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Für unsere Mütter und Hausfrauen

das Eiweiß des Hühnereies gerinnt. Auch die Blutflüssigkeit, das Bluteiweiß kann gerinnen. Und zwar bedarf es dazu nicht des Kochens, das Bluteiweiß gerinnt schon dann, wenn das Blut ein­fach aus den Blutgefäßen durch eine Wunde nach außen fließt. Wir haben uns in den Finger geschnitten. Wenn die Wunde nicht allzu groß ist, dann hört das Blut bald zu fließen auf: die Wunde ist geschlossen. Wie? Einfach dadurch, daß das Blut in der Schnitt­öffnung des fleinen angeschnittenen Blutgefäßes geronnen ist und das dabei entstandene kleine Blutgerinnsel wie ein Stopfen wirkt. So leistet die Gerinnung des Blutes ausgezeichnete Dienste im Zellenstaat. Aber nur dann, wenn die Wunde in der Wandung der Blutgefäße nicht zu groß ist. Ist die Wunde sehr groß, so wird das Blutgerinnsel vom Blutstrom, der immer wieder aus der Ader fommt, hinweggerissen und der blutende Spalt schließt sich nicht. ( Schluß folgt.)

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Die Naturforscherin Amalie Dietrich  .

Von Anna Blos  .

Daß Frauen studieren, daß sie den Doktortitel erwerben und sich auf den verschiedensten wissenschaftlichen Gebieten auszeichnen, ist heutzutage nichts Seltenes, wenn es allerdings auch heute noch zu den Ausnahmen gehört, wenn trop großer Begabung ein Mädchen aus armer Familie die Möglichkeit zum Studieren findet. Die Wissenschaft ist auch heute noch ein Vorrecht der besitzenden Klassen. Aber auch vermögenden Mädchen war noch vor wenigen Jahren das Tor zur Universität verschlossen. Man duldete nur männliche Hörer auf den Hochschulen. Wollte eine Frau das Wissen erwerben, das den Männern zugänglich war, so mußte sie entweder in das Ausland gehen oder sich durch private Studien bilden, wozu natür­lich erst recht große Mittel gehörten. Um so bemerkenswerter ist es, daß in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein armes Proletariermädchen ganz auf eigene Kraft gestellt, mit der bittersten Not tämpfend und von widrigem Schicksal verfolgt, ein so außer ordentliches Wissen auf dem Gebiet der Naturwissenschaften er­langte, daß die bedeutendsten Gelehrten ihrer Zeit ihr einen Ehren­play in ihrer Mitte einräumten. Im Konversationslerikon fand ich den Namen dieses Mädchens nicht. Dort ist der Name des reichen Hamburgers Godeffroy   erwähnt, für dessen Museum Amalie Dietrich  eine Reihe seltener Pflanzen und Insekten lieferte, die zum Teil nach ihr genannt sind. Die arme gelehrte Proletarierin wäre heute vergessen, wenn nicht vor mehreren Jahren ihre Tochter eine Lebens­geschichte der seltenen Frau herausgegeben hätte, die im Verlag von Grothe erschienen ist. Diese Lebensgeschichte liest sich wie ein Roman und wirkte auf mich, wie etwa in meiner Kinderzeit die Abenteuer des Robinson Crusoe meine Phantasie beschäftigten. Nur find die Erlebnisse von Amalie Dietrich   nicht die Erfindungen eines be­gabten Schriftstellers, sondern wirkliches Geschehen. Und weil diese Erlebnisse den Lebensgang einer armen Proletarierin wiedergeben, wünschte ich, daß die Geschichte von Amalie Dietrich   gerade unter den Frauen des werktätigen Volkes viel gelesen würde. Sie können daraus sehen, wieviel eine schwache Frau vermag, der das Schicksal nur Steine in den Weg türmte. Bewunderung wird sie erfüllen darüber, wie Amalie Dietrich   sich ihren Weg bahnte, wie sie sich mit Heldenmut ganz in den Dienst der Wissenschaft stellte, und wie sie aufrecht und stolz aus all dem Schweren hervorging, das ihr auferlegt wurde.*

