Nr. 16
Für unsere Mütter und Hausfrauen
Las Cigarreras.*
zu können und doch gegen feindliche Kugeln gedeckt zu sein. Wie ich später vernahm, hat auch sie das tödliche Blei mitten in ihrer eifrigen Tätigkeit erreicht. Nur wenige Schritte von diesem Hause hatte kurz vorher ein ergreifendes Drama seinen Abschluß ge= funden. Ein junges Mädchen, deren Bräutigam gleich in den ersten Tagen an ihrer Seite gefallen war, hatte geschworen, seinen Tod zu rächen. In Trauerkleidung, mit aufgelöstem Haare, stand sie frei auf der gefährlichsten Barrikade, mit sicherer Hand ihre Kugeln ausfendend, bis sie endlich tödlich verwundet zusammenbrach. Sie war nicht die einzige Heldin jener Tage. Auf dem Kommandobureau erschienen einmal drei junge Leute in Turnerkleidung und verlangten eingereiht zu werden in die Zahl der Streiter. Auf die von mehreren Anwesenden getanen äußerungen über deren fast zu jugendliches Alter und namentlich die zarte Gestalt des einen, erklärte der ältere von ihnen, auf seinen ihm zunächst stehenden Kameraden deutend: ‚ Das ist ein Mädchen. Ein anderes Mädchen hatte vom Beginn des Kampfes an auf der Barrikade gestanden und kam, kurz nach dem Abzug der Streiter von Dres den , auf das Rathaus, flagend, daß keine Kugel sie getroffen. Gilig entfernte sie sich mit den Worten: Vielleicht ereilt mich noch eine Kugel; ich folge meinen Kameraden. Lebt wohl!' Ihr Wunsch ward nicht erfüllt: die Verurteilung zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe lohnte ihren Versuch, durch einen heiligen Tod ein verfehltes Leben zu fühnen."
Feuilleton
Ferne Lichter.
Von Korolenko.
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An einem grauen Herbstabend war es schon lange ist es her da ich auf einem düsteren Strome Sibiriens fuhr. Plötzlich, an einer Biegung seines Laufes, blitzte vor mir, hinter den dunklen Bergen, ein fleines Licht auf.
Hell, stark und greifbar nahe blizzte es auf.
..Nun, Gott sei Dank," rief ich heiter, ein Dorf! Da wird auch eine Herberge nicht mehr weit sein."
Der Ferge, ein Sibirier, drehte sich um, schaute über meine Schulter hinweg nach dem Lichtlein aus und stemmte sich dann von neuem gegen das Ruder.
" Weit, sehr weit!"
Ich glaubte ihm nicht. Aus der unbestimmten Finsternis trat das Lichtlein hervor und stand vor mir. Aber der Ferge hatte recht; weit entfernt war es wirklich.
Es ist die Eigentümlichkeit dieser nächtlichen Lichter, sich zu nähern, das Dunkel zu besiegen, aufzuflimmern und verheißungsvoll durch ihre Nähe zu locken. Hier leuchtet es jetzt, hier... Noch zwei Schläge mit dem Ruder, und der Weg ist zu Ende... Und doch ist es noch so weit, so weit!
Und wir fuhren noch lange auf diesem schwermütigen, düsteren, tiefschwarzen Strome. Felsen und Klüfte türmten sich auf und tauchten wieder zurück, blieben hinter uns und verloren sich zuletzt in der schier unendlichen Ferne. Das Lichtlein aber stand noch immer bor mir, funkelnd und lockend. Immer so nahe und immer so fern.... Oft gedenke ich dieses finsteren Stromes, den die ragenden Felsen beschatteten, und des fleinen, lebhaften Lichtes.
Viele Lichter glühten lockend vorher und nachher, lockten durch ihre Nähe; nicht mich allein. Aber das Leben strömt zwischen denselben düsteren Ufern, und die Lichter sind noch so fern. Wieder muß man die Ruder einsetzen mit ganzer Kraft... Und doch... und doch leuchten die Lichter vor uns.
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Die Spinne.
Soch oben in der Flucht der rauhen Riemen Sat eine Spinne frech ihr Net gesponnen Und wiegt sich in dem Takte der Maschinen. Gleichgültig tanzt sie auf den Seidenschleiern Und tanzt wohl um das Haupt der Sklaven. Verwegne Brummer zappeln ihr im Net Und manchmal auch ein Schmetterling. Urplöglich bricht die ganze Herrlichkeit zusammen. Ein toller Riemen, der des Rundlaufs satt, Streckt sich in seiner stolzen Länge, Zerschlägt die Spinnenherrlichkeit. Ich glaub', es war an einem Tag im Mai!
Mar Barthel.
Von M. Andersen Nerö.
