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Für unsere Mütter und Hausfrauen

heber nicht selbst unterschreiben konnten, und unter ihnen einige der allerradikalsten. Der radikale Gedankengang braucht diesen Menschen nicht durch eine beschwerliche Arbeit in Büchern und Zei­tungen mühsam eingepaukt werden, sie besißen ihn als Instinkt. Auch Heitere Szenen spielen sich ab." Willst du nicht unter­schreiben, Antonio Lopez?" ruft man einem alten Manne zu. Ich fann ja nicht mehr zielen oder den Gendarmen in die Berge nach­Taufen," erwidert er niedergeschlagen. Aber du kannst daheim bleiben und unsere Frauen und Kinder verteidigen!"-" Jawohl, das kann ich," erwidert er stolz und unterschreibt. Einige haben sich in die Winkel versteckt, als sie mit ihrer Unterschrift einstehen sollen; sie werden unter Scherzen hervorgezogen und der Ver­sammlung als Avantgarde der Revolution vorgestellt.

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Die Frauen des Dorfes haben der Versammlung nicht bei­gewohnt, aber als diese zu Ende ist, kommt eine Deputation der Häuslerfrauen, um meine Frau zu begrüßen und uns zu bitten, im Dorfe auszuwählen, was wir mitzunehmen wünschen. Diese einfachen Frauen fühlten sich in diesem Augenblid als Repräsen­tanten der ganzen Nation; sie gaben der Erwartung Ausdruck, daß uns niemand auf unserer Reise Verdruß bereitet haben möchte, daß wir mit einem guten Eindruck aus Spanien   heim­fehren möchten und der Ausflug heraus nach X. diesem Eindruck feinen Abbruch tun werde.

Don Louis fährt mit dem Nachtzug nach Granada  ; wir aber wollen nächsten Morgen zu Fuß hineingehen, um die Vega zu sehen, und logieren uns im Gasthof ein. Wir müssen ein Zimmer durchschreiten, um zu dem unseren zu gelangen, es ist keine Türe dazwischen, sondern nur ein Vorhang zwischen der Türöffnung. Wir sind eben zur Ruhe gegangen, als ein Handelsreisender die Außenstube in Besitz nimmt und seine Nachttoilette daselbst be= ginnt. Während er sich entkleidet, hebt er ab und zu den Vorhang ein wenig und späht durch das Dunkel neugierig zu uns herein. Der Gastwirt hat elektrisches Licht in die Zimmer gelegt, aber wie um diesen allzugroßen Fortschritt auszugleichen, waren wie übrigens in allen anderen Häusern des Dorfes feine Glas­scheiben in den Fenstern, sondern verschließbare Lufen. An der Wand unseres Zimmers hing eine drollige Tafel, die einen nach den Südseeinseln versezte. Es war ein Verzeichnis der Hotel­wäsche; an der Vorderseite der Tafel waren die Umrisse der ver­schiedenen Wäschearten aufgezeichnet, und hinter der Zeichnung lief eine Reihe Löcher quer über die Tafel. In einigen derselben steckten in jeder Reihe ein paar Hölzchen, offenbar entsprechend der Anzahl der Wäschestücke.

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Als wir uns am nächsten Morgen mit den Schuhen in der Hand durch das Zimmer des Reisenden schlichen, fanden wir unten in der Halle Alfonso, Pedro, den Vorstand der Erdarbeiter, und ein paar Häusler, die auf uns warteten. Sie hinderten uns beharr­lich, unseren Aufenthalt im Gasthof zu bezahlen, und da der Wirt es mit ihnen hielt, war für uns nichts zu machen. Während wir unser Frühstück, warme Ziegenmilch, nahmen, brütete Alfonso über einem Plan, mit dem er endlich hervortrat. Er habe in Gra­ nada   zu tun, und wenn wir nichts dagegen hätten, mögen wir ihn begleiten und seine beiden Lasttiere benüßen. Ich hatte den Arg­wohn, daß hier wiederum die Gastfreiheit im Spiele sei; und da ich nicht wollte, daß er unserer Bequemlichkeit zuliebe einen Ar­beitstag opfern solle, erkundigte ich mich im stillen bei den anderen, denen ich meine Bedenken mitteilte, ob er wirklich in Granada   zu tun habe. Sie sahen sehr nachdenklich drein, redeten untereinander viel hin und her über den langen schlechten Weg und erklärten endlich einstimmig, daß er auf alle Fälle in Pinos- Puente   zu tun habe, einem Dorfe, das auf halbem Wege lag. Es war die Zeit der emfigsten Frühjahrsarbeit, und sie wollten ihm und uns in gleicher Weise gerecht werden.

So nahmen wir Abschied und machten uns auf den Weg. Alfonso hatte seinen kleinen achtjährigen Sohn vor sich auf dem Esel, wir anderen zogen vor, zu Fuß durch das steile Dorf zu gehen. Es war früher Morgen, und auf dem Marktplatz standen Scharen von Ar­beitern, und einige Männer in Mänteln gingen umher und be­sahen sie. Das ist der Sklavenmarkt," murrte Alfonso. Sehen Sie, wie sie sie befühlen, als seien sie Tiere." Lange Zeit blieb cr stumm, fast unzugänglich, dann aber kam jenseits der Vega die Sonne über der Sierra hervor, und er wurde wieder lebhaft und gesprächig. Er wollte nicht reiten, sondern ging neben meinem Esel einher, auf meinen Stock gestützt, und sprach von der schönen Zeit, da es feine Herren und keine Lohndiener irgendwelcher Art geben würde, feine Armut und keine Kapitalisten und seine Wangen hatten

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wieder die roten Flecken von gestern. Er zog ein schmutziges Buch aus der Tasche. Das führe ich auf dem Felde und bei Wan­derungen immer bei mir," sagte er, es hält einen so hübsch im

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Feuer, wenn man lau zu werden beginnt." Es war der Almanach der Anarchisten" mit Bildern von Tolstoi, Krapotkin und den Königs- und Präsidentenmördern der letzten Jahre und einem furzgefaßten, fräftigen Text, der vortrefflich seinem agitatorischen Zwecke entsprach.

