Nr. 25

Für unsere Mütter und Hausfrauen

-

billig zu beschaffen, zumal schon die Hälfte der bisher von der Wissenschaft geforderten Eiweißmenge 60 Gramm völlig ausreichend und mit Leichtigkeit aus den wohlfeilsten Rohstoffen zu erlangen wäre. War man bisher der Ansicht, das Pflanzen­eiweiß sei nicht so gut ausnutbar wie das tierische Etweiß in Fleisch, Milch, Eiern, Käse, so hält Hindhede beide Eiweißarten für gleichwertig, gibt aber dem Pflanzeneiweiß als dem weit billigeren den Vorzug. Waren wir gewöhnt, Milch und Eier als besonders leicht verdauliche und nahrhafte Speisen zu schätzen, so werden sie von Hindhede gering geachtet, da ihr Heizwert nicht so hoch ist wie der der billigen Körnerfrüchte. Eier sind nach Hind­hede Lurus, ebenso Gemüse, die nach seinem System niemals als Hauptgericht verwendet werden dürfen. Dagegen empfiehlt er als besonders zuträglich den reichlichen Genuß von Knollen- und Wurzelgewächsen, in erster Linie den der Kartoffel. Fleisch ist entbehrlich, da man es ja nur des Eiweißgehalts und seines Wohl­geschmacks wegen genießt.

In einem Buche Mein Ernährungssystem. Eine Umwälzung und Verbilligung unserer Ernäh­rung. Mit einem Musterkochbuch"( Verlag W. Vobach& Co., Berlin   und Leipzig  ) hat Dr. Hindhede   sich über den Zweck seiner Ernährungstheorie wie folgt ausgesprochen:

1. Ich will dem Manne, der 10 000 Mt. Einkommen hat, lehren, daß er weit gesünder leben kann, als er es jetzt tut.

2. Ich will dem Manne, der 3000 Mt. Einkommen hat, lehren, daß er weit billiger leben kann, als er es jetzt tut. Es ist ganz unnötig für ihn, täglich 1 bis 1%, Mt. für Essen zu ver­brauchen: man kann gerade so gut, ja beffer für 50 bis 70 Pf. leben 3. Ich will dem Manne, der nur 800 bis 1200 Mt. Einkommen hat, lehren, daß er nicht zu hungern braucht, selbst wenn er nur 30 bis 35 Pf. täglich für Essen erübrigen kann.

-

Sehen wir uns Hindhedes Reformvorschläge des näheren an, besonders die für die Arbeiterklasse bestimmten. Von dem be­liebten warmen Essen, das die meisten Menschen nicht entbehren zu können glauben, hält Sindhede nicht viel. Butterbrot, das eine sehr konzentrierte Nahrung ist, und Obst dazu müßte eigent­lich genügen. Er berichtet von einem Manne, der bei schwerer förperlicher Arbeit zehn Jahre lang sich ausschließlich von Weizen­brot, Roggenbrot, Schweinefett und 2 Liter einfachem Bier pro Tag ernährte und sich dabei äußerst wohl und kräftig fühlte. Doch macht Hindhede dem Geschmack der Menge Zugeständnisse, indem er sein Kochbuch mit Vorschriften für warme Mahlzeiten füllt. Der billige Speisezettel mit einem Gericht sieht beispielsweise eine Sonntagsmahlzeit vor, bestehend aus 12 Liter Grünkohl­suppe oder Weißkohlsuppe( mit Fett, Wasser, Mehl und Suppen­fräutern gefocht), dazu 180 Gramm Brot und 400 Gramm Kar­toffeln; Preis 12 Pf. pro Kopf. Nach der Kalorienrechnung liefert diese Mahlzeit 1014 Wärmeeinheiten, das ist zwei Fünftel der für den Tagesbedarf eines mäßig arbeitenden Erwachsenen nötigen Kalorienmenge. Was noch fehlt, müssen die übrigen bei­den Tagesmahlzeiten liefern, die bestehen sollen des Morgens aus Suppe oder Brei, des Abends aus Butterbrot, das heißt immer Brot mit billigster Margarine, und wenn man etwas dazu essen will- Kartoffelsalat oder Käse; als Getränk 1/2 Liter abgerahmte Milch pro Tag. Der Küchenzettel für die Mittags­mahlzeiten der übrigen Wochentage besteht aus Brei oder Grüße oder einem Kartoffelgemüse oder Suppe mit Brot und Kartoffeln. Gegen Frühstück und Abendbrot läßt sich nicht viel sagen, aber die Mittagsmahlzeit wird allgemein als sehr dürftig erscheinen. Es ist die typische Armenkost, die fast alle Genußmittel ausschaltet und lediglich auf die Stillung des Hungers berechnet ist, obwohl das System Hindhede vorgibt, die Eintönigkeit der Armenkost ver­meiden zu wollen. An Nähr- und Geschmackswert steht sie noch unter der in Deutschland   üblichen Gefängniskost. Hindhede hält diese dürftige Mittagskost zwar für ausreichend nahrhaft, doch verwahrt er sich dagegen, im allgemeinen eine solche an die äußerste Grenze der Sparsamkeit gehende Kost zu empfehlen. Das sagt eigentlich genug. Bedenken wir, daß in Preußen mehr als die Hälfte der Bevölkerung 20 Millionen Menschen unter 900 Mt. Jahreseinkommen hat, so wäre die Hindhedesche Armenkost zu 35 Pf. pro Tag die Normalnahrung aller Familien, die unter dieser Einkommensgrenze leben. Ist die Kinderzahl größer als drei oder das Familieneinkommen er heblich niedriger als 900 Mt., so ist selbst das Hindhedesche Er­nährungsminimum in Frage gestellt, und die lebenzerstörende Unterernährung in ihrer schlimmsten Form verrichtet ihr Wert. In den teureren Normal- Hindhede- Speisezetteln( Preis einer Mittagsmahlzeit für 6 Personen etwa 1 met.) kommt auch hin und wieder Fleisch vor, aber stets in gehackter Form und in

