Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 13 o ooooooo 。。。。。。。 Beilage zur Gleichheit ooooooo O O O O 1913

Inhaltsverzeichnis: Über die Entwicklung des sozialen Sinnes bei Kindern. III. Von Fritz Elsner. Die Naturwissenschaften in Küche und Haushalt. Von Dr. J. H. Für die Mutter. Hygiene. Ein Märzentag. Von Emma Döly. Feuilleton: Blumen und Frauen. Von Werner Peter Larsen.

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Cleber die Entwicklung des sozialen Sinnes bei Kindern. III.

Wir gehen nun zur Betrachtung einiger wichtiger sozialer Ge­fühle über. Wir beginnen mit jenen Gefühlen, die darauf beruhen, daß wir uns mit unserer Umgebung bergleichen und auf ihr Ur­teil achten. Die Entstehung solcher Gefühle, deren träftigste Stolz und Scham sind, beruht auf der Entwicklung des Jchgefühls, und diese geht keineswegs rasch vor sich. Werden doch oft noch im zweiten Lebensjahr die eigenen Gliedmaßen nicht klar von frem­den Gegenständen unterschieden. Das hat seinen Grund darin, daß anfangs die nervöse Verbindung sehr lose ist zwischen dem Rücken­mark, wohin die Nerven von Rumpf und Gliedmaßen ihre Er­regung übermitteln, und dem Gehirn, wo diese Erregungen zu be­wußten, miteinander verglichenen Empfindungen werden. Erst durch übung geht aus den Empfindungen der verschiedenen Sinne und aus unendlich vielen Erfahrungen der Begriff Jch  " hervor. Er stellt eine Abstraktion aus Einzelerfahrungen dar, so wie der Wald nur da ist, wenn Bäume da sind. Diese allmähliche Erwer= bung des Jchgefühls macht es verständlich, daß sich Regungen von Stolz und Scham erst im dritten Jahre bei den Kindern zeigen. Von da an wird das Urteil der Umgebung für die Selbstbeurtei­lung wirksam. Stolz und Scham sind von jeher als notwendig zur Charakterbildung betrachtet worden. An ihnen sieht man deutlich, wie selbst ausgesprochen egoistische das Wort ohne tadelnden Sinn gebraucht Regungen sozial bestimmt sind. Die Fähigkeit, Scham und Stolz zu empfinden, bringen alle normalen Kinder mit auf die Welt; wessen sie sich schämen, und worauf sie stolz sind, hängt von ihrer sozialen Umgebung ab.

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Der Behauptung des Jchs gegen die Umwelt entspringt auch das Streben nach Eigentum. In der bürgerlichen pädagogi­schen Literatur wird immer ganz besonders auf einen Eigentums­trieb hingewiesen mit deutlicher Spike gegen den Sozialismus, der das Eigentum abschaffen wolle und sich damit gegen die Na­tur" versündige. Nun ist aus der Natur für das entwickelte so­ziale Leben des Menschen gar nichts zu beweisen. Wenn ursprüng­liche Triebe den Menschen in ihrer Gesamtheit schädlich werden, so werden sie eingeschränkt. Ferner steht ein weitgehender Kommu­nismus an der Schwelle der menschlichen Geschichte, zu deren Überschreitung es langer Zeiträume bedurfte. Gewiß ist nicht zu leugnen, daß das Kind danach strebt, sich Dinge anzueignen, die ihm gefallen, und daß es bei längerem Gebrauch ein Recht auf sie geltend macht. Diese Neigung ist bei allen Kindern zu beobachten. Das Kind, dessen Fühlen, Denken und Handeln auf seine eigene Berson gerichtet ist, drückt den mit seiner Existenz verbundenen Gegenständen den Stempel des Eigentums auf. Früh zeigen Kinder Regungen des Neides, was namentlich häufig gegen über später hinzukommenden Geschwistern beobachtet werden kann. Die älteren mißgönnen zunächst dem neuen Familiengenossen die alte Wiege, die Spielsachen und-geräte, vor allem auch die Liebe der Eltern. Aber sofort sett ohne Rücksicht auf die angeborene " Natur" in der Familie die gegenwirkende Gemeinschafts­tendenz ein. Der gemeinsame Anteil am Hausrat, an den Nah­rungsmitteln, den Eltern, die Gleichheit in der gesamten Lebens­führung erzeugt als Band zwischen den Menschen den Familien­sinn, der auch bei individuell start verschiedenen Familiengliedern fräftig entwickelt sein kann. Dieser Familiensinn, das ist zu be­achten, erwächst auf kommunistischer Grundlage. In vorbürger­lichen Gesellschaftszuständen ist er nicht in den Rahmen der Einzelfamilie eingeengt, sondern er wirkt als Geschlechterbewußt­sein, das seine Grundlage wiederum letzten Endes in dem gemein­samen Besitz des Geschlechtes hat.

