Für unsere Mütter und Hausfrauen

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Nr. 19oo ooooo Beilage zur Gleichheit

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Inhaltsverzeichnis: Alfons Pezold. Von Otto Gibale.- Die Natur­wissenschaften in Küche und Haushalt. Von Dr. J. H. Die Mutter Hygiene. Feuilleton: Wettrennen. Von Fr. Die polnische Jüdin. Von Alfons Petzold  .

als Erzieherin. Theodor Vischer  .

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Alfons Petzold  .

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Der österreichische Dichter Alfons Pezold gehört zu den eigen­artigsten künstlerischen Erscheinungen der Gegenwart. Von revo= lutionärem Blute stammt er sein Vater hatte sich an einer Militärrevolte beteiligt, hatte Festungshaft zu erdulden gehabt und war dadurch um seine Existenz gekommen. So war schon Alfons Pezolds Jugend mit schwarzen und schweren Flügeln überspannt. Der Vater siechte an einem unheilbaren Leiden dahin, elend und völlig gelähmt. Die Mutter schaffte karges Brot ins Haus und brach eines Tages bei der Arbeit beide Hände. Des Knaben fie­bernde Sehnsucht nach dem Studium, sein Lebenstraum, Arzt zu werden, ist jäh verschüttet, das Schicksal faßt ihn feindlich an, alle Wege sieht er in Glend verlaufen. Nach sechs Jahren Klosterschul­zeit wird er in das Getriebe des Werktags gestoßen. Er tritt als Lehrling in eine Metallschleiferei, sein kranker und rachitisch ver­frümmter Körper aber zwingt ihn bald, diese Arbeit aufzugeben. Er wird Keltnerjunge, frondet dann als Taglöhner für eine Krone achtzig Heller auf einem Neubau und fühlt sich gegen alle Not ge­sichert, bis ihn auch diese Arbeit erschöpft hat. Der Reihe nach findet er nun als Laufbursche, Fabrikhilfsarbeiter, Fensterputzer, Ge­schäftsdiener, Schneeschaufler ein mühseliges Weiterkommen. End­lich befällt den völlig Entkräfteten ein Blutsturz. Auf die Hilfe mildtätiger Menschen angewiesen, arbeitslos und flügellahm, wie er ist, hat Behold nun eine endlose, qualvolle Kette von Krank­heiten zu durchleiden. Eine Arbeiterfrau pflegt ihn und rettet die Blüte vor dem Verdorren, bis es endlich gelingt, das Geld für cinen Aufenthalt in Gries bei Bozzen, später in Alland   zusammen­zubringen.

Innerhalb dieses engen und doch keine feste Begrenzung ver­leihenden Rahmens des wirren äußeren Lebens lodert Alfons Petzolds durch Druck und Leid entflammte Sehnsucht in wildesten Kampfliedern auf, die der Siebzehnjährige in Arbeiterbildungs­vereinen seinen jungen, tatlechzenden Genossen vorliest. In diesen Lebensschicksalen liegen die richtunggebenden Kräfte seiner Kunst, ihre Hemmungen und ihre Entfaltung, in ihnen liegen die ver­borgenen Quellen der Weltanschauung, an denen sich die künst­lerischen Triebe befruchten. In des Dichters Anfängen erfüllen die brennenden Motive von Trauer und Not, Elend und Verzweiflung sein künstlerisches Schaffen. Er bringt sie in Liedformen, die ganz aus Eigenem gewachsen sind. Keine Linie ist darin, die nicht dem cigenen Formdrang entsprungen, keine Regung, die nicht von eigenstem Schicksal mächtig durchtränkt wäre. Form und Rhythmus dieser Strophen sind nie überlegt, nie bedacht, nie die Frucht reicher Schulung oder bewußter Anklänge, immer unmittelbar empfun­den, drängen sie oft stürmisch, oft holperig und hölzern, oft klar und kräftig, oft mühsam ans Licht. Erst späterhin, da vertiefte Kunst dem gesteigerten und konzentrierten Willen Gefolgschaft hält, kommt bewußte und mittelbare Wirkung in Pezolds Verse, triumphiert die weite Umschau und der schöpferische Formsieg der Reife in strömenden Rhythmen. Nun gestalten sich ihm Elend, Not, Hunger, Empörung zur Legende des Elends, zum Epos der Not, zum Lied des Hungers, zur Ballade der Revolution. Mag auch sein Gemüt durch schwere leidvolle Erfahrungen verwundet sein, es fann seine ewige Sehnsucht nach Schönheit doch nicht verleugnen und löst sich stetig und immer wieder in reine Schönheit, so seine graufame Verlebtheit durch das Leben selbsttätig überwindend.

Die Wurzel.

