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Für unsere Mütter und Hausfrauen
gegengesetzte Richtung drängen: viel Handarbeit, höchstens unterstützt durch wenig kostspielige, einer dezentralisierten Industrie sich anschmiegende Kleinmotoren, wie sie eher aus Deutschland als aus Amerika bezogen werden können. Am allerbesten jedoch entspricht der Ökonomie Altjapans die reine Handarbeit künstlerischen Gepräges, wie die unendlich mühsame, immer zu wiederholende und an bestimmte Zeiten gebundene Lackarbeit, die so unverwüstlich dauerhafte Kunstwerke zarten Geschmades liefert, oder wie die einzigartigen handbemalten Photographien und Ansichtskarten, die leicht hingeworfenen Stickereien, Porzellanmalereien, bemalten Stofflaternen und Lampions eine Fülle von bezaubernden Dingen, die nur möglich sind durch die Vereinigung japanischen Geschmacks und japanischer Lebensökonomie, wie sie der billigen und darum massenhaft aufzuwendenden Handarbeit zugrunde liegt. Zwar ist dem Handwerk als sozialer Klasse damit natürlich nicht geholfen; denn dort wie bei uns verfällt es in Abhängigkeit vom Händler oder vom Fabrikherrn, in dessen Dienst die Arbeit getan wird, sei es zu Hause oder zuletzt im Fabrikgebäude selbst. Doch ist Handarbeit, als technische Kategorie, verfeinert zu individueller Kunstfertigkeit, ja sogar zu wirklich künstlerischer Entfaltung, zweifellos dem geschmackvollen Japaner als eigenste Leistung nur dadurch massenhaft anwendbar geworden, daß mittels der geschil derten Lebensökonomie zugleich mit Schönheit und Brauchbarkeit auch erstaunliche Billigkeit der Waren erzielt werden kann durch niedrig bezahlte Arbeitskraft....
Die Kehrseite dieser Ökonomie, die im Gegensatz zu Amerika mit Mangel an Naturgaben und mit überfluß an Menschen zu rechnen hat, ist diese: daß zwar durch Verwendung alles verfügbaren Materials sorgsam ausgenutzt wird, was die Natur irgend Brauchbares bietet, daß aber die Menschen weit weniger ökonomisch be= handelt werden. Arbeitsersparnis, Zeitersparnis, geschickte Organisation, das liegt der altjapanischen Skonomie ganz fern. Tradition ist eher, sich tapfer anzustrengen und durch Zeremonien, Umständlichkeit der Formalitäten, Herumstehen und Warten möglichst großen Aufwand an Zeit zu treiben. Ein Bild der guten alten Zeit auch in Europa und durchaus übereinstimmend mit dem th= pischen Zeitüberfluß, der auch bei uns zu alledem verführte, ja in entsprechend zurückgebliebenen ländlichen und kleinstädtischen Verhältnissen noch jetzt dazu verführt. Alt- Japan kennt noch nicht den Wert der Zeit; ihr Grenznutzen steht noch so niedrig, daß sie überhaupt noch kaum einen Wert hat. Selbst auf den Bahnhof, so erzählte man uns, gehen viele Japaner ohne einen Blick ins Kursbuch und warten dort einfach, bis ein Zug geht.
