Für unsere Mütter und Hausfrauen
Nr. 11°°°°°°°° Beilage Beilage zur Gleichheit oooooooo
Inhaltsverzeichnis: Japanische Ökonomie. Von Robert Wilbrandt .
Die Naturforscherin Amalie Dietrich . Von Anna Blos. ( Schluß.) Feuilleton: Wie ein Mensch geboren ward. Von Maxim Gorki .
Schon am Schiffe drängt sich eine Masse kleiner Boote wild durcheinander, ein Gewimmel von Menschen, die einander die Fuhre ab= zujagen trachten und fortwährend aneinander stoßen, das Bild der Massenhaftigkeit verfügbarer Arbeitskräfte, an denen nicht gespart zu werden braucht, auch nicht durch Ordnung, die ihr echt ostasiatisches Durch- und Gegeneinander in Wegfall brächte. Dann der erste Schritt an Land! Er ist zugleich der letzte, den man selber tut, denn er führt in die Rikscha, das leichte zweirädrige Gefährt, von einem Menschen im Trabtempo gezogen in Ostasien ebenso selbstverständlich wie in Amerika undenkbar. Der Weg, vom Regen gerade aufgeweicht, führt steil, vom Rifscha- Kuli im Zickzack gezogen, auf den Hügel hinauf, auf dem die Fremden sich angesiedelt haben. Der typische, immer wiederkehrende und symbolische erhöhte Plaz, von dem sie herabblicken auf das Gewimmel unter ihnen.
Dieses Gewimmel japanischen Volkes ist für ein schönheitsdurstiges Auge von unbeschreiblichem Zauber. Die Linien und die Farben, dazu all der menschliche Reiz, die Anmut und züchtige Unterwerfung unter die Sitte, die Fröhlichkeit und Gesundheit dieses urkräftigen Volkes, vor allem aber seine durch und durch ästhetische Wesensart, deren tiefstes Bedürfnis eben der Zauber von Linie und Farbe ist, der den Fremden hier entzückt, das tiefe Verwachsensein mit der Natur, in deren Waldesrauschen hinauf die Heldenverehrung der japanischen Tempel uns führt- all das offenbart dem ersten Blick das Bedürfnis der japanischen Volksseele und zugleich deren wohl zu nußende Begabung.
Es ist eine eigenartige Sfonomie, die der künstlerischen Feinheit Japans ihr Gepräge gibt: Nie zu viel, nie überladen, mit den einfachsten Mitteln die schönsten Wirkungen, das ist das Geheimnis des japanischen Hauses, in dem ganz weniger, raffiniert einfacher Schmuck um so reizender wirkt, ja des ganzen japanischen Lebens, von Lafcadio Hearn so stark empfunden als der Gegensatz zu seiner amerikanischen Heimat, deren künstlerischer Mangel den größten Aufwand so oft nur Häßliches produzieren läßt. Ist doch in japanischen Porzellanfabriken eine Abteilung besonderer Scheußlichkeit speziell für amerikanischen Geschmack bestimmt!
Mit den einfachsten Mitteln den Zweck zu erreichen, ist auch außerhalb der Kunst, im ganzen japanischen Leben alten Stils vorbildliche Praxis. Der Papierregenschirm, brauchbar, billig und schön, die Strohsandalen des Wanderers, auf die bloßen Füße ge= bunden und billigst herzustellen, wegzuwerfen nach Gebrauch, und der Strohregenmantel der Landleute, das sind Beispiele dieser erfinderischen Anspruchslosigkeit. Darüber hinaus geht die altjapanische, dem Kriegerideal entstammende Abhärtung. Sie läßt den Japaner auch in bitterer Winterkälte mit nackten Füßen weniger frieren als den„ fremden Barbaren" in seinen Strümpfen und Lederschuhen, die als ewiges Gefängnis zugleich das Grab des warm pulsierenden Lebens und so die Quelle des Frierens sind, gegen das sie dann schützen sollen. Ein Karpfen, der einen Wasserfall hinaufschwimmt, und eine Löwin, die ihr Junges zur Abhärtung in einen Abgrund wirft, sind in der japanischen Kunst beliebte Symbole für das Ziel, auf das die altjapanische Lebensführung steuert; sie weisen auf eine Quelle von Kraft und von einfachster Ersparnis durch Wegfall eines überflüssigen Bedarfs. Hat der Japaner die Viehzucht nicht gelernt, so daß erst europäischamerikanischer Einfluß jezt Butter und Milch und Fleisch und Leder und Wolle einzubürgern beginnt, so hat der Mangel an warmer schützender Fußbekleidung, wie wir sahen, seinem Blutumlauf nur genügt, ebenso wie der Verzicht auf Kopfbedeckung seinem Haarwuchs, und erst die jüngsten Errungenschaften, europäische Schuhe und Müßen, werden auch hier kalte Füße und Glatzköpfe zur Blüte bringen. Vorläufig, so erzählte man uns, werfen die japanischen Soldaten im Feldzug die europäischen Lederstiefel * Aus Robert Wilbrandt , Als Nationalöfonom um die Welt. Ver= legt bei Eugen Diederichs in Jena , 1913. Vergleiche„ Gleichheit" Frauenbeilage Nr. 1, 3, 4 und 5.
1915
wieder weg und greifen zu ihren Strohsandalen. Zugleich Beiträge zu der Frage, was eigentlich ein Bedürfnis im volkswirtschaftlichen Sinne ist! Kuhmilch für kleine Kinder ist unbekannter Bedarf, da die Mütter jahrelang stillen, wie man in naiver Unschuld überall sehen kann. Das Fleisch, uns so teuer in jedem Sinne des Wortes, ist hier ersetzt durch Reis mit Fisch und Gemüse; kraftvoll und kriegerisch durch und durch, ist der Japaner ein Gegenbeweis gegen die bei uns herrschende Bewertung der Fleischkost. Und wiederum mit um so geringeren Mitteln, in Geld ausgedrückt um so billiger, bermag der Japaner sich zu gleicher Leistungsfähigkeit zu bringen. Dasselbe gilt von seinem Haus: infolge des japanischen Brauches des Sizens und Liegens auf Kissen zu ebener Erde, ohne Sessel und Tisch und ohne Bett, dient derselbe Raum nacheinander als Arbeits-, Wohn-, Eß- und Schlafzimmer und kann das ohne Schaden für die Gesundheit, weil wiederum die Abhärtung des Japaners ihn zu jeder Jahreszeit ohne Ofen mit weitgeöffneter Schiebewand in frischer Luft ein gesundes Dasein führen läßt, unter Einschränkung alles Heizens auf ein kleines Kohlenbecken, an dem er unaufhörlich die infolgedessen stets frierenden Hände wärmt. Das japanische Haus vereinfacht sich durch alles das nach Zahl und Ausstattung und Beheizung der Räume; noch weiter durch Papier an Stelle von Fensterglas und dünne Holzschiebewand statt steinerner Mauer. Endergebnis von alledem: gesunde, fröhliche, kraftvolle Menschen in einer Welt zarter Schönheit und tapferer Selbst= beherrschung, erzielt mit weit geringerem Aufwand, daher einer viel größeren Zahl von Lebenden erreichbar, als es europäischem oder amerikanischem Anspruch auf gleich beengtem Boden möglich wäre. Dem entspricht, daß in Japan der Preis der Arbeitskraft sehr niedrig ist, ohne daß damit Not verursacht würde; vielmehr spiegelt das die geschilderten Lebensgewohnheiten, mit denen eine viel billigere Herstellung oder Erneuerung der Arbeitskraft ermöglicht ist ganz entsprechend der Marrschen Lohnlehre, daß sich der Lohn im allgemeinen nach den Herstellungskosten der Arbeitskraft richtet, genauer: daß der Wert der Arbeitskraft, wie der aller Waren freier Konkurrenz, den Arbeitsmengen entspricht, die nach der Tradition des betreffenden Landes zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft im Durchschnitt erforderlich sind.
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Ich sammelte in Japan folgende Lohnangaben, ausschließlich auf Grund der Äußerungen von Arbeitgebern, so daß zu niedrig gegriffene Angaben nicht wahrscheinlich sind:
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Spinnerei und Weberei in
Kinder
Lohn pro Arbeitstag in Yen(= 2 Mr.) für Männer Frauen 0,40 bis 1,10 0,17 bis 0,50
=
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0,30
1,30
0
0,54
0,75 0,35
0,20
0,60
0,50 bis 0,60 0,45= 0,50 0,30 0,35 0,27
0,30 bis 0,35 0,20
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=
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Auf dem Lande sind die Löhne entsprechend niedriger; im ganzen mag für Japan ein Männerlohn von 1/2 Yen= 1 Mark und ein Frauenlohn von 1 bis 13 Yen rund 60 Pfennig typisch sein. Selbstverständlich erheben sich darüber die Löhne gelernter Arbeiter, wie die der Werkstattarbeiter im Stahlwerk( Höchstlohn 2 Yen 4 Mark) oder der besten Sticker( etwa 1,60 Yen= 3 Mark, aber nur so lange, bis Kurzsichtigkeit eintritt und den Verdienst herabsezt) und der besten Handmaler in der Porzellanfabrik in Kyoto ( 1/2 Yen 3 Mark, die allerbesten 4 Yen 8 Mark); während umgekehrt der gewöhnliche Kuli( zum Beispiel Hilfsarbeiter im Stahlwerk 0,40 Yen) hinter dem allgemeinen Landesdurchschnitt zurückbleibt.
Vergleichen wir das mit Deutschland , so ist der japanische Lohn wohl etwa 1/3 des deutschen ; und gar mit Amerika verglichen, wo der gewöhnliche Arbeiter( von den Spezialisten und Virtuosen ganz zu schweigen) etwa 1/2 bis 2 Dollar 6 bis 8 Mart täglich bezieht, ist der japanische Lohn nur 1 bis 18.
Dem entspricht wiederum die ganz anders gestaltete japanische Ökonomie der Produktion. Sie ist nicht, wie die amerikanische, dazu gedrängt, die Menschen durch Maschinen zu erseßen; die bewunderte amerikanische Technik zu übernehmen fällt in Japan schwer, da Menschenüberfluß und Kapitalmangel eher in die ent