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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Spiritus besitzt, kommen in Spanien   dem Tabak zu: er stillt den Hunger und weckt den Appetit, er ermuntert und schläfert ein, er wirkt abführend und verstopfend je nach den verschiedenen Be­dürfnissen. Eine Zigarette," sagen die Leute, wenn jemandem etwas fehlt, so wie man hier sagt: Ein Schnaps". Auf Schnitt­wunden werden nasse Tabaksblätter gelegt.

Das erste, was der Spanier tut, wenn er des Morgens die Augen aufschlägt, ist, im Dunkeln nach seiner Zigarette zu tappen, sie anzuzünden und an der Unterlippe festzukleben. Da hängt sie und ringelt ihre kleine blaue Rauchwolke empor, während er spricht, während er hustet und nießt, und manchmal auch während er speist und trinkt. Wie das heilige Feuer geht sie niemals aus, an ihrer letzten Glut wird eine neue entzündet, und zwischen jedem Mundvoll Essen nippt er daran; den ganzen lieben langen Tag hängt sie da. Oft raucht er sich in Schlaf, und dann steckt der Stumpf nächsten Morgen unter seiner Nase- zum Anbrennen bereit.

Ein armseliger Raucher ist das, der einfach den Rauch auf ge­wöhnliche Art ausbläst. Ist man ein bißchen von einem Mann, so stößt man ihn durch die Nase hinaus wie durch ein Auslaßrohr; die richtigen professionellen Raucher aber schlucken ihn und sißen. dann mit offenem Munde und spülen ihn langsam auf und nieder. Es gibt Leute, die glauben, daß man einem nationalen übel zu Leibe kommen könne, indem man es besteuert. In Spanien   ist das Recht, die Nation mit Tabat zu versehen, einigen, vorwiegend aus­ländischen Kapitalisten übertragen: der Tabaksgesellschaft, die dem Staate eine jährliche Abgabe von 90 Millionen Franken zu leisten hat. Obwohl Klima und Boden sich vorzüglich zum Tabakanbau eignen, darf der Bauer nicht einmal für eigenen Bedarf Tabak an­bauen, und die Gesellschaft gibt weitere 60 Millionen Franken aus, um dies Verbot durchzuführen und die Landesgrenzen gegen Schmuggler zu bewachen. Nachdem diese 150 Millionen herbei­geschafft sind, muß noch Rohware und Fabrikation bezahlt werden, müssen die Verkäufer leben und die Gesellschaft einen erklecklichen Profit haben. Man übertreibt nicht, wenn man die Summe, die das spanische Volt jährlich in Rauch aufgehen läßt, auf weit über eine Viertelmilliarde Franken veranschlagt.

Man raucht in den Theatern während der Vorstellung; in Ban­ ten  , Bostämtern und kommunalen Bureaus hat jeder bis zum Kleinsten Kanglisten hinab seine Zigarette im Munde; der Barbier raucht, während er den Kunden rasiert; der Kellner läßt ungeniert seine Zigarrenasche fallen, während er serviert; der Redner hält mitten in einer flammenden Sentenz ein, um an seiner Zigarre zu nippen; der Priester schleicht sich während der Messe hinter den Altar, um heimlich einen Zug zu tun, und geht auf der Straße einher, die Zigarette oben in den weiten Ärmel gesteckt. Die Kinder bekommen von ihren Eltern Tabak ausgeliefert, und alte Weiber sizen in der Sonne draußen vor den Dörfern und kauen an einem Stummel. Alle Welt raucht, der Steuer zum Trotz. Wer kein Geld hat, geht umher und sammelt die feuchten Zigarrenreste auf; und es geschieht, daß Männer in langen Mänteln einem eine ganze Viertelstunde folgen in der Hoffnung, daß man seinen Zigarren­stumpf wegwerfen wird.

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Rote Fahnen flatschen im Wind, wo Las Cigarreras dahin­schreiten, Müßiggang und lange Blicke treiben in ihrem Kielwasser. Aus Triana, Macarena und den anderen Vorstädten kommen sie geschlendert- schmaßend, das schwarze Haar frauend und lachend. Unten beim Flusse laufen alle Ströme bei einem mächtigen Bau zusammen, dessen Errichtung 9 Millionen Franken gekostet haben soll. Er ist von einem tiefen Graben umgeben, kleine Wacht­türme mit langen schmalen Schießscharten schmücken die innere Brustwehr, drinnen wandern Schildwachen auf und ab, und im Erdgeschoß des Gebäudes rumort Militär. Das Gebäude er­innert an eine Strafanstalt, wird von der Regierung als eine Art Dynamitdepot aufgefaßt und ist in Wirklichkeit die Tabakfabrik.

In der großen gewölbten Vorhalle ist die Wache eben im Begriff, ein paar Arbeiter, die die Fabrik verlassen wollen, zu untersuchen. Sie stehen mit über den Kopf erhobenen Armen, während ihr ganzer Körper eingehend betastet wird.

