auserlesener Galanterie nicht zu mir, sondern zu meiner Frau gehen. Sie sendet mir einen flehenden Blick zu, aber das Resultat des ganzen Ausflugs hängt ja davon ab, ob sie der Situation in diesem Augenblick gewachsen ist, und ich sehe unerbittlich drein. Da leert sie den Becher und macht sich dann draußen zu schaffen.
Nichts fann berechtigter sein als der Stolz, mit dem die Häusler uns in die Berge führten und uns zeigten, was sie geleistet hatten. Vor zwanzig Jahren verkauften die Erben eines Gutsbesizers die nackten Berglehnen und behielten bloß die fruchtbare Vega unten in den Niederungen. Die Kommune kaufte die Felsen und parzellierte sie in kleine Areale, die gegen einen geringen jährlichen Abzug den Armen des Dorfes überlassen wurden. Viele meldeten sich um der seltenen Freude willen, sich als Grundbesiger zu fühlen, und gaben es wieder auf. Einige Hunderte aber, die es ernster nahmen, begannen an den Felslehnen zu arbeiten. Überall, wo sich nur ein wenig Erde gebildet hatte, pflanzten sie: sie sprengten die Oberfläche der Felsen, zerschlugen sie mit Hämmern und mischten sie mit den Andeutungen von Erdreich, die Moose und Unterholz im Laufe der Zeiten abelagert hatten. Oder sie sammelten mit Hilfe von Dämmungen die verwitterten Stoffe, die das Regenwasser von den steilen Felsen herabspülte, und mischten sie mit Erde, die sie auf Eselsrücken von weither holten. Nun schwebt hier, 5000 Fuß über dem Meere, Feld an Feld, von scharfen, blauroten Felsen eingerahmt; halbwüchsige Feigen-, Oliven- und Mandelbäume flecken den Verg mit Laub und Blüten und scheinen an vielen Stellen aus dem Felsen selbst ihre Nahrung zu saugen.
,, Soviel kostet es heute noch, besigender Häusler in Spanien zu werden," sagt Don Louis.„ Aber wenn unsere Partei erst siegt, wird es anders werden, dann führen wir ein Gesetz ein, das alle diejenigen, die den Boden bearbeiten, zu dessen wirklichen Eigentümern macht. Wahrhaftig, augenblicklich haben meine Bächter es meit besser als ihr."
Wir erfahren, daß er von seinem Vater ein großes Landgut bei Murcia geerbt hat und nun von seinen Pächtern größere Abgaben verlangt, da die früheren zu gering waren. Dieser Umstand scheint jedoch der Festigkeit seiner Theorien keinen Abbruch zu tun, noch diese überhaupt in irgend einer Weise zu berühren, ebensowenig wie das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und den anderen darunter leidet. Sie sind eben Andalusier.
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Ein deutlicher Unterschied besteht jedoch zwischen diesen Häuslern und den übrigen Dorfbewohnern. Sie sind das bewußt revolutionäre Element und halten zusammen. Die Vertraulichkeit, mit der sie untereinander verkehrten, und die langen, falten Blicke, die die übrigen Einwohner ihnen nachsandten, als sie gruppenweise die Straße hinabzogen, deuten darauf hin, daß sie eine eigene Kaste innerhalb der kleinen Gesellschaft bilden, daß man sie teils mit Mißgunst betrachtet, teils in dem Glauben, daß sie in ihren Berghöhlen Büchsen versteckt hielten Berghöhlen Büchsen versteckt hielten sich von ihnen zurückzog, um nicht in irgend welche Mißhelligkeiten verwickelt zu werden. Sie haben sogar eine Abendschule gebildet, wo ihre Kinder und heranwachsende junge Leute Lesen und Schreiben lernen können, während die anderen sich mit dem mündlichen Religionsunterricht der Geistlichen begnügen müssen; auch die meisten der Alteren haben lesen gelernt. Sie besigen einen Zeitungsklub, der anarchistische und sozialistische Blätter hält, haben sich mehr oder minder von der Kirche losgesagt, und einzelne unter ihnen, wie Alfonso M., liegen mit ihr in offenem Kriege. Dieser friedliche Mensch wird rasend, sobald er bloß an einen Geistlichen denkt; all das Unrecht, das die Priester durch die Darniederhaltung des spanischen Volles verübt, scheint sich auf den Grund seiner Seele geschlagen zu haben als ein Haß, der so start ist, daß er ihn fonsequent macht. Er sagt nicht den gewöhnlichen spanischen Gruß: Geh mit Gott !, sondern geh in Gesundheit! und wenn er dem Sakrament begegnet, so unterzieht er sich lieber einer Strafe, als daß er das Haupt entblößt. ( Schluß folgt.)
Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel), Wilhelmshobe, Post Degerloch bet Stuttgart .
Druck und Berlag von J. 6. W. Dtes Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart .