Nr. 14

Für unsere Mütter und Hausfrauen

Gedanken nicht los werden, daß sie sich körperlich voneinander so sehr unterscheiden, daß man die Armen und die Reichen für ver­schiedene Rassen halten müßte, wenn man nicht wüßte, daß sie ver­schiedenen sozialen Klassen angehörten. Das ist die Macht des Hungers in der Gesellschaft. Während nun aber im hungernden Organismus die wichtigsten Organe zuerst mit Nahrung versorgt werden, erhalten in der Gesellschaft, die als Ganzes keinen Mangel leidet und im Überfluß besigt, die wertvollsten und mit der meisten Arbeit überlasteten Glieder häufig genug eine nur ungenügende Nahrung. Hier tritt dann ebenfalls ein Kampf der Teile, der Klassen fampf ins Spiel, um Ausgleich zu schaffen.

Die Volksspeisung im Kriege.

Die deutschen Hausfrauen, vor allem die minderbemittelten, werden gegenwärtig mit einer Flut von Ernährungsmerkblättern und mehr oder minder brauchbaren Kriegskochbüchern geradezu überschüttet. Diese sollen den Bedrängten als Leitfaden dienen in den durch den Krieg immer schwieriger gestalteten Verpflegungs­fragen.

Auch wir hielten es für unsere Pflicht, den proletarischen Frauen mit Winken für die Kriegsküche zu Hilfe zu kommen. Nur waren wir mit unseren Ratschlägen bereits zu Beginn des Krieges auf dem Plane, während die bürgerlichen Damen erst in letzter Stunde Alarm schlugen. Der Grund liegt auf der Hand: die Damen be= sannen sich erst auf diese Fragen, als das Wasser auch den Frauen in ihren Kreisen an die Kehle ging und sie von oben darauf auf­merksam gemacht wurden, daß der Kriegszweck sorgfältiges Wirt­schaften erfordere. Die Proletarierinnen bedurften des guten Rates schon viel früher.

Mehr noch! Wer nur einigermaßen volkswirtschaftlich geschult war, mußte die gefährliche Zuspizung der Lebensmittelnot gleich zu Anfang des Krieges voraussehen. Es war zu erwarten, daß die Verschleuderung von menschlichen Nahrungsmitteln in der Land­wirtschaft, in vielen Gewerben und Industrien in alter Weise fort­gesetzt, daß die Profitgier so mancher Produzenten und Händler durch künstliches Zurückhalten der Vorräte und andere Mittel die Preise auf eine schwindelnde Höhe treiben würde. Dem konnte man nur durch planmäßig geregeltes, haushälterische& Wirtschaften im großen, durch staatliche und kom­munale Maßnahmen zuvorkommen. Das Reich, die Einzel­staaten und die Gemeinden hätten sofort eingreifen müssen, wenn die unbemittelte Bevölkerung vor der größten Not einigermaßen geschützt werden sollte. In diesem Sinne haben denn auch die Vor­stände der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften ein ausführliches Programm rechtzeitig ausgearbeitet und der Regie­rung eingereicht. Die Regierung aber schreckte damals vor Ein­griffen in die Profitinteressen der Produzenten und Zwischen­händler zurück, und so mußte es schließlich zur starken Verteuerung der unentbehrlichsten Lebensmittel kommen.

Ein großer Teil der proletarischen Hausfrauen ist heute gar nicht mehr in der Lage, den guten Ratschlägen für die kriegsgemäße Er­nährung der Ihrigen nachzukommen. Noch so gute Kriegskochbücher können die unerschwinglichen Preise für Brot, Kartoffeln, Fleisch, Gemüse usw. nicht ersetzen, sie sind Steine statt Brot. Rät man den Hausfrauen zum Beispiel, sich nahrhaften Breigerichten aus Hafer­flocken zuzuwenden, sofort bewirkt die gesteigerte Nachfrage ein Anziehen der Preise; dasselbe Resultat, wenn man nun den bisher so wohlfeilen und nahrhafen Maisgries oder Buchweizengrüße emp­fiehlt. Kartoffeln sind zeitweise in vielen Gegenden überhaupt nicht zu haben. Die Kartoffel, die uns in den letzten Jahrhunderten so oft vor schlimmster Hungersnot bewahren half, die auch diesmal die Fehlbeträge aller anderen Nahrungsmittel decken soll, ist zu einem Gegenstand der wildesten Spekulation geworden. Es ist eben ver­jäumt worden, die rechtzeitige Beschlagnahme und Verteilung aller für die Massenernährung in Frage kommenden Vorräte in ähnlicher Art zu verfügen, wie es jetzt endlich beim Getreide und Brot geschehen ist. Verschärft wurde die Teuerung durch das sinn­lose Aufstapeln von Vorräten, deren sich viele vermögende Haus­frauen, die nur an sich und ihre Familien dachten, schuldig gemacht haben.

Die Situation ist heute so verwickelt, daß die mit beschränkten Mitteln wirtschaftende Hausfrau sich in den ständig wechselnden Ansichten über kriegsgemäßes Wirtschaften überhaupt nicht zurecht

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findet. Großen Schichten der Bevölkerung muß jetzt mit einer an­deren Lösung der Frage geholfen werden.