Bekanntlich wollen wir Sozialisten aber nicht das persönliche Eigentum abfchaffen, sondern den Privatbesitz   an Grund und Bo­den, Fabriken, Maschinen usw., furz das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Und da wird für die Gesellschaft eine Seite

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des Sinnes für Eigentum von höchstem Werte, die heute natur­gemäß selbst bei Erwachsenen sehr schwach entwickelt ist und plan­mäßig bei Kindern noch kaum gepflegt wird: das Gefühl für das Recht am öffentlichen Besitz und für die Pflichten, die dem einzelnen daraus erwachsen. Wo haben wir in Deutsch­ land   gegenüber den öffentlichen Einrichtungen, Straßen, Plägen, Gebäuden, Bibliotheken, Museen, Kunstwerken und Theatern das stolze demokratische Gefühl: das ist unser!? Nur gelegentliche An­fäße zur Pflege dieses Gefühls durch die Schule gewahren wir. So zum Beispiel dort, wo in neuzeitlichen meist privaten Erziehungsanstalten ein Garten von den Schülern gemein­sam bestellt, die Zimmer mit Zeichnungen und Handarbeiten der Kinder gemeinsam geschmückt werden. Mit großem Ge­schick hat einer der warmherzigsten Pädagogen unserer Tage, Johannes Langermann, das Prinzip, auf das es hier ankommt, in einer Hilfsschule durchgeführt. Er machte den Schulgarten zur Grundlage seiner ganzen Erziehungs­tätigkeit an seinen unternormalen Zöglingen. In seiner lesens­werten Schrift" Der Erziehungsstaat" berichtet er, wie in den Schülern auf Grund der gemeinsamen Arbeiten nach gleichem Recht sich ein hohes Solidaritätsgefühl entwickelt und das Be­wußtsein geweckt wird: das ist unser gemeinsamer Garten, wodurch es ihm gelingt, den Egoismus der Stärkeren, Lüge und Neigung zum Diebstahl siegreich zu überwinden. Natürlich bedarf es Kindern gegenüber der leitenden Hand des Lehrers, um das zu erreichen, was den Völkern die Dialektik der Geschichte mühsam einpaukt: die Bändigung der Selbstfucht. Ein Kinderstaat, sich selbst überlassen, geht Wege, die denen der Gesellschaft in mancher Hinsicht ent= sprechen. Das zeigt ein interessanter amerikanischer Versuch. John Mac Donogh schenkte der Stadt Baltimore   800 Morgen Land zur Errichtung einer landwirtschaftlichen Schule, und das gab Gelegen­heit, das soziale Verhalten der dort untergebrachten Knaben zu beobachten. Es zeigte sich anfangs ein System gemeinsamen Land­besizes. Jeder Knabe hatte einen gleichen Anteil an dem Grund und Boden und an allem, was darauf gefunden wurde. Eine all­jährliche Neuverteilung des Landes fand statt, wie bei den Ger­manen zur Zeit des Cäsar und Tacitus  . Nach einigen Jahren aber entstand aus dem vorübergehenden ein dauerndes persönliches Eigentum: Einige Knaben vermachten beim Verlassen der Schule ihr Land an ihre Lieblingsfreunde, und so kam es, daß sich nach einiger Zeit alles Land in den Händen von drei Knaben befand: an Stelle des Gemeineigentums war das Landmonopol getreten! Dagegen aber empörten sich die übrigen Kinder, und sie erzwangen die Herausgabe wenigstens eines Teiles des Landes."

Das Recht regelt die Ansprüche der einzelnen gegeneinander und gegenüber der Gemeinschaft. Ohne Rechtsgefühl keine soziale Gemeinschaft, oder richtiger: jede soziale Gemeinschaft erzeugt ein entsprechendes Rechtsgefühl. Auf der ersten Kindheitsstufe kann davon keine Rede sein, weil erst mit dem egozentrischen Stand­punkt gebrochen sein muß und die anderen Persönlichkeiten in ihrer Eristenzberechtigung erkannt sein müssen. Für das Kind ist wie für primitive Völker die stärkste Quelle des Rechtes die Ge= wohnheit. Mit einem das ist so" und das war so" begründet es ausreichend die im Hause oder unter den Kameraden herrschen­den Gesetze. Daneben hat namentlich bei jüngeren Kindern die Autorität der Erzieher Gesezeskraft. Vernunftgründe treten bis in das schulpflichtige Alter ganz zurück, und man kann noch bis zum zehnten Lebensjahr die meisten Kinder durch Fragen nach den Gründen eines Brauches oder Gesetzes in Verlegenheit setzen. Das Kind unterliegt eben ganz der Gewalt der Persönlichkeit des Erwachsenen oder des unpersönlichen Gemeinschaftswillens. Früh wendet es die Gesetze seiner Umgebung an und dringt auf ihre Erfüllung auch gegen sich selbst, und oft genug kann man beob­achten, wie Kinder über die übertretung etwa der Hausordnung in empörtes Erstaunen geraten. Überhaupt muß betont werden, daß der Sinn für Gerechtigkeit und Kraft bei normalen Kindern eigentümlich stark und zart ist. Über nichts wachen sie eifersüchtiger als über ihre Rechte, wie sie sie verstehen, und manche vermeint­liche kindliche Verstocktheit beruht auf einem vielleicht unklaren Gefühl der Kinder, ihnen sei unrecht geschehen. Denn die Berech­tigung der Strafe als der Rückwirkung einer Gesebesüber­tretung wird früh erkannt. Hier kommt alles darauf an, die Strafe die aber nicht in körperlicher Züchtigung bestehen soll­

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