Aus dem Grasmeer der Wiese hebt sich der blühende Mast eines einsamen Baumes. Von zornigem Sturm gefaßt bebt Blüte an Blüte in Furcht vor dem Tod, der wild aus Wolkenwelt der Frühlingserde droht.

Und die klagenden Blätter an dem verknüpften Gezweige zittern in bebender Furcht, ducken sich ängstlich und feige. Nur die Wurzel ruft tief im Land:

Rase, Sturm und Tod; ich halte das Leben umspannt.

oooooooo 1913

Schwäche ist das Unglück, das mit uns geboren wird, Krankheit das Unheil, das am Wege auf uns lauert, um Willen und In­tellekt durch die gemeine Not des Fleisches zu überwältigen. Die Tücken des meuternden Körpers nur mühsam besiegend, aber den­noch das schwächliche Gefäß seiner Leiblichkeit miẞachtend, baut der Künstler Pezold seine eigene Welt der Formen und Prächte auf. Eine herbe, tief ergreifende Welt ist es, von jener Geschlossenheit und Reinheit, wie sie uns in der Zerrissenheit und in dem Schmutz unseres Lebens doppelter Sehnsucht wert erscheint. In Petzolds Brust fließen alle Quellen unserer Leiden und unserer Stärke; er rollt alle Probleme auf. Probleme der Seele des einzelnen und Probleme des sozialen Lebens. Die soziale Tendenz ist über­wiegend betont, nie entstellend, immer voll Mut zur Wahrheit. Petzold, der starkes soziales Empfinden im Blute empfangen, der ein Übermaß von innerer Auflehnung gegen sein äußeres Elend mit sich schleppte, sieht den Vernichtungskampf, den das mate­rialisierte Leben der Großstadt gegen die Einzelleben führt, aber das persönliche Schicksal wird ihm zum sozialen Erlebnis. Er ist ein Dichter, dem das Soziale zum einzigen, notwendigen Ausfluß. seiner selbst wird. Er ist nicht wie viele Künstler gezwungen, von der Welt der anderen zu der seinigen die Brücke in unablässigem seelischen Reflektieren zu schlagen. Er sieht, wo jene betrachten. Und er bringt sich selbst den Ausgleich zwischen Leben und Welt. Er umfaßt beide in einer einheitlichen Vision, die zwischen schön und häßlich keinen Unterschied erkennt. Die Zerspaltenheit der Formen will Pezold beseitigen und den Einklang erzwingen. Die Bewunderung hält er für das befeuernde Element, das die Men­schen zu ihren großen Taten und Leistungen antreibt, das auch die häßlichen und geringen Dinge wertvoll macht. So ist er auch voll Glut und Verlangen nach den modernen Kulturformen des Indu­strialismus mit ihrem unvermittelten, nur die physisch Starken duldenden Leben. Hand in Hand mit dieser harmonischen Auf­fassung der sozialen Erscheinungen geht ein waches, vielgestaltiges und doch einheitliches Naturgefühl. Diesem Dichter ist Natur so wenig finnlos- chaotisch wie etwa Maeterlinck   oder Eichendorff. Völlige Einheit mit dem Leben der Natur, Einheit des Kultur­menschen mit der Natur im geschlossenen Ring der Empfin­dungen spiegelt in köstlicher Einheit von Form und Stoff das Ge­dicht Der Korbflechter".

Erst klopfe ich die rauhe Rinde herab vom Weidenstammgezweige, daß sich das fertige Gebinde

den Blicken weiß und glänzend zeige. Dann fügt sich unter meinen Händen das gute Holz so wie das schlechte, wenn ich es mit den harten Enden verbinden muß zum Korbgeflechte. Die feinen Ruten, flach gezogen, ich muß sie auseinanderlenten, auf daß sie im gespannten Bogen sich um so inniger verschränken. Und will mir eine Rute streben aus des Geflechtes festen Gängen, so muß ich sie wie mich das Leben mit sicherm Griffe niederzwängen. Oder er geht den Geheimnissen dunkler Gesetze nach, in uns ruhigen Fragen nach dem Unbekannten.

Der Sturm.

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Brüder, Schwestern, hört ihr, wie die Stürme brausen um das hohe Laubgetürme? draußen in der dunklen Nacht erbeben tausend Bäume, tausend starte Leben. All ihr Heil ist nur: Sich selber schüßen, gegenseitig, daß kein Sturm sie trennt. Wer wird uns in unsrer Sturmnacht stützen, wo der eine nicht den andern fennt?

Der ewige Wanderer. Immer so ganz zum letzten Verstehen bereit, ein seidener Nerv, der jede Bewegung spürt, geb' ich der eilenden Stunde mein schnelles Geleit und bleibe nicht dort, wohin mich der Weg geführt.