102

Für unsere Mütter und Hausfrauen

Kommandeur gönnte ihm nicht einmal wenige Stunden Urlaub, um ihrem Sarge das Geleit zu geben. War es nicht natürlich, daß sich Elisens Mitleidsgefühl für den nun Vereinsamten in auf richtige Freundschaft und sodann in heiße Liebe verwandelte? Wohl drängte sich die Verbannung Schweichels aus Preußen und Deutschland   als Hemmnis zwischen beide; doch nur räumlich und zeitlich. Schweichel gelang es, sich in Lausanne   eine leidliche Eri­stenz zu sichern; er übernahm eine mit Pensionat verbundene Privat- und Handelsschule, an der er mehrere Monate als Lehrer gewirkt hatte. Kaum war er so weit, da fragte er die in Königs­ berg   zurückgebliebene Geliebte, ob sie sein Weib werden wolle. Und schon am 28. September 1855 wurden die beiden ein Paar.

-

-

In der neuen Fremdheimat harrten der jungen Frau mannig­fache Aufgaben. Sie hatte gleich für Pensionäre kräftig die Hände zu rühren. Um auch ihrerseits zum Haushalt beizutragen, gab sie außerdem Musikstunden, machte Tusch- und Bleistiftzeichnungen sowie feine Hätelarbeiten und Stidereien furzum sie war un­ermüdlich praktisch tätig, ohne jedoch auch nur einen Tag für ihre geistige Weiterbildung ungenütt vorübergehen zu lassen. Es waren nach eigenem Geständnis wundervolle Jahre", die Elise Schweichel an ihres Mannes Seite in der herrlichen Natur verlebte trok beschränkter Verhältnisse, schwerer Mühen und noch schwererer Sorgen". Denn auch Schweichel mußte seinerseits nebenbei tapfer zur Feder greifen. Trotz alledem ließen sich die beiden Menschen ihren Frohmut nicht verkümmern. Ihr schönster Genuß bestand in Fußwanderungen, die sie, immer zu zweien, nach allen berühmten Punkten der näheren oder ferneren Umgebung bis weit hinauf in die Savoyer Alpen   unternahmen. Allerorts hat denn auch Schweichel die Stoffe zu seinen prachtvollen schweizerischen Volks­erzählungen gesammelt, deren Entstehung Elise mit dem lebhaf= testen Interesse verfolgte. In welch seliger Glüdsstimmung aber alle Wanderungen gemacht wurden, das haben mir die Ein­tragungen humorvoll- sarkastischer Bierzeiler abwechselnd von beider Hände in Schweichels Tagebüchern gezeigt.

-

Aber trotz aller schweizerischen Naturherrlichkeit und trotz des vielen Neuen, dessen Elise Schweichel teilhaftig wurde, hing ihr Herz doch an Deutschland  . Und je weniger sie es fannte wäh rend threr Mädchenjahre war sie kaum über das Weichbild Königs­ bergs  , geschweige über die ostpreußischen Grenzpfähle hinaus­gekommen- desto höher stand das Ideal, das sie sich davon machte. Um so tiefer freilich war auch die Enttäuschung, als sie mit Robert Schweichel   nach sechsjährigem Gril wieder zurückkehrte. Und an schweren Nadenschlägen sollte es nicht fehlen. Erst die Er­nüchterung in Berlin  . Hier sah sich Schweichel in seinen Erwar­tungen journalistischer Anständigkeit schmählich von August Braß  betrogen, dem er in die Redaktion der von diesem gegründeten Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" gefolgt war. Das Blatt wurde Bismarcks Werkzeug! Dann eine fast dreijährige freischrift­stellerische Scheinexistenz, bei der der Rest des väterlichen Grbteils bis auf den letzten Notgroschen darangesetzt werden mußte. Darauf ein dritthalbjähriger Zeitungsdienst in Hannover  , dem der Ein­fall Preußens 1866 ein schroffes Ende bereitete. Und abermals zwei magere Jahre in Leipzig  - bis es 1869 Schweichel endlich gelang, in Berlin   als Redakteur der Jankeschen Romanzeitung festen Fuß zu fassen. Bittere Lehrjahre waren das für Elise. Aber so viel stand für beide Menschen fest: Nicht feiges Verlassen der demokratischen überzeugungen gab es für sie. Nein, nur ein schritt­weises, gewissenhaftes Hineinwachsen in den Sozialismus, ein rest­loses Aufgehen in der Bewegung und den Kämpfen des Prole­tariats, dem Robert Schweichel   an Liebknechts und Bebels Seite fortan seine agitatorischen Kräfte, später auch seine fruchtbare Feder als Erzähler lieh.