Amalie war die Tochter des sächsischen Beutlers Nelle und wurde in Siebenlehn   geboren. Ihre Mutter hatte vor ihrer Verheiratung als Magd im dortigen Pfarrhaus gedient. Sie hatte bei ihrer Dienstherrschaft gelernt, wie man Salben tocht, Schröpftöpfe und Blutegel setzt und Krankenkost bereitet. Denn in früherer Zeit war der Pfarrer auf dem Dorfe und in Landstädtchen häufig auch Stell­vertreter des Arztes und hatte allerhand Mittel für die Patienten im Hause. Kordel, die Magd, war mit der Pfarrfrau zu den Kranken gegangen, und da sie im Pfarrhaus auch viele fromme Sprüche und Lieder gelernt hatte, so galt sie für sehr gebildet und wurde auch nach ihrer Verheiratung viel zu den Kranken geholt. Zur Be­reitung der heilsamen Salben und Tränklein suchte sie allerhand Kräuter und Wurzeln in Wald und Feld, und ihre Tochter half ihr früh die Pflanzen sammeln. Bei ihren eigenen Kindern hatte Frau Kordel Nelle nicht viel Erfolg mit ihrer Wissenschaft, denn sie verlor sehr früh drei prächtige Buben. Nur der älteste Sohn blieb ihr er­halten, und zu ihm gesellte sich viel später als fleine Nachzüglerin das Töchterchen Amalie.

* Amalie Dietrich  . Von Charitas Bischoff  , geb. Dietrich. Verlag von Grothe in Berlin  , 1909. Diesem vortrefflichen Werke, in dem die Tochter den Lebenslauf der Mutter liebevoll geschildert hat, sind die tatsächlichen Angaben dieses Aufsages entnommen.

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So freudig das Mädchen begrüßt wurde, so viel Sorge machte doch seine Erziehung den Eltern. Zwar lernte die kleine Nellen" vorzüglich in der Schule, aber da sie zu den armen Kindern gehörte, mußte sie unten sigen, und ihre Empörung darüber war groß. Das Schulgeld betrug damals wöchentlich einen Sechser, dazu kamen jeden Monat drei Pfennig für Benützung der Gänsefedern und ein Pfennig für Tinte. Wie viele begabte Kinder hatte die kleine Amalie eine Leidenschaft für Bücher. Die fromme Mutter verties fie auf Bibel und Gesangbuch, das war aber nicht die Lektüre, die das Kind brauchte. Es gab eine Art Leihbibliothek im Dorfe bei einem Buchbinder, der für einen Pfennig Leihgebühr Bücher aus­gab. Nun las Amalie den ganzen Tag Räuber- und Rittergeschichten, Reisebeschreibungen und was sie sonst sand, statt dem Vater beim Ledernähen zu helfen, worüber dieser sehr ungehalten war. Er be­flagte sich bei dem Pfarrer, der Amalie Konfirmantenunterricht er­teilte. Dieser schenkte seiner Lieblingsschülerin Zschokkes Stunden der Andacht" und nahm ihr das Versprechen ab, nichts anderes zu lesen. Eine Zeitlang folgte sie seinem Wunsche und vertiefte sich so in das Buch, daß sie sich auch beim Sprechen den getragenen Stil angewöhnte, in dem es geschrieben war. Man prophezeite daher im Dorfe, daß aus der Nellenmale eine Komödiantin werden würde. Amalie kümmerte sich wenig um das Gerede und hatte überhaupt feinen Verkehr mit ihren Altersgenossinnen im Dorfe, die nur Liebes­geschichten im Kopfe hatten. Auch sie hatte Verehrer und Freier, aber sie wies alle ab zum großen Ärger der Eltern, die in den Büchern den Grund für ihre Überspanntheit" suchten.

