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Für unsere Mütter und Hausfrauen

ten Ginne bes Mortes, Bon Leiben

Idealist im besten Sinne des Wortes, von leidenschaftlicher Be­geisterung für die Idee der Freiheit und des Rechts getragen, je= doch ohne geschichtliches Verständnis für die harten Tatsachen, unter denen diese erhabenen Jdeale sich in der Gesellschaft durch­setzen. Er erfaßte das Walten der vorwärtstreibenden Entwicklung, wie es sich in dem Empfinden und Denken der Menschen äußerte, in ihrem Sehnen nach geistiger und politischer Freiheit, nach gleichem Recht. Die letzten gesellschaftlichen Triebfräfte solchen Sehnens und Forderns dagegen blieben ihm fremd. Daher fonnie er auch nicht zu einer flaren Auffassung des Charakters und des Zieles der Revolution in Deutschland   kommen. Das Drängen der Bourgeoisie nach verfassungsmäßigen Rechten erschien ihm als gleichbedeutend mit dem Ringen für die Befreiung aller Menschen, ohne Unterschied der Klasse. So ward Röckel ein überzeugter Par­teigänger der Revolution. Eine durch und durch lautere Natur, ein abgefagter Feind jedes Lippenbekenntnisses, bekräftigte er seine Überzeugung durch die Tat. Bewunderungswürdig ist die Hingabe, mit der sich Röckel ohne zu feilschen und zu schachern in Reih und Glied der Dresdener   Maikämpfer stellte. Was kümmerte ihn die Rücksicht auf sein Amt, auf seine gesellschaftliche Stellung? Vom Freiheitsfeuer verzehrt, ließ er sich auch nicht durch den Gedanken an das ungewisse Los der Seinen die Hände binden. Er empfand mit Heines Grenadier:

Was schert mich Weib, was schert mich Kind, Jch trage weit besseres Verlangen,

Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind..."

Röckels ganze Wesenheit schloß es aus, daß er in den Mai­fämpfen eine führende Rolle spielen konnte. Die grausam- blinde Laune des Zufalls ließ jedoch seinen Anteil an der Erhebung be­deutender erscheinen, als er in Wirklichkeit war. Seine persön­lichen Beziehungen zu Heubner, Bakunin   und anderen Führern des Aufstandes mögen wie seine schrankenlose Opferwilligkeit und feine unerschütterliche Charakterfestigkeit zu dem Rufe beigetragen haben, daß er ein besonders gefährliches Haupt der Revolutions­partei sei. Röckel fiel als Gefangener in die Klauen der Reaktion, und diese rächte sich in teuflischer Weise an ihm dafür, daß die Ne­gierung des Gottesgnadentums vor der Revolution gezittert hatte. Unzweifelhaft wurde sein Schicksal auch durch seine frühere Stel­lung in der Gesellschaft verschärft. Vom Standpunkt ihrer eigenen Bedientenhaftigkeit aus konnten es die Ordnungsschergen nicht be­greifen, daß ein Königlich sächsischer Kapellmeister als Revolutionär gegen die eidbrüchige Regierung des nämlichen Königs aufge­standen war, der so oft huldvoll" Röckels Kunst belobt hatte.