-

-

99

Mischung mit anderen Substanzen, oft zu Auflauf und Pudding verarbeitet, so daß man nicht merken soll, wie wenig es dabon gibt. Ein halbes Pfund Fleisch muß für 6 Personen reichen. Eine Menge von Hindhedes Kochvorschriften find wohl neu, aber nicht sonderlich gut; wenigstens sagen sie dem deutschen Gaumen nicht zu. Hinwiederum ist das meiste Gute, das Hindhede bringt, nicht neu. Oft sind es die bekannten, altbewährten Sparkunst­stückchen der Hausfrau, die im Hindhede- Kochbuch ihre Aufer­stehung feiern. Nur daß hier aus der Not eine Tugend gemacht wird. Vielen wird auch das Maß der Nahrung in den von Hind­hede für 6 Personen bestimmten Rezepten knapp für 4 Personen ausreichend erscheinen. Aber die Menschen essen ja nach Hindhede nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ viel zu üppig.

Doch ist Hindhede nicht der erste beste Volksbeglücker. Er hat seine Prinzipien durch 15 Jahre an sich und seiner Familie mit Erfolg erprobt. Es haben sich nach seinem Vorbild in Kopen­ hagen   studentische Pensionate gebildet, wo man nach Hindhede speist und das an der Beköstigung ersparte Geld für allerlei Wohnungskomfort, für Bücher und dergleichen verwendet. Auch in andere Bevölkerungskreise Dänemarks   ist Hindhedes Methode gedrungen. Schließlich wurde die dänische Regierung auf ihn auf­merksam. Sie errichtete ihm ein Laboratorium und gab ihm eine jährliche Unterstüßung von 16 000 kronen, damit er seinen Unter­suchungen leben könne. Seine Forschungen haben ihn immer mehr in der Erkenntnis von der überflüssigkeit größerer Eiweißzufuhr und der Schädlichkeit starken Fleischgenusses bestärkt. Aus dem Fleisch spalten sich bei der Verdauung Burinstoffe ab, die bei lang fortgesetztem reichlichen Fleischverbrauch zur Ablagerung von Harnsäure im Körper führen, wodurch zum Beispiel Gicht  , Arterienverkalkung und andere Krankheiten entstehen können. Aber auch Fisch, Spargel, Hülsenfrüchte, Tee und Kaffee find purinhaltig und deshalb mit Vorsicht zu genießen. Hindhede glaubt aber auch Nahrungsmittel gefunden zu haben, welche die Purin­stoffe auflösen und unschädlich machen. Zu diesen zählt er nach dem bisherigen Stande seiner Untersuchungen Milch, Wurzel­gemüse, Erdbeeren, Reis und in erster Linie die Kar= toffel. Danach steht einem mäßigen Fleischgenuß mit seinem unleugbar hohen Geschmackswert eigentlich nichts im Wege als sein teurer Preis. Die Schädlichkeit einer beschränkten Zufuhr von Fleisch nachzuweisen, ist Hindhede   bisher nicht gelungen.

Nach allem hat die Hindhedesche Ernährungsreform vom ge= sundheitlichen Standpunkt viel mehr Bedeutung für die an über­reichlichen Fleischgenuß gewöhnten Kreise der Wohlhabenden als für das Proletariat. Einer Propaganda für die Kartoffelkost zumal bedarf es in den Kreisen nicht, wo man in Ermangelung anderer fulinarischer Genüsse in Kartoffeln geradezu schwelgt. M. Kt.

о

Feuilleton

Die Mutter.

Von Alfred v. Sedenstierna.

Seit fünf Jahren bewohnte der Lehrer Sven Holmberg eine einfache kleine Wohnung in einer Nebenstraße der kleinen Stadt und kannte alle Menschen, die auf dem Hofe des Hauses sich zu bewegen pflegten.

Nun vermißte er seit fast einer Woche dort unten einen alten grauen Kopf, und enge Verhältnisse haben eine so große Macht, Kleine Dinge zu vergrößern, daß er sich beinahe darüber be= unruhigte, obwohl der alte graue Kopf nur einer Wäscherin ge= hörte, die ihm vollkommen gleichgültig war.

Als er am siebenten Tage zum Vormittagsunterricht in die Schule ging, konnte er es nicht unterlassen, im Hausflur unten eine Tür zu öffnen und zu fragen:" Was ist denn mit Frau Pettersson? Ich habe sie seit einigen Tagen nicht gesehen."

In einer kleinen Gemeinschaft kennen sich alle, und ohne wei­teres Erstaunen über seine Frage antwortete man ihm von drinnen: Frau Pettersson ist heute nacht um 1 Uhr gestorben." Ganz merkwürdig, daß der Tod dieser ihm ganz fremden Frau Pettersson Doktor Holmberg, der eine Familie hatte und stets knapp bei Kasse war, veranlaßte, in den einige Tage später beginnenden Osterferien eine Reise nach einer kleinen Bahnstation in einer entfernten Provinz zu unternehmen.

Aber es war dem Lehrer eingefallen, daß das eine graue Haupt ja so gut wie das andere einst zum letzten Schlummer hinfinken müsse, wenn es schon seit langem zur Ernte weiß geworden ist. Frau Petterssons Schicksal mahnte beständig an ein anderes