-

Man muß in die Briefe Schweichels während seines halb journa­listischen, halb schriftstellerischen Nomadenlebens während der sech­ziger Jahre hineingesehen haben der nachherigen Briefe aus Italien  , aus Paris  , Wien   usw. ungedacht um die Wert­schäzung und rückhaltlose Hingabe des edel und ritterlich denken­den Mannes für seine Frau ganz kennen zu lernen. Nicht allzuoft gab es eine schärfere Kritikerin, aber auch eine unerschrodenere Mitkämpferin, als wie es Elise Schweichel ihrem Gatten war; noch feltener freilich eine Frau, die sich am Manne zu einer eben­bürtigen Selbständigkeit des Geistes und Charakters emporarbeitete und dennoch immer voll des Dantes gegen ihn blieb, bis sie selbst die Augen zum Todesschlaf schloß. Daß deshalb die Ehe zwischen beiden ein ununterbrochener Friedensbund gewesen sein mußte, wer wollte solches ohne weiteres annehmen? Standen doch zwei starte Temperamente nebeneinander, von denen das der kleinen, doch eigenwilligen, ja starrköpfigen Frau das am wenigsten ge­bändigte war und überdies hatte der gemeinsame Lebensweg

-

Nr. 26

mehr Dorngestrüpp als Rosenflor. Gleichwohl gingen die beiden stets einträchtig zusammen und hatten auch gar nie anders ge= fonnt, weil sie seelisch und geistig restlos ineinander verwachsen waren. Schweichel wurde nicht müde, dies Bekenntnis gegen seine Frau in Briefen und Gedichten zu wiederholen; und Elise erlahmte nie im Bestreben, sich dessen würdig zu zeigen. All ihr Denken und Tun war darauf gerichtet, ihrem Manne ein möglichst sorgenfreies Arbeiten zu ermöglichen. Nicht bloß, daß sie selbst zu schreiben be­gann, nur weil er ihre schriftstellerische Begabung geweckt und ge= fördert hatte. Nein, als sie sich reif hierzu wähnte, da empfand sie auch die Wonne des geistigen Wettkampfes so intensiv, daß sie, während er 1875 in Italien   weilte, anstatt seiner die Redaktions­geschäfte versah. Ja, als Schweichel sechs Jahre später ausschied, da zögerte sie gar nicht, eine ihr angetragene Vertrauensstellung in der Redaktion der Lipperheideschen Frauenzeitung anzunehmen, nur damit ihr Robert sich seinem Echaffen ungehindert hingeben" konnte. Acht Jahre hindurch teilte Elise sich zwischen häuslichen und redaktionellen Pflichten. Und es sind die fruchtreichsten Jahre für beide. Neben emfiger Betätigung als überseberin englischer wie französischer Belletristik bricht sich Frau Schweichels zurück­gehaltenes Erzählertalent freie Bahn. Mit Kleineren Erzählungen aus der Daseinssphäre der Arbeiter fing es an; sie sind meist im Neuen Weltkalender" veröffentlicht worden. Größere Novellen folgten, in denen soziale und ethische Emanzipationsprobleme des weiblichen Geschlechts behandelt sind. Ich nenne da: Wer trägt die Schuld?"," In Fesseln"," Kindesrecht"," Leben um Leben", Gefährlich Spiel". Schließlich schrieb Elise Schweichel zwei bio­graphische Zeitromane: Vom Stamme gerissen" und Dunkle Mächte", die schon allein wegen ihrer Hauptpersonen einiges literarpolitisches Interesse beanspruchen. Es sind das: Robert Schweichel   zur Zeit feiner Königsberger   Konflikts­jahre und der 1848 in Tyrannenblut watende" August Braß  , aber als Herausgeber der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" fläglich endigende Egbarrikadentämpfer und Republikaner  ". Außer mancherlei Skizzen hat Frau Schweichel dann nichts von Belang mehr geschaffen. Kein Wunder. Sie hatte die Siebziger, ihr Gatte die Achtziger überschritten! Allmählich versicherten die schöpfe­rischen Kräfte; stiller und kleiner engte sich der gesellschaftliche Kreis. Der Tod hatte manche schmerzliche Lücke gerissen. Wil­ helm Liebknecht  , den treuesten Freund seit vierzig Jahren, Mag Ring und andere deckte bereits der Rasen. Näher schlichen die Schatten auf den Greifenpfad. Nur noch wenig Jahre da war auch Robert Schmeichel   nicht mehr. Mit Schillers Amalie konnte Elife ihre Klage um den Entrissenen vereinen: Er ist hin und alle Last des Lebens Wimmert hin in ein verlornes Ach!