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Mein Stock schien ihm auffallend schwer, und er fragte, ob ein Dolch darin sei. Nein, aber der Kopf ist aus Blei, da läßt sich's gut zuschlagen." Er sah mich ernsthaft an. Ich bin noch niemals in der Lage gewesen, mich gegen meine Mitmenschen verteidigen zu müssen, oder umgekehrt." Aber Sie sind ja gerade auf Kriegsfuß mit der Gesellschaft," wandte ich ein. Mit den Räubern, jawohl, aber nicht mit meinen Mitmenschen; sie tun mir nichts zuleide, und ich glaube, ich würde lieber sterben, als einem unter ihnen ein Leids zu tun. Alle Menschen, die der Macht nicht zu nahe gekommen, sind ja gut; die draußen im Gebirge kenne ich alle und weiß, daß sie es sind; Don Louis, der aus der Mittelmeer­gegend stammt, ist es auch, und nun kommen Sie so weit her vom hohen Norden und sind wie ein Bruder zu mir."

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Daß er außer seinem eigenen Esel für uns einen zweiten ent­liehen, selbst die ganze Strecke geht, damit wir reiten können, und außerdem nicht weiß, was Liebes er uns alles erweisen soll das heißt bei ihm, daß ich wie ein Bruder zu ihm biri. Wenn ich ab­steige und ihn nötigen will, aufzusißen, sagt er, ihn friere, und der Arzt habe ihm befohlen, so viel als möglich zu gehen bloß um mich zu bewegen, wieder aufzusißen. Ich kann den ganzen Weg von Pinos- Puente   heimreiten," sagt er, und dann müssen Sie ja gehen." Aber als wir nach Pinos- Puente   kommen, hat er auf der anderen Seite der Stadt zu tun, und als wir dorthin kommen, will er uns noch ein Stück begleiten.

Endlich bleibt er eine halbe Meile hinter der Stadt stehen, wir speisen etwas in einer Schenke, und er nimmt Abschied. Nein, es ist zu abscheulich," sagt er dann im letzten Augenblick und wendet mit seinen Tieren um, ihr müßt wieder aufsizen, Freunde. Es ist noch weit bis Granada  , viel zu weit für euch, und ich habe eine Tante dort, der ich einen Besuch schuldig bin." Ich erinnere ihn an seine Arbeit daheim, er würde die Nacht zur Rückkehr brauchen und der morgige Tag wäre verloren. Er gibt nach, sagt ein letztes Lebewohl und setzt sich in Bewegung. Da gibt es ihm einen Ruck. " Der Junge soll es entscheiden," sagt er und wendet um, wohin willst du lieber, zur Tante oder heim?"" Zur Tante," erwidert der Kleine ernsthaft, und Alfonso lächelt triumphierend. Wir bleiben also heute nacht hier und kehren morgen heim," sagte er entscheidend. Und wir reiten. Einigemal beobachte ich eine Eigenschaft an ihm, die in Spanien   selten ist Güte gegen die Tiere. Und noch befremdender wirkt es fast, daß er nicht raucht. Ich will in feiner Weise Sklave sein," sagt er, und wir Spanier können nicht rauchen, ohne Sklaven des Tabaks zu werden." Aber seine Ent­haltsamkeit gilt nur sich selbst. Willst du sie haben?" fragt er seinen Sohn, als ich ihm selbst eine Zigarette anbiete. Der Kleine schüttelt mit komischem Ernste den Kopf. Die beiden behandeln einander in allem wie Erwachsene.

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Wir sind unablässig dem Saum des Gebirges gefolgt, denn die Straßen draußen auf der Vega sollen überschwemmt sein, und es ist fast Abend, als wir uns Granada   nähern; hoch oben hinter der Stadt liegt Alhambra   golden gegen den Sonnenuntergang. Wir nehmen Abschied von Alfonso, den der Weg nach der anderen Seite führt, und steigen durch den steilen Stadtteil Albaicin   auf. Als wir uns auf der obersten Terrasse umwenden und hinausblicken über die üppige Vega und Sierra Elviras lilafarbene Silhouette mitten in dem flammenden Sonnenuntergang, entdecken wir weit unten auf der Straße Alfonso und seinen Sohn, die in flinkem Trabe den Bergen zureiten. Sie wollen heute nacht noch heim, die kleinen Felder zu Hause können sie nicht auch noch morgen entbehren.

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Der Anarchist Alfonso! Er hat uns zuliebe alle persönlichen Rücksichten beiseitegesezt, und nun reitet er heim zu seinem Grund und Boden, froh seiner Tat, in vertraulichem Gespräch mit seinem fleinen Sohne, mit dem er wie mit einem Bruder verkehrt, im Frieden mit allen Menschen. Und eines Tages ertönt das Signal zu der großen Umwälzung, er springt auf in heftiger Freude, und bereit, sein Leben für die neue Zeit des Glückes zu opfern fällt, zur Erde gestreckt von der Kugel eines Gendarmen. Und die alte Zeit trottet weiter über seine Leiche. So wird es ihm ergehen. Und dennoch! Wenn ich dann und wann nach einem Vorbild tappe, einen ganzen Menschen suche, dem zu gleichen oder den mindestens zu beneiden sich verlohnte fällt mir immer der Anarchist Alfonso ein.

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Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe. Bost Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. tn Stuttgart  .