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Für unsere Mütter und Hausfrauen
dem seine gebogene Nase den Spißnamen Sperber eingetragen; er war einst für einen städtischen Metzger als Viehauffäufer umhergezogen; zur Erinnerung an bessere Tage trug er noch immer zwei abgegriffene Silberknöpfe oben an der verschossenen Weste; ehedem war diese ausgefüllt gewesen, jetzt hätte sich ein Erwach sener zwischen Bauch und Weste einschieben können. Endlich war auf der Männerseite noch das Gneisel, ein kleines, galliges reizbares Männchen, das ganz entseßlich unablässig fluchte und den Teufel anrief.
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Dann die Weiber! Boran die starkknochige, männische GaloppSofie, die tüchtigste Kartoffelausnehmerin der ganzen Gegend. Ebenso kräftig wie ihre Hände arbeitete ihr Mundwerk, obgleich ihr hierin die Mette nicht um pieles nachstand, dieselbe Mette, die vordem mit Per auf dem Nörhof gedient hatte und nun nach be= wegter Fahrt von den wilden Lebenswogen zusammen mit an= derem Wrack auf das Kartoffelfeld des Gemeindevorstehers ge= spült worden war. Sie war nämlich nach Wunsch in ganz exemplarisch gesegnete Umstände gekommen. Der Verwalter auf Sössig hatte ihr sogar zu einem Zwillingspaar verholfen. Dank einer kleinen Abfindung hatte sie sich dann mit Lauren verheiratet, war später mit einer Kunstreitertruppe durchgegangen, doch schließlich zu ihrem trauernden Ehegespons zurückgekehrt mit vier Kindern, deren höchst verschiedenartige Gesichter eine kleine Musterkarte der ländlichen Demokratie der Gegend bildeten. Die dritte von den Weibern war die stille Line", eine Schwester des Taglöhners Romler; sie war ein schmächtiges, bleiches Frauchen mit gutmütigem Gesicht. Sie hatte auf der Brust eins wegbekommen, drehte sich jeden Augenblick um und hustete jämmerlich.
Mögt euch jetzt hinstellen, wo's einem jeden paßt," sagte Per, der Schar zugewendet. Er hatte bereits mit der Forke die ersten Kartoffelpflanzen aufgelockert und arbeitete sich rücklings immer weiter den Acker hinab.
" Jett heißt es sich aber dazu halten, solang das Wetter anhält; ich fürchte, wir kriegen heute noch einen tüchtigen Guß." Er blickte nach dem Osthimmel aus, wo die Sonne in großen Wolkenfeßen schwamm.
Ein kleiner Kampf entspann sich darüber, wo jeder zu hocken fäme; alle stritten um den Platz zunächst der Galopp- Sofie, von der man wußte, daß sie sich nicht lange besann, auch dem Nebenmann ein paar Kräuter mit auszustechen, wenn er nicht Schritt zu halten vermochte.
Als Sofie mit Genugtuung wahrnahm, daß man sich um ihre Nachbarschaft stritt, faßte sie rasch die stille Line am Arm:
Komm du zu mir, hat unser Herrgott zur alten Ahn gesagt! Tun also wir zwei uns nebeneinander legen und mitsammen unterhalten!"
Die anderen verteilten sich aufs Geratewohl.
Die erste Viertelstunde waren alle bei bester Laune. Da waren die Kräfte noch frisch, und jeder hatte eine Menge köstlicher Neuigfeiten mitgebracht, die es auszukramen galt. Man teilte mit freigebigen Händen davon aus. Die ganze Gegend wurde durchschnattert wie ein Ententeich; jedes bedauerliche und ungewöhnliche Ereignis wurde erörtert und bekrittelt, jede ins Unglück geratene Jungfrau in diesem wie in den angrenzenden Hebammendistrikten mußte dahier zwischen den Erdäpfeleimern gehörig Spießruten laufen. Bauern und Häusler, Herren- wie Dienstleute, wer nur den kleinsten Rostfleck an seiner Ehre, das winzigste Sündenfältchen an seinem Namen oder Nuf sizen hatte, der wurde vor die Schranken der am Boden kriechenden Volksjury geladen. Besonders war Mette unerschöpflich an Skandalgeschichten: sie war selbst der Mittelpunkt so vieler gewesen, daß sie mit allem erforderlichen Beiwerk zu schildern verstand. Und so oft sie eine neue zum besten gab, schloß sie mit der Wendung:
" So hab ich's wenigstens gehört; ob's aber wahr ist oder nicht, könnt ich nicht sagen."