-

Freilich, noch waren ihr als milde Tröftung August und Julie BebeĮ verblieben, Liebknechts Witwe nebst Töchtern und Söhnen dazu. In diesen Freundschaften bewahrte Elise Schweichel die schönsten Erinnerungen an gleiche Gesinnung, an gleiches Kämpfen und Streben. Nicht lang, da mußte fie rasch hinterein­ander ihre einzige Schwester und Natalie Liebknecht verscheiden sehen. Als auch Julie Bebel   dahinging, schien es, als habe Elise Schweichel ihres Lebens lezte Stüße verloren. Mit innigster Gewalt flammerte sie sich nunmehr an den toten Gatten; ja sie lebte nur noch in ihm Schillers Jdealgestalt mit der seinen ver­flechtend. Beider Werke nebst denen Goethes waren ihre einzige Lektüre. Frei aus dem Gedächtnis konnte sie ganze Szenen aus Wallenstein  , aus Byrons Childe Harold englisch rezilieren, hauptsächlich aber aus Schweichels Romanschöpfungen, aus seinen " Italienischen Blättern", sowie Gedichte und Sentenzen von ihm. Ja, sie vermochte sogar anzugeben, auf welcher Buchseite diese oder jene seiner Gestalten in entscheidenden Szenen zu suchen wären. Man konnte ihr Denken und Tun ein ewiges Andachtverrichten vor dem abgeschiedenen Genius nennen so tief innerlich kam alles hervor....

Und Elise Schweichel war zeitlebens so tapfer im Ertragen wie treu und wahrhaftig gegen sich selbst und andere gewesen. In ihrem energischen Wesen vereinigte sich ein ungemein scharfer kritischer Geist mit unsagbar zarter Herzensgüte. Ein echt oft= preußischer Charakter war fie: temperamentvoll bis zur Schroff­heit, lieb und mitteilsam bis zur Rührung. Sozialdemokratin mit Leib und Seele, blieb der Sozialismus ihre unerschütterliche Überzeugung ihr einziger Glaube. Wie so manches Mal in frü­heren Jahren, als Robert Schweichel   noch lebte, haben wir drei miteinander disputiert! Stets flößte ihr politischer Stadikalismus Bewunderung ein. Da hielt nichts stand vor ihrem Urteil, vor ihrem ehrlichen Haß gegen jedwede Ausbeutung und Unter­

-