Es ist bekannt, daß Bebel   in seinem Buche Die Frau und der Sozialismus" bemerkenswerte Hinweise gab auf die großen Vor­teile einer gesellschaftlichen Einrichtung der Nah­rungsmittelbereitung. Die Erweiterung der Einzelküche zum Großbetrieb erscheint heute mehr denn je als einer der Wege, die eine Minderung der Ernährungsschwierigkeiten bedeuten, die immer unerträglicher werden. Anfänge zu einer rationellen Massen­versorgung sind bereits vorhanden in den Bürgerküchen, Volks­küchen und Kriegsküchen, die an vielen Orten mit Unterstützung der Gemeinden errichtet wurden. Man mag von ihren Leistungen nicht immer entzückt sein, im Prinzip ist es richtig, daß solche Zen­tralküchen für denselben Geldaufwand erheblich mehr leisten kön­nen als der kleine Einzelhaushalt mit seinen dürftigen Vorrich­tungen. Wenn die Militärverwaltung in normalen Zeiten für die Einzelbeköstigung außerhalb der Kaserne pro Kopf und Tag 45 Pf. mehr berechnet als in der Anstaltsversorgung, so gibt dies einen ungefähren Anhalt dafür, wie groß die Ersparnisse und infolge­dessen die Mehrleistungen sein fönnen, wenn alle Nahrungsmitte! im großen eingekauft und zubereitet werden. Besonders an Fleisch könnte für denselben Geldaufwand mehr gewährt werden als beim Einkauf in fleinen und allerkleinsten Mengen. Die Leitung der Zentralfüche hat ja einen ganz anderen Überblick über die Markt­verhältnisse, sie hat auch ganz andere Materialkenntnisse als die ungeschulte Hausfrau. Was die küchentechnische Seite betrifft, so werden in den riesigen doppelwandigen Dampffochtöpfen für Massen­verpflegung die Nährwerte der Hülsen- und Körnerfrüchte und vieler anderer Speisen ohne Verluste durch Anbrennen und über­kochen weit vollkommener aufgeschlossen als in dem nicht so praktisch eingerichteten Familienkochtopf. Passiermaschinen sorgen für die feinste Zerkleinerung der Grbsen, Bohnen und Linsen, so daß die schwerverdaulichen Hülsen zurückbleiben und eine wohlbekömmliche Kost auf den Tisch gebracht wird. Besondere Würzen und Ge­schmackszugaben fönnen und müssen dem einzelnen selbstverständ­lich gewährt werden. Gewiß würden die von einem geschulten Per­sonal berufsmäßig hergestellten Speisen besser zubereitet und leichter verdaulich sein als die oft mit geringer Kochkenntnis in Hast hergestellte Nahrung in vielen Haushaltungen.

So radikale Reformen der Hauswirtschaft wurden früher nur in sozialdemokratischen Kreisen erörtert im Hinblick auf ihre Ver­wirklichung in der sozialistischen   Gesellschaft der Zukunft. In den letzten Jahren begann man auch im bürgerlichen Lager sich mit dem Problem der Zentralküche zu beschäftigen, denn auch die bür­gerliche Frau wird mehr und mehr aus ihrem trauten Heim" ins Erwerbsleben hinausgestoßen und erkennt mit geschärften Augen die unsinnige Kräfteverzettelung im Zwerghaushalt, fühlt am eige­nen Leibe die Überbürdung der Frau, die zugleich Hausmutter und Arbeiterin ist, und sucht nach einem praktischen Ausweg aus der unökonomischen und unwissenschaftlichen Hauswirtschaft im kleinen.

Die Frage ist heute um so aktueller geworden, als die wirklich friegsgemäße Ernährung der Volksmassen im häuslichen Klein­betrieb nahezu unmöglich erscheint und die Unzulänglichkeit des Einzelhaushaltes trasfer als sonst in die Erscheinung treten läßt. Einen bemerkenswerten Beitrag zur Frage der Volksspeisung ver­öffentlichte Thea Graziella in der zweiten Beilage des Berliner  Börsen- Kuriers Nr. 87 vom 21. Februar d. J. Zur Beseitigung vieler Verpflegungsschwierigkeiten in der Gegenwart, zur Rege­lung des Einkaufs, zur Organisation des Verbrauchs, zur Ver­hütung von Unterernährung ist die Sparküche nach Graziellas Ansicht völlig unentbehrlich. Sie weist an einigen einfachen Ge= richten des in Berlin   viel verbreiteten fleinen Kriegskochbuchs von Hedwig Heyl   nach, daß es beispielsweise für eine Kriegerfrau, die nur 40 Pf. pro Tag und Kind erhält, absolut unmöglich ist, auch nur die Hälfte der von der Ernährungswissenschaft geforderten Nährwertmengen zu decken, auch nicht, wenn sie durch Brot und Kartoffeln den Mangel an Fleisch auszugleichen versucht. Hier kann kein, Vertauschungsrezept, feine Klippfischempfehlung und Magermilchanpreisung helfen. Notgedrungen wird die Privat­wirtschaft in der Volkswirtschaft aufgehen müssen die Form der Kriegs- und Arbeitslosen-, der Armenunterstüßungen usw. wird sich diesem Erfordernis anpassen müssen, die Sparküche wird für alle Unterstüßungsgelder- und Rentenempfänger zur Zwangs­küche werden müssen, wenn einer Unterernährung des Volkes vor­gebeugt werden soll." Vorbedingung ist, daß die Gemeinden eine Aufnahme der in ihren Mauern befindlichen Vorräte vornehmen, 50 Prozent der festgestellten Waren beschlagnahmen und von einer Zentralstelle aus verteilen. Ferner wird gefordert städtische Regie zur Kontrolle der Speisen auf ihren Nährwert sowie Festsetzung