Der Japaner hat keine Eile, denn im Verhältnis zu dem, was das Leben ihm bietet, hat er Zeit genug, und das selbstverständliche Warten, das scheinbar seine Zeit so vielfach verkürzt, dient eher sie ihm zu verlängern, denn es gibt ihm Gelegenheit zu Unterhaltung und Scherz, und was will er mehr? So auch in der Arbeit: ist sie ihm zu eintönig, so wird sie nicht möglichst abgekürzt, sondern vielmehr möglichst ausgedehnt durch unerhört lange Strophen von Arbeitsgesängen, die zum Beispiel das Einrammen der Pfähle beim Hausbau zu einer Quelle der heitersten Lustbarkeit gestalten. Eine unglaubliche Menge Menschen steht um einen winzigen Holzflotz herum, den sie erst ein paarmal auf und ab tanzen lassen unter Wechselgesang eines Vorsängers und des Chors, bis schließ= lich der Klotz niederfällt und alles sich schüttelt vor Rustigkeit. Das aber kann man sich erlauben, denn was gebaut werden soll, ist ja nur die zierliche leichte Holzhütte, die wenig Arbeit erfordert. Ebenso langsam vollzieht sich jeder Verkauf, nicht nur wegen des Heilschens, sondern auch, weil das Einpacken mit liebevollster umständlicher Langsamkeit geschieht. Massen von Menschen verbringen in den Läden als Verkäufer ihre Tage bis spät in die Nacht und ebenso die Handwerker, die ohne jedes normale Ende der Arbeitszeit hantieren; aber dazwischen sißen sie und plaudern, wärmen die Hände, und so ist Arbeit und Genuß, Beruf und Freizeit noch ungeschieden vereinigt in der Ursprünglichkeit behaglichen Daseins. Noch ganz wie beim Bauern, dessen gartenartige sorgfältige Bodenkultur, jedes Stückchen Land ausnußend, das Auge des Vorüberfahrenden erfreut. Alles in allem eine Fülle von jugendlicher, kindlicher Kraft, wohlerzogen, heiter und schönheitsfroh das Bild einer wirklich guten alten Zeit. ( Fortsetzung folgt.)
( Schluß.)
In Brisbane mietete sie dann ein kleines Häuschen, und von hier aus unternahm sie ihre Exkursionen in Gebiete, die vorher noch feines Weißen Fuß betreten hatte. Sie war die erste deutsche Frau, die hier im Dienste der Wissenschaft eine Reihe wichtiger Forschungen
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und Entdeckungen gemacht hat. Wie viele Beschwerden, Gefahren und Abenteuer mit ihrer Aufgabe verbunden waren, kann man sich kaum vorstellen. Bewundern muß man immer wieder, wie in den Briefen dieser seltenen Frau ihre eigene Person ganz in den Hintergrund tritt, wie sie sich so ganz als Pionierin im Dienst der Wissenschaft fühlt und als solche niemals Verzagtheit und Kleinmut empfindet. Schlicht und einfach lauten ihre Berichte. Sie, die im wahren Sinne des Wortes eine Heldin war, fühlte sich so gar nicht als„ bedeutende Persönlichkeit", und gerade darum muß man diese einfache Frau aus dem Volke doppelt ehren. Wie tief empfindet sie das Glück, daß sie nun nicht mehr um das tägliche Brot sorgen muß, daß ihr vor allem unbeschränkte Geldmittel zur Verfügung stehen, um sich für ihre Forschungsreisen auszurüsten. Dabei ist sie sorgfältig darauf bedacht, dem reichen Godeffroy nicht zu viele Ausgaben zu verursachen. Da sich Amalie in noch ganz unerforschtes Gebiet begab, blieb ihr als einziger Richtpunkt ihr Häuschen in Brisbane . Selten traf sie auf Menschen, meist Goldgräber, die aber so unheimlich aussahen, daß sie ihnen möglichst auswich. Die Hize war fast unerträglich, und sehr groß war auch die Moskitoplage. Aber Amalie Dietrich achtete kaum darauf in ihrer Freude und Begeisterung, daß sie nun auf Schritt und Tritt Schäße heben konnte, die in der Heimat niemand kannte. So ganz erfüllt war sie von ihrer Mission, daß sie auch nicht unter der Wochen und Monate dauernden Einsamkeit litt. Sie durchwanderte Urwälder, sie durchfuhr im schmalen Kanoe Flüsse und Seen und all die Naturwunder, die Moose, Nacktschnecken, Spinnen und Tausendfüßler, die Schädel, Skelette und primitiven Gerätschaften der Eingeborenen, die sie in die Heimat schickte, erschienen ihr wie Fäden, die sie mit dieser verbanden, wie ein Band, das sie mit den Gelehrten verknüpfte, die dort all das kostbare Material bearbeiteten, das sie in der Ferne sammelte. Auch die Gefahren, die oft ihr Leben bedrohten, erschienen ihr geringfügig im Vergleich zu der schweren Zeit, da sie als Lasttier vor den Karren gespannt all den Unbilden der Witterung und des Hungers ausgesetzt gewesen war, von ihrem Gatten mißachtet, von ihrem Kinde getrennt.