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Da Amaliens Bruder sich auf die Wanderschaft begeben hatte, sollte Amalie an seiner Stelle dem Vater helfen; aber während sie Leder nähte, hatte sie in der Schublade ein Buch versteckt, das sie hervorholte, sobald sie allein war. Noch lebhafter als die Bücher interessierten sie aber die Briefe des Bruders aus den fernen Ländern, die er durchwanderte, und oft bedauerte sie, ein Mädchen zu sein und nicht auch hinaus zu kommen, um die Welt kennen zu lernen. Der Bruder fand sein Glück auf dieser Wanderschaft. Als er in Bukarest   arbeitete, gewann er das Herz der Tochter seines Meisters, und nachdem er zum katholischen Glauben übergetreten war, hei= ratete er sie und wurde Geschäftsteilhaber. In dem kleinen Sieben­ lehn   erregte die Nachricht von der reichen Heirat des Beutlersohnes viel Neid und Staunen, doch sprach man nicht lange davon, da es bald anderen Gesprächsstoff gab. Diesen lieferte ein seltsamer Fremder, der sich im Orte niedergelassen hatte. Er nannte sich W. A. S. Dietrich und gab an, Naturforscher zu sein. Er sammelte in den umliegenden Wäldern Insekten und Schlangen, die er in Spiritus aufbewahrte, und Pflanzen, die er trodnete. Da man im Dorfe dafür kein Verständnis hatte, wurde Dietrich bald für einen Herenmeister erklärt, und er erschien den Leuten sehr unheimlich. Nur eine fürchtete sich nicht vor ihm, hatte im Gegenteil das größte Interesse für seine Tätigkeit, das war Malchen Nelle. Bu­fällig traf sie den Zugewanderten beim Pilzesuchen im Walde, und da sie von ihrer Mutter den Standort manch seltener Pflanze kannte, fam sie bald mit Dietrich ins Gespräch. Als dieser merkte, welch großes Verständnis er bei dem einfachen Dorfmädchen fand, suchte er Malchen so oft als möglich auf, und eines Abends drückte er ihr einen Zettel in die Hand mit den Worten: Dein ist mein Herz." Am nächsten Morgen bat er die Eltern feierlich um Amaliens Hand. Wider sein Erwarten fand er Nelles nur ungern bereit, ihm ihre Tochter anzubertrauen. Sie fühlten den Unterschied zwischen sich und dem vielgereisten Fremden, der aus ganz anderen Kreisen stammte als sie selbst. Dietrich war der Sohn eines Rechtsanwalts aus Zwenkau   bei Leipzig  . Er hatte eine Zeitlang Medizin studiert, fich dann aber dem Studium der Naturgeschichte zugewandt, das schon viele seiner Vorfahren mit Leidenschaft betrieben hatten. Zwei seiner noch lebenden Onkel waren ebenfalls Naturforscher. Einer von diesen hatte schon früh Berühmtheit durch die Aufmerksamkeit erlangt, die Goethe ihm zuwandte. Seine Kenntnisse sezten den Dichter so sehr in Erstaunen, daß er den Knaben mit nach Karls­ bad   nahm, als er mit Senebel dorthin reiste. Der junge Dietrich wurde später Schriftsteller, erwarb den Doktortitel und erhielt das Amt als Direktor der herzoglichen Gärten in Eisenach  . Dem Freier von Amalie Nelle lag also das Interesse für die Naturwissenschaften im Blut. Aber Geld hatten ihm seine großen Kenntnisse noch nicht eingebracht. Trotz der ungewissen Zukunft zögerte Amalie nicht, Dietrichs Gattin zu werden, der bei der Verlobung von ihr verlangte, daß sie auf alles äußere Wohlleben verzichten und ganz in seinem Beruf auf­gehen müßte. Er mietete ein großes, einsam gelegenes Gebäude, mitten im Walde, und dorthin zogen die jungen Leute und mit ihnen das Ehepaar Nelle. Dietrich legte sofort Beschlag auf alle Schränke für seine Insekten und Pflanzensammlungen. Wo seine junge Frau ihre Kleider und Wäsche ließ, kümmerte ihn nicht. Sie mußte ihn