In einer erbärmlichen Farce von Gerichtsverfahren wurde der Gefangene lange Monate moralisch gefoltert. Der Schlußakt brachte die Verurteilung zum Tode und die heuchlerische Begnadi gung" zu lebenslänglichem Zuchthaus. Nach der überführung Nöckels aus der Festung Königstein   nach Waldheim   begannen die Martern des Sträflings, der seiner Persönlichkeit, seines Men­schentums verlustig erklärt worden war und nur noch eine Num­mer des Zuchthauses sein sollte, aller Willfür der Beamten preis­gegeben, bis zur schimpflichen und vernichtenden körperlichen Züch­tigung. Elf lange Jahre hat der Zuchthäusler" der gehäuften Bein in der Waldheimer Hölle standgehalten. Er sah um sich die Freunde, die Kampfes- und Schicksalsgenossen sterben und ver derben, einzeln und zu vielen. Er hörte von der Verzweiflung seines Weibes, der trüben Jugend seiner Kinder, von den bohren­den Schmerzen und wachsenden Sorgen seiner treuhelfenden Ge­schwister. Seine robuste Gesundheit ward schwer erschüttert, seine moralische Kraft behauptete sich in fieghaftem Rebellentrok, der kein Schwanken und Wanken dort kannte, wo er sich im Recht glaubte. Wiederholt wurde Röckel nahegelegt, gleich anderen Mai­fämpfern feine Begnadigung vom König zu erbitten. Er wies solches Anfinnen unbeugsam ab. Er wertete die Nevolution als un­veräußerliches Menschenrecht, das kein Fürst und kein geschriebener Gesetzestegt antasten dürfe, und seine Verurteilung dünkte ihm nur eine Verhöhnung, eine Vergewaltigung des Rechts. Nicht eine Gnade follte ihm die Zuchthauszelle öffnen, sondern die Gewalt, die ihn widerrechtlich hineingestoßen hatte. Aber die Verhältnisse gestatteten ihm auf die Dauer nicht die stumme Auflehnung gegen die Gewalt, die als Siegerin in der Macht und im Recht faß. Die Gesundheit seiner Frau war dem langjährigen Gram erlegen, die Erziehung der Kinder verlangte nach dem Vater, Röckels hochbetag= ter eigener Bater wankte dem Grabe zu, der Bruder der auf­opfernde Erhalter und Beschützer der Familie stand vor dem wirtschaftlichen Ruin. So entschloß sich Nöckel Ende 1861 nach schiveren inneren Kämpfen zu einem Schreiben an den König, das weiterzubefördern die Gefängnisbehörden sich anfangs weigerten.

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Nr. 16

Der Sträfling" erklärte darin stolz:" Da mir meine Auffassung von der ganzen Kette von Ereignissen, die mich hierher geführt haben, verwehrt, die Gnade des Königs als Richter anzurufen, so glaube ich doch mich an das Herz des Menschen wenden zu dürfen, in dessen freie Hand es gegeben ist, die Sorge und Trauer einer zahlreichen Familie zu enden."

