Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 26°

Aus Bebel  : Die Frau und der Sozialismus.

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Beilage zur Gleichheit ooo ooooo

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In altsverzeichnis: Auf Reisen. Von Otto Erich Hartleben  . Elise Schweichel. Reform der Ernährung. III. Von M. Kt. Feuilleton: In der Barbierstube. Von

Von Ernst Kreowski  . -Für die Hausfrau. Anton Tschechow  .

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Auf Reisen.

Don Otto Erich hartleben  .

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Die Sonne lag noch auf den Straßen, Es war am hohen, reifen Tag Ein stummer Jubel ohne Maßen Erhöhte meines Herzens Schlag. Es klang in mir ein Spiel der Sinne Aus Kinderlust und Manneskraft, Und stolz und wonnig ward ich inne Des Glücks der freien Wanderschaft. Kein banger Führer, der mich leiten, Kein freund, der mich begleiten darf­Mein sind die Höhen, mein die Weiten, Rauh weht die Luft, so frisch und scharf. Und dennoch süß mit sanften Mächten Dringt Sonnenwärme tief ins Herz, Und wie ein Traum aus fernen Nächten Verschwindet jeder alte Schmerz.

Aus Bebel  : Die Frau und der Sozialismus. Es ist ein Widersinn und ein schreiender Mißstand, daß Kulturfortschritte und Errungenschaften, die das Produkt der Gesamtheit sind, nur denen zugute kommen, die kraft ihrer materiellen Gewalt sie sich aneignen können, daß da­gegen Tausende fleißiger Arbeiter und Arbeiterinnen, Hand­werker usw. von Schrecken und Sorge befallen werden, ver­nehmen sie, daß der menschliche Geist wieder eine Erfindung machte, die das Vielfache der Handarbeit leistet, wodurch sie Aussicht haben, als unnüz und überzählig aufs Pflaster ge­worfen zu werden.

Nach seiner Natur und seinem Wesen ist der Staat ein Klassenstaat. Er wurde notwendig, um das entstandene Privateigentum zu schüßen und die Beziehungen der Eigen­tümer unter sich und zu den Nichteigentümern durch staat­liche Einrichtungen und Geseze zu ordnen. Welche Formen immer im Laufe der geschichtlichen Entwicklung die Eigen­tumsaneignung annimmt, es liegt in der Natur des Eigen­tums, daß die größten Eigentümer die mächtigsten Personen im Staate sind und denselben nach ihren Interessen ge­stalten.... Aber die Staatsgewalt und alle, die an der Auf­rechterhaltung der bestehenden staatlichen Ordnung inter­essiert sind, wären nicht imstande, dieselbe auf die Dauer gegen die Masse derer, die kein Interesse an derselben haben, aufrechtzuerhalten, wenn diese Masse zur Erkenntnis der wahren Natur dieser bestehenden Ordnung gelangte.

Der Konkurrenzkampf der Kapitalistenklasse der einzelnen Länder unter sich nimmt auf internationalem Gebiet den Charakter eines Kampfes der Kapitalistenklasse eines Landes gegen die des anderen an und ruft, unterstützt von der poli­tischen Blindheit der Massen, einen Wettkampf der mili­tärischen Rüstungen hervor, wie die Welt nie Ähnliches ge­sehen hat. Dieser Wettkampf schuf Armeen von einer Größe, wie sie nie zuvor eriſtierten, er schuf Mord- und Zerstörungs­werkzeuge von einer Vollkommenheit für den Land- und Seefrieg, wie sie nur in einem Zeitalter vorgeschrittenster Technik wie dem unseren möglich sind. Dieser Wettkampf er­zeugt schließlich eine Entwicklung der Zerstörungsmittel, die zur Selbstzerstörung führt.

Elise Schweichel.

1913

" Sei stets wahr und bleibe dir selbst treu." Diesen Wahlspruch hatte Robert Schweichel   vor sein ganzes Wollen und Vollbringen gesetzt; und ihm folgte auch die Frau, deren Lebensgang hier zu zeichnen versucht wird. Wer mit beiden Jahre hindurch persönlichen 11mgang gepflogen, der kann schwerlich von dem einen sprechen, ohne des anderen zu gedenken; denn ihm entwirrten sich alle feinen Fäden, die diese zwei Menschen geistig und seelisch ver­bunden hielten, bis der Tod sie trennte. Die Schweichels sind Königsberger  , Kinder also jener Stadt, der ein Johann Georg Hamann  , genannt der Magus des Nordens, entstammte und von der ein Immanuel Kant   die Flamme aufklärerischer Erkenntnis hinaussandte, in deren Wesen sich die mystische Gefühlsschwär­merei und grüblerische Verstandesschärfe des ostpreußischen Menschenschlags verkörpert. Beide, sowohl Robert wie Elife Schweichel, sind im Zeitalter bürgerlicher Revolutionen geboren, die seit 1789 bis 1849 über halb Europa   hinweggingen. Und beide entsproßten dem begüterten Bürgertum, speziell dem der Kauf­mannschaft. wurde am