Staunenswert ist die Energie, mit der die seltene Frau sich durchkämpfte und wie wenig Wesens sie von ihren Erlebnissen macht. Einmal schluckte sie eine Riesenameise herunter, die sich in ihrem Halse festbiß, so daß sie fast erstickte. Endlich gelang es ihr, das Tier durch einen Schluck heißen Tee zu verbrühen und herauszuhusten. Ein andermal sah sie eine wunderschöne Wasserlilie. Um sie zu pflücken, geriet sie auf fumpfigen Boden und spürte, wie sie plötzlich tiefer und tiefer sank. Die Nacht zog schon herauf, und Amalie Dietrich gab sich- verloren in der tiefen Einsamkeit. Da sah sie plößlich durch den Nebel einen roten Schein und hörte wilden Gesang. Es war die Zeit des Vollmondes, die die Australneger durch Tänze und Gesänge festlich zu begehen pflegten. Sie mußten. in der Nähe sein, und Amalie suchte durch Schreien ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenfen. Das gelang wirklich. Ein großer Schwarm der gutmütigen Wilden stürzte heran und schob ihr ein Kanoe hin, durch das sie sich retten konnte. Aber selbst für ihre starken Nerven war die Aufregung zu groß gewesen. Halb bewußtlos wurde sie von den Eingeborenen zu einer Squatterfamilie gebracht, die in der Nähe mitten im Urwald eine Farm hatte. Durch das stundenlange Stehen im Wasser hatte Amalie sich ein starkes Wechselfieber zugezogen. Man brachte sie im Ochsenkarren nach Brisbane , und dort lag sie, wochenlang frank in ihrem Häuschen. Kaum war sie genesen, so erlebte sie den Kummer, daß während ihrer Abwesenheit ihr Häuschen aus Bambusstäben mit einem Palmblätterdach niederbrannte. Damit war ein großer Teil der kostbaren Sammlungen vernichtet, das Ergebnis mühseligster Arbeit. Aber nicht an sich dachte die bescheidene Frau, sondern an den Schaden, den das reiche Haus Godeffroy durch diesen Verlust erlitt. Godeffroy beruhigte sie darüber. Voller Stolz schrieb er ihr:„ Unser Museum zieht immer mehr die Beachtung auf sich, und es ist in der wissenschaftlichen Welt wohl bekannt, wieviel Amalie Dietrich zu dessen Ausdehnung beiträgt." Godeffroy bot Amalie an, sich einen Gehilfen zu nehmen, da ihre Arbeit sich fast täglich erweiterte. Wieder zeigt sich der edle Charakter der Frau, denn sie forderte Dietrich auf, zu ihr zu kommen, weil sie sein Wissen für das Gedeihen ihres Werkes für unschäzbar hielt. Dietrich kam jedoch nicht, weil er sich zu krank und alt fühlte für eine so große Lebensaufgabe. Aber mit dem Gefühl seiner eigenen Schwäche war nun endlich die Einsicht gekommen für die Größe seiner einst verschmähten und mißachteten Frau. Sie bot ihm einen Lebensabend in gemeinsamer fördernder Arbeit, ohne kleinliche Sorgen um das tägliche Brot, ohne lästige Rücksicht auf die Meinung der Menschen, nur zu tun, wozu ihre Neigung sie treiben würde, zu sammeln, was ihnen auf Schritt und Tritt unter ewig lachender Sonne entgegenwüchse". Sie bot das dem Manne, der ihr einst so