Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 16 。。。。。。。。 Beilage zur Gleichheit oooooooo

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Inhaltsverzeichnis: Den Morgenberg hinan. Von Karl Spitteler  . Der Seelenglaube. Von B. Sommer.( Forts.) Der Körper des Kindes im Lichte moderner Forschung. Von Dr. M. H. Baege. Feuilleton: Die Hölle. Von Olive Schreiner.  ( Schluß.)

Den Morgenberg hinan.

Aus Olympischer Frühling". Von Karl Spitteler  .

Die Wandrer ließen jezt den Blick mit andachtsvollem Schweigen Aufwärts in schwindelhohe Himmelsfernen steigen, Der immerfort nach einem höheren Zenit Durch heitern Dunst in neue Weltenräume glitt. Kein Lüftchen blies von dieser oder jener Seite,

Und immer größer wuchs des Himmels Kuppelweite. mitunter prüfte der und jener unverwandt Den lauen Lenzeshauch mit ausgestreckter Hand, Und wie nun eine lange 3eit unausgesetzt

Der Finger ward von keinem feuchten Dampf benetzt Und, ob auch gänzlich frei und bloß und unverteidigt, Don keinem Nord, von keinem Windstoß ward beleidigt, Da gab mit stillem Lächeln mancher blasse mund Dem Nebenmann die Wunderzeitung selig kund. Und jeden sah im Kreis ein jeder forschend spähen, Ob sie's auch sämtlich merkten, alle wirklich fähen.

Und wie sie so mit unbeholfnen Wonnelauten Einander hin und her ins bleiche Antlitz schauten, Da war's, als ob sich eine fremde Kruste sachte Don ihrem Urteil löste, das erstaunt erwachte. 3um erstenmal vernahm ein jeder nicht allein Sich selber, sondern merkt ein traut 3usammensein, Spürte verwandtes Fühlen schüchtern ihn umwinden Und ahnte seinen Bruder gleichgestimmt empfinden. Und wie der Blick, wenn nur das Herz die Fühler streckt, Die Tugend eines andern leicht und gern entdeckt, So fingen sie, von alter Blindheit nun genesen, Wohlwollend an, das Bild des nächsten abzulesen.

Wer war's gewesen, der den ersten Anstoß gab? Kein Zeichen winkte, keines Führers Hand und Stab, nicht Wille, weder überlegung war dabei: plötzlich mit einem hundertstimmigen Freudenschrei Fand jeder schluchzend sich an eines andern Brust. Das war der Freiheit morgengruß und Erstlingsluft.

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Der Seelenglaube.

Bon B. Sommer.

( Fortsetzung.)

Die Seele des Verstorbenen lebt zunächst nicht in einer besonderen Welt, sondern auf der Erde und in der Gegend, wo der Mensch starb, mitten unter seinen Freunden und Verwandten. Da der kulturlose Mensch, dem alles fremd und übermächtig entgegentritt, von Natur schreckhaft ist, so sieht er nicht nur im Traum Seelen, er vernimmt sie auch im Wachen in den verschiedenen Tönen der äußeren Natur und in den häufigen Sinnestäuschungen, denen er unterworfen ist. Im Donner schelten ihn die Geister, und im Echo des Waldes narren sie ihn. Noch der gebildete Grieche des Altertums hörte im Donner den Zorn des Zeus   und im Echo den klagenden Ruf der von der Götterfönigin Juno gehaßten und der Sprache beraubten Nymphe. Solche Vorstellungen mögen uns heutigen weither geholt und verwunderlich erscheinen, für den Wilden" gibt es überhaupt nichts Verwunderliches. Er lebt ja von Anfang bis Ende in einer wunderbaren und verzauberten Welt, von deren Zusammenhängen er nichts versteht und in der alles möglich ist. Der tägliche Sonnen­aufgang, die Geburt eines Wesens erscheinen uns, die eine Ahnung von der unendlichen Mannigfaltigkeit und Kompliziertheit aller Ur­sachen und Wirkungen besigen, troß ihrer Regelmäßigkeit und unserer Kenntnis ihrer nächsten Ursachen bestaunenswert und wunderbar. Dem Wilden" aber, der nichts von ihren Zusammenhängen weiß, der nicht einmal die Geburt eines Wesens mit dem vorhergehenden Beugungsakt in Verbindung seßt, diesem Wilden" erscheinen solche Vorgänge ganz einfach und selbstverständlich. Wenn der Europäer dem Wilden" ein mechanisch- technisches Stunstwerk, etwa eine Uhr

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1915

zeigt, so bestaunt dieser es nicht. Es ist ihm kein Jota mehr oder weniger unerklärlich als alle anderen Vorgänge und Erscheinungen seines Lebens. Es ist ihm nur ungewohnt. Er staunt nicht, er erschrickt, hat Angst davor. Ist die Angst überwunden, so wird er sich kindlich darüber freuen, aber eine Erklärung zu suchen, zu staunen, fällt ihm nicht ein.