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Aus dem verschwiegenen Halbdunkel der Straßen kommt ein Haufe Weiber dahergeschlenkert. Sie tragen dünne schwarze Schals mit langen Fransen, find barhäuptig und haben Papierblumen in dem schwarzen Haar. Es sind einzelne nette Gesichter unter ihnen, aber die Armut hat es nicht in der Gewohnheit, Schönheit großzuziehen, hier so wenig wie anderwärts. Die meisten find blatternarbig, einzelne auch einäugig, viele haben meiße Pflaster auf beiden Schläfen; alle haben aufgeblähte Nasenlöcher und wachsame Augen, die sich eine Beute für ihr Gelächter suchen. Sie trippeln dahin wie eine Schar Elstern, schwagend, lachend; spotten über die dünnen Beine des Dandys, reißen im Vorübergehen den Efeltreiber vom Sattel, umringen schreiend den Ausländer, werfen dem fetten Geistlichen, der mit einem unterdrückten Kichern hinter dem schweren Vorhang der Kirchentür verschwindet, eine Kußhand zu. Alles ist eine Quelle des Gelächters: ein hinfender Hund, ein Sarg, ein nießender Bettler.
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Sie verdecken nicht furchtsam den Mund, sondern sperren ihn weit auf und saugen mit Begierde alles ein, was die Luft enthält an Sonne und frischer Kälte, Ansteckungsstoffen und Gestank. Ihr hoher herausfordernder Busen bietet der Welt und allen Lungenseuchen Trok. Komm, und ich will dich an mich drücken seist du auch der Tod selber und dich von mir werfen wie eine ausgepreßte Zitrone", sagt ihre Haltung. Sie fangen fleine nacte Kinder ein, küssen sie über den ganzen Körper ab und langen sie von Arm zu Arm. Sie knirschen beim Anblick eines schönen Mannes vor Leidenschaft mit den Zähnen eine schöne Frau aber bewerfen sie mit Schmutz.
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Es sind Las Cigarreras, die Tabatarbeiterinnen, Sevillas Seele. Sie bilden ein Heer von zirka 5000, von denen die älteste über hundert, die jüngste vierzehn Jahre alt ist.
Im Gespräch mit Fremden gleitet der Sevillaner leicht über die Tabalarbeiterin hinweg, aber in der Tiefe seines Wesens bewundert er sie, mit einer Bewunderung, die mit einem behaglichen Grausen versetzt ist. Sie ist sorglos, unartig, gottlos; rücksichtslos in ihrer Leidenschaft, wißig, leichtbeweglich, vergeßlich; sie ist- alle leichtlebigen Eigenschaften der Stadt auf die Spize getrieben. Der Sevillaner könnte sie nicht verleugnen, ohne zugleich den Stab über sich selbst zu brechen, und das tut kein Spanier. Im Innersten jedes ernstdenkenden Spaniers brennt überdies das Bewußtsein, daß die Revolution der einzige Ausweg ist, und die Schande liegt auf der Lauer nach ihm, weil er in seiner Untätigkeit verharrt. Dank der Tabatarbeiterin braucht Sevilla sich nicht gar so sehr vor sich selbst zu schämen. Sie ist stets zum Aufruhr bereit, aus ihrer Hand kommt der erste Stein, aus ihrem Munde ertönt das zündende Feldgeschrei.
Als Alfons XII . vor etwa 20 Jahren Sevilla besuchte und die republikanische Bevölkerung der Stadt schamerfüllt der Majestät die gewohnheitsmäßigen Ehren erwies, da retteten die 5000 Tabalmädchen die Selbstachtung der Stadt, indem sie den König bei seinem Besuch der großen Tabakfabrik unbarmherzig auslachten. Und als sie später einmal mit dem mächtigen Direktor der Fabrik über die Lohnfrage nicht einig werden konnten, nahmen sie durch ihre kräftige Beweisführung alle Proletarierherzen mit Sturm: sie schlangen ganz einfach einen Strick um ihren Direktor und hingen ihn in einen tiefen Brunnen hinab. Mehr als einmal haben Las Cigarreras, auf allen vieren liegend, den Straßenfot aufgelesen, um damit den Säbeln und Revolvern der reitenden Polizei zu begegnen. Und man hat es zum großen Teil diesen Respektlosen zu danken, daß man jetzt ein Attest vom Oberpfarrer haben muß, um zu den großen Kirchenfesten Zutritt zu erhalten.
Aber all dies bedarf keiner Verzeihung. Das von Staat wie Kirche mißhandelte Volk, das seine revolutionären Neigungen und seinen Hang zur Blasphemie von diesen blatternarbigen und einäugigen Walküren so unerschrocken zum Ausdruck gebracht sieht, ist - entgegen aller Tradition so edelmütig, sie hierfür nicht im Stiche zu lassen.
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Aber auch kraft ihrer Stellung ist das Tabakmädchen das Hätschelkind der Nation; es klebt an ihr jener Geruch, den der Spanier von allen am höchsten stellt- der des Nikotins. Was der Tabak für den Spanier bedeutet, ist daraus zu ersehen, daß der Bettler der Wohltätigkeit ebenso sicher ist, wenn er um ein Scherslein für Tabak bittet, als wenn er sich auf seinen Hunger beruft. All die wunderbaren Eigenschaften, die in unserer Heimat der * Aus dem empfehlenswerten Buche Sonnentage". Reisebilder aus Andalusien . Von M. Andersen Nerö. Verlag von Georg Merse= burger, Leipzig .
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