Die Regierung war trotzdem entschlossen, Rödel freizulassen. Sein Verbleiben im Zuchthaus wurde für sie je länger, je mehr eine Quelle ärgerlicher Verlegenheit. Unter dem Druck der kapita­ listischen   Entwicklung setzte sich in Sachsen   der bürgerliche Rechts­und Vernunftstaat" durch, wenn auch langsam und unvollkommen genug. Damit vertrug es sich schlechterdings nicht mehr, daß der aufopfernde, standhafte Vorkämpfer der bürgerlichen Freiheit Zucht­hauskleider trug, im Schoß den Napf voll Erbsenbrei". Aber es bleibt bezeichnend für die boshaft- beschränkte Kleinlichkeit der Re­gierung, daß fie auch jetzt noch versuchte, durch den Justizminister in Person von Röckel eine Erklärung zu erpressen, was sie in Wort, Schrift und Tat" von ihm zu gewärtigen habe. Der Zucht­häusler empfand den Anschlag als eine rohe, freble Komödie und antwortete dem Minister so rückhaltlos, daß an die geplante Ver­herrlichung des königlichen Geburtsfestes durch die Begnadigung des letzten Maigefangenen nicht wohl mehr zu denken war". Zu einer schriftlichen Erklärung aufgefordert, äußerte fich Rödel in einem Schreiben an den Minister, das ein erhebendes, wunder­volles Dokument der Überzeugungstreue ist. Ohne Umschweife be­kennt sich Röckel darin zur Revolution. Die Regierung war des grausamen Spiels endlich fatt. Am 9. Januar 1862 wurde das Opfer der Reaktion bedingungslos in Freiheit gesetzt, nachdem Röckel noch entschieden abgelehnt hatte, seine Freilassung um den Preis des Versprechens zu erkaufen, nach Amerika   auszuwandern. Erst in den Jahren der wiedergewonnenen Freiheit hat sich die wahre Tragik von Röckels Leben erfüllt. Die Flamme seiner revo­lutionären überzeugung hatte hell und start hinter den Kerker­mauern gelodert, sie verschwelte trüb in der Luft der aufziehenden Reichsherrlichkeit unter Preußens Zuchtrute. Rödel fand nicht den Anschluß an die sozialistischen   Freiheitskämpfer, die Willensvoll­strecker der 48er Revolution und des Dresdener Maiaufstandes. Er schloß seinen Frieden mit dem bürgerlichen Staat, wie er war, und wurde einer seiner Verteidiger. Soviel wir in Erfahrung bringen konnten, ist er vor mehreren Jahren fast vergessen und ruhmlo3 als Redakteur eines kleinen bürgerlichen Blattes gestorben. Un­geachtet dieses Ausganges will uns das Wort Verrat" nicht über die Lippen. Das Ende dieses erschütternden Lebens war ein Schiff= bruch, kein unehrlicher Bankrott. In der engen Welt hinter den Zuchthausmauern konnte der Rebell das alte Ziel nicht aus den Augen verlieren, es glühte vor seiner Seele, dem führenden Feuer eines Leuchtturmes gleich. Nach dreizehnjähriger Abgeschlossenheit, ohne den sicheren Kompaß des historischen Materialismus, verlor er auf dem großen Ozean des geschichtlichen Geschehens die Steuerung. Der wirkliche, der geschichtliche Rödel tritt uns in seinem Büch­Icin entgegen: Aus dem Grabe eines 48er Revolu= tionärs". Eine Schrift, in der wir Blatt auf Blatt einen ganzen Mann finden, einen reinen, edlen Menschen, einen starken und aufrechten Kämpfer für Freiheit und Recht. Wir fügen an, was Röckel über die Beteiligung der Frauen an dem Dresdener Maiaufstand schreibt. In nächster Nummer lassen wir weitere interessante Stellen aus dem Buche folgen.

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,, Mehrfach hatte ich Gelegenheit, zu beobachten, wie leicht doch Frauen sich in die ungewohnteste, schreckerfüllte Lage finden und ihre volle Geistesgegenwart bewahren, sobald ihnen darin nur Ge­legenheit zu einer entsprechenden Tätigkeit wird. In den exponier­testen Häusern, mitten im Gepfeife der Kugeln, unter Kämpfenden, Verwundeten und Sterbenden wirtschaften Mädchen und Frauen mit einer so ruhigen Besonnenheit, als wären sie in solchen Szenen aufgewachsen. Besonders erinnerlich ist mir eine nicht mehr junge Dame, die im ersten Stockwerk eines vom Zwingerwall aus lebhaft mit Kanonen beschossenen Eckhauses im Verein mit ihren Dienerinnen nicht nur höchst geschäftig Speise und Trank für die zahlreiche Besatzung ihrer Wohnung besorgte, sondern auch als Tochter oder Witwe eines spanischen Offiziers, die schon vick Der­artiges erlebt und das Ding versteht, gleichsam das Kommando über die Volksstreiter in ihrem Bereich führte: jetzt zu den Töpfen in die Küche, von da wieder in die Zimmer eilend, die Männer anweisend, wie sie sich zu stellen haben, um mit Sicherheit zielen

August Röckel  , Aus dem Grabe eines 48er Revolutionärs. Leipzig  , Gustav Gohlke, Stommissionsverlag Theodor Thomas. 2 Mt. Wir empfehlen dieses Buch aufs wärmste, wenngleich die Ausgabe nicht vollständig ist.

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