über eine breite Steintreppe werden wir in das Innere des Ge­bäudes geführt, von dem Doppeltüren zu den verschiedenen Flügeln gehen. Hier besteht die Wache aus Frauen, riesenhaften Erschei­nungen, wie nur der Süden sie hervorbringen kann; so scheint die Führerin, der wir übergeben werden, ihrem Körperbau nach dazu angetan, mit einem Schlage ihrer Tage einen Ochsen zu fällen oder das rebellischste Tabakmädchen zwecks gründlicher Leibesunter­suchung auf dem Schoße zappeln zu lassen wie ein kleines Kind. Von allen Seiten schallt ein gedämpftes hißiges Summen, als sei die Luft voll von Wespen; und als unsere Führerin eine der großen Türen öffnet, wirkt dies, als sei das Schußbrett in einer

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Schleuse geöffnet worden: ein erhitzter Strom von Lärm und Ge­stant umwirbelt einen und benimmt einem Luft, Denkkraft und Bewußtsein, so daß man, ohne selbst recht zu wissen wie, plöblich hinabstarrt durch einen 500 Fuß langen Tunnel, wo vier Reihen Weiber Kopf an Kopf über ihrem Tabakstrog gebückt sizen. Wäh­rend sie aufblicken, leuchten ihre Gesichter weiß in dem braunen Tabaksnebel, und der Lärm verstummt mit einem Schlage; sie starren den Fremden an mit offenen Pupillen und offenem Mund, während die Finger die Zigaretten mit einer Hast rollen, die wie Geflimmer vor den Augen wirkt. Zwei Köpfe neigen sich nun zu­sammen, und ein Geflüster läuft die Reihen hinab. Man kann ihm folgen wie einer Wellenbewegung, bis es am Ende des Tunnels an das Heiligenbild anschlägt, zurückgeworfen wird, durch die Reihen wieder heraufkommt und einem plötzlich ins Gesicht sprüht als eine in Lachen gefaßte, leichtfertige Frage. Und wieder kocht der Lärm über, dieser zusammengesetzte Lärm aus mehreren Hunderten lachender, plaudernder, scheltender Gruppen, in kleinen Pfiffen aufbrandend, während die handfesten Wächterinnen Ruhe schaffend durch die Reihen gehen.

Hier treibt die gute Laune Sevillas ihren üppigsten Schößling; in strahlender Blüte sproßt sie aus giftiger Erde. Unter diesem niederen Tonnengewölbe allein arbeiten 1500 Weiber, viele tausend Pfund Tabak bedecken Tische und Tröge, aber nicht ein Ventil öffnet sich der frischen Luft. Man kann vor Tabakstaub nicht sehen und vor Tabak- und Menschendünsten nicht atmen; obwohl ich ein verhärteter Raucher bin, hämmert nach wenigen Minuten Aufent­halt hier drinnen der Kopfschmerz derart an meinen Schläfen, als wollte er mir die Augen aus dem Kopfe drängen. Meine geistigen Kräfte ermatten, ich kann die Umgebung nicht aufnehmen, sammeln und in einem Bilde festhalten; alles dreht sich nur um eines in die frische Luft hinauszukommen.

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Da trifft ein eigener Laut mein Ohr und jagt alle Sinne in Schrecken auf das bekannte Humpeln von Wiegen, die in Be­wegung gesetzt werden. Da steht ja eine dicht bei uns, halbver­steckt unter Trögen und Arbeitstischen, eine alte Holzwiege mit flachgewebten Gängeln. Das Weib, das sie tritt, ist bleich und hat weiße Pflaster an den Schläfen, um den Kopfschmerz zu betäuben; brauner Tabak sitzt ihr im Haare, deckt die weißen Wiegentücher, rändert die kleinen aufgeblähten Nasenlöcher des Kindes. Das Kind aber schläft ruhig trotz Lärm und giftiger Luft; es liegt so­gar eine schwache Andeutung von Nöte auf seinen Wangen. Und in dem Antlitz der Mutter durchschneidet jeden Augenblick ein Lächeln die verzerrten Züge und macht es schreien wie eine weißgefalfte Mauer in greller Sonne.

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im ganzen

Es stehen andere Wiegen den Tunnel entlang wohl vierzig; in einigen sißen die Kinder aufrecht und spielen mit Tabat, als hätten sie schon mit dem Handwerk begonnen. Während ich mich über eines der Kleinen beuge und es ängstlich wird, sagt eine Frau: Kennst du nicht einmal deinen eigenen Vater?" Sie lachen alle laut, die Mutter aber betrachtet mich einen Augenblick aufmerksam und schüttelt dann lächelnd den Kopf.

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Einige der Kinder haben wirklich einen Vater, der ihnen hilft, der Mutter Fleiß zu besteuern sie sind nicht die Bestgestellten. Andere haben nur ihre Mutter und diese vorteilhafte Gelegenheit, sich hier ihrer Zukunft anzupassen. Sie legen Zeugnis ab von der liebevollsten Fürsorge, und wenn sie den unleidlichen Giftgestank überleben, sind sie selbstredend bestimmt, den Platz an der Seite ihrer Mutter einzunehmen und wie sie einstmals die Wiege zu treten, zu stillen und 3000 Zigaretten täglich zu rollen falls sie Frauen sind. Sind sie aber Männer, dann ist es ihre unabweisliche Pflicht, an einer Straßenecke zu stehen und zu rauchen und zu rauchen, bis sie die höchste Vollkommenheit erreicht haben, was da ist 200 Zigaretten im Tage. Und bringen sie noch mehr zuwege, dann sind sie befähigt, sich in die Reihen jener Burschen zu stellen, die allabendlich mit Hallo vor der Tabakfabrik warten und mit dem reißenden Strome der Mädchen fortgerissen werden, hinaus in das Dunkel der Vorstädte, wo man sie beim nächsten Tages­grauen als bläuliche Gespenster antreffen kann.

Es gibt Engel, die von verdünntem Äther leben, und Bakterien, die nur in den tiefsten Kloaken gedeihen; aber befißt wohl ein Ge­schöpf solche Lebensfähigkeit wie der Mensch? Hier sizen aller Hygiene spottend drei Frauengenerationen und lullen abwechselnd die vierte in Schlaf; und man zeigt uns eine vierzehnjährige Mutter, die eben ihrem schreienden Erstgeborenen die Brust reicht, und ein altes Weib, das 106 Jahre alt ist und die letzten 80 Jahre in der Fabrik gearbeitet hat.

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart  .