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Etwas ganz anderes ist es, wenn der Europäer   nicht Kulturlose, sondern Menschen einer primitiven Kulturstufe vor sich hat, Menschen, die bereits selber allerlei mehr oder minder kunstvolle Gegenstände Herstellen und deshalb auch bei anderen Gegenständen einen Schöpfer und eine bestimmte Art und Weise der Herstellung voraussetzen. Bei diesen regt sich gleich die Frage nach dem Macher" und nach dem Wie" des Machens und damit das Staunen. Es bedeutet einen gewaltigen Fortschritt über die vollkommene Kulturlosigkeit hinaus, wenn der Mensch zum erstenmal das Bedürfnis nach einer Erklä­rung empfindet. Mögen uns Zivilisierten dann seine Erklärungen noch so tindisch und albern erscheinen, geschichtlich betrachtet waren sie eine geistige Großtat, der erste Schritt aus der Dämmerung halbtierischen Daseins zum Lichte nachdenkender und zwecksetzender Vernunft.

Die Entstehung des Seelenglaubens zeigt uns den Menschen auf dieser Stufe, und es wäre eine Aufgabe für sich, den innigen Zus sammenhang zwischen den Anfängen der Technik und Wirtschaft einerseits und dem ersten Fragen nach dem Wie? und Warum? der Erscheinungen andererseits nachzuspüren. Wir müssen uns hier da­mit begnügen, festzustellen, daß auf dieser Stufe der Mensch zum erstenmal beginnt, sich über die Welt und ihre Vorgänge Gedanken zu machen, nach dem Macher" zu fragen. Da aber sein Nachdenken noch ganz in den Anfängen steckt, so gibt er sich mit der nächsten besten Erklärung zufrieden. Was ist es, das ihn selber in Bewegung seßt, in ihm atmet, schreit, Schmerz empfindet, durch ihn arbeitet, kämpft, tanzt? Die Lebenskraft, der Geist. Was ist es, das in den Dingen und Lebewesen ringsumher wirkt? Die Lebenskraft, der Geist. Also sind es die Geister, die alles bewirken, was geschieht, das heißt was dem Naturmenschen auffällt. Eine Seele gleich der seinen wirkt im Regen, der seinen nackten Körper peitscht, im Sturm, der ihm die einfache Hütte umwirft, sein sorgsam behütetes Feuer aus­löscht, in der Welle, die seinen schwachen Kahn zertrümmert, in jedem wilden Tier, in jedem Feind, kurz allüberall. Und da dem Natur­menschen meist nur das auffällt, was ihm Schmerz verursacht, da sein Leben fast ununterbrochen von Feinden bedroht, von wilden Tieren umlauert, von tausend Zufälligkeiten abhängig ist, so ist es nicht zu verwundern, wenn er zunächst eigentlich nur böse Geister kennt. Nur die nächsten Blutsverwandten, die Mitglieder der Totem­genossenschaft, der Sippe, sind unter Umständen zum Beistand ge­neigt, also werden ihre Seelen vielleicht freundlich gesinnt sein. Aber auch innerhalb der Horde, Sippe geschieht ja alles nur aus Selbst­erhaltungstrieb, nach dem Grundsay: ich gebe, damit du gibst. Darum ist auch die Meinung allgemein, daß die Geister nichts interesselos geben, daß ihre Gunst durch Geschenke, Opfer zu gewinnen sei. Be­denken wir, wie selten eigentlich in der kleinen Gemeinschaft, der der Wilde" angehört, jemand stirbt, und wie unzählbar groß das Heer der fremden und unbekannten Geister ist, die in den Gegnern, in Naturereignissen, Dingen und Tieren hausen. Ferner, wie rach­süchtig der Naturmensch sich die Geister der von ihm selbst erlegten Feinde vorstellt. Wir dürfen uns also nicht verwundern, wenn er alle Geister furzweg für bösartig hält und ihm fremd" soviel wie feindlich" bedeutet. Dazu kommt, daß der Mensch auf niederer Kulturstufe sich die Geister hungrig denkt. Sie bedürfen genau so wie er der Nahrung, und genau so, wie er sich um sein Dasein wehren und plagen muß, müssen es auch die Geister. Der Wilde ist fast immer hungrig. Wo die Natur einigermaßen freigebig war, machen sich gewöhnlich die Mitmenschen ihren Reichtum um so streitiger. Da der lebende Mensch das Gelände fleißig absucht, bleibt für den Geist wenig übrig. Kein Wunder, daß der Tote aufgebracht ist. Noch der hochzivilisierte Chinese bezeichnet den bösen Dämon als hung­riger Geift. So eng hängen für ihn beide Begriffe zusammen.

Uns mag es auffallend erscheinen, daß der Wilde denselben Geist als hungrig vorstellt, dem er doch eine so große Macht über sein eigenes Dasein zuschreibt. Er bittet ihn um Nahrung und verspricht ihm einen Teil davon. Die Dentfähigkeit des Wilden ist noch nicht so weit entwickelt, um einen Widerspruch darin zu finden. Er hat die Erfahrung gemacht, daß man durch Geschenke Freundschaft er­