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Elise Langer dies Elisens Familienname 17. September 1831 geboren. Am Steindamm betrieben die Eltern ein flottgehendes Schnittwarengeschäft; und jeder Einheimische wie Fremde, der hier einen flüchtigen Blick auf die Firmentafeln nebeneinander warf, erfreute sich an einem Stückchen zufalls­mäßigen Straßenhumors, denn auf diesem Kleeblatt stand zu lesen: Mein Bräutigam.... Glisens Vater erwies sich als ein kluger kaufmännischer Rechner, der die Be­

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Langer­

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schwerlichkeit des Reisens selbst zu den Meffen des Auslandes nicht scheute, um stets seine Warenbestände auf der Höhe zeitgenössischer Produktion und modischer Anforderungen zu halten. Das blieb auch so, als er Witwer geworden war. Elise, obzwar fast noch ein Kind, führte nunmehr das Hauswesen. Und nicht bloß dies allein. Als ihre beiden älteren Geschwister eigene Wege gingen, hatte sie an den zwei jüngeren auch noch Mutterstelle zu vertreten, bis die in Pension gegeben wurden. Während dieser Jahre festigte sich ihr Charakter zu jener ganz auf sich gestellten Kraft und Energie, die von nun an mitbestimmend auf die Gestaltung des späteren Lebens einwirken sollten. Die damals 17jährige Elise ließ sich zu­nächst die Ausbildung ihres musikalischen Talentes angelegen sein. Sie studierte Klavier und Gesang, nicht um gesellschaftlichen An­forderungen zu genügen, sondern um sich als Erzieherin eine Eri­stena zu schaffen, wenn einmal nach Vaters Ableben die Not­wendigkeit es gebieten würde.

In diese Vorbereitungszeit fiel Elisens Bekanntschaft mit Ro­ bert Schweichel   für sie ein Ereignis, dem sich ihr Mädchenherz völlig gefangen gab. Robert Schweichel   war der unerschrockene Redner, der in Studenten-, Bürger- und Arbeiterversammlungen gegen die politische Entmündigung des Volkes und die Ausbeutung der Proletarier zu Felde zog; der Publizist, dessen scharfe Feder die ostpreußischen Junker und das vormärgliche Staatsregiment bekämpfte; der aufrechte Mann, der weder polizeiliche Schikanen noch gerichtliche Aburteilungen scheute um der Wahrheit und Frei­heit willen! Schon damals öffnete sich dem lebhaften Geiste des bisher allem politischen Getriebe ferngebliebenen Mädchens eine neue Welt. Durch Schweichel lernte Elise einige Persönlichkeiten kennen, die an der Spitze der politischen Bewegung des liberalen Bürgertums standen. So den mit Schweichel befreundeten Albert Dulf, Johann Jacoby  , Rupp und andere. Es ist wohl möglich, daß die dadurch empfangenen starken Eindrücke die Reime zu Elisens nachheriger Entwicklung gelegt haben. Schweichel selbst war zu jener Zeit verlobt, und zwar mit der Schwester von Elisens ein­ziger Freundin. Die jüdischen Eltern des schönen, reichbegabten Mädchens sahen dessen Verlöbnis mit Schweichel nicht gern, der sich ja seine juristische Karriere gründlich verscherzt hatte. Die Aussichten für eine eheliche Verbindung lagen wenig günstig in weiter Ferne, und um den Quälereien besonders des Vaters zu entgehen, nahm Schweichels Braut endlich eine Stellung als Gout­bernante auf einem großen Gute in Masuren   an. Schon nach Jahresfrist kehrte sie von dort todkrank heim, um bald zu sterben. Die tiefe Trauer um den Verlust der Geliebten zitterte noch lange in den Gedichten Schweichels nach. Gerade an ihrem Begräbnis­tag wurde er zur soldatischen Dienstleistung einberufen, und der