Mettes Geschichten hatten bisher nur Beifall und Befriedigung in den Reihen erregt, und von ihrem Erfolg angefeuert, verfiel sie auf die unglückselige Jdee, sich auch über Anna herzumachen, Pers Flamme noch aus den Kinderjahren.
Anna war auf Sössig als Stubenmädchen in Dienst getreten, wogegen sich ja nichts einwenden ließ. Aber nun wußte Mette allerlei von dem Glück zu erzählen, das sie bei den Männern mache, indem sie mit einem Kontrollassistenten so gut wie verlobt" wäre, zugleich aber den Verwalter zu den verdächtigsten Zeiten des Tages und der Nacht bei sich einlasse.
" Ja, die Leute behaupten sogar, sie wär schon einmal drinnen in Kopenhagen gewesen; denn dort läßt sich's ja leicht verheimlichen; aber natürlich verlangen sie dann auch ihre gute Bezah lung dafür!"
Nr. 24
In diesem Augenblick flog auf Mettes Eimer ein Kartoffelfraut, und die daran haftenden Erdklumpen und Steine sausten ihr um die Ohren. Als sie aufschaute, stand Per zähneknirschend vor ihr, die Hand an den Forkenschaft gepreßt, daß die Knöchel förmlich aus der Haut hervorstachen.
„ Kannst du's bezeugen, was du da sagst? Ich sag, hast du was, an das du dich halten kannst? Denn hast du nichts, dann sei so gut und halt dein Maul, und zwar augenblicklich."
Pers Augen standen ihm wie zwei Kiesel aus dem Kopfe. " Jh, Gott behüte!" sagte Mette und errötete bis unter ihre schmutzige Halsleiste.
Die anderen schauten mit verlegenem Lächeln von Per auf Mette. Damit war ihr fürs erste das Spiel verdorben. Nun nahmen die Männer das Gespräch auf. Sie interessierten sich nicht so sehr für die Liebe und dergleichen wie für Ernährungsfragen. Sie erörterten, wo der billigste Kautabak zu haben wäre und was zur Kirmes ein Scheffel Roggen kosten würde.
" Ist's wahr, wie man hört, daß der Krämer nicht mehr aufkommt?" begann Wolle Skajbaek.
"
Was sagst du? der Kraen Lybsker ist krank!" fragte Ber und ließ die Forke ruhen.
" Ja, ganz auf'm Hund soll er sein," nahm nun die GaloppSofie das Wort.„ Aber das ist schon lange her, daß man das ge= hört hat; ich hab schon geglaubt, er wär tot."
„ Der wird meiner Treu auch nicht viel Pflege haben, der arme Teufel," fuhr Sofie fort." Geht einer jetzt zu ihm, so geschieht's aus lauter Gutheit; denn er hat ja auf Gottes Welt keine lebendige Seele bei sich als den Hund."
,, Aber wo kriegt er denn ein Essen her?" erkundigte sich Line mit ihrer dünnen leisen Stimme.
„ Ach, ich glaub, der Roj, der sieht sich manchmal nach ihm um und ist ihm in dem einen und dem anderen zur Hand; denn das ist ja so ein Eigener. Aber schlecht genug hat er's dessentwegen doch," sagte Sofie.
Nun konnte Mette nicht länger an sich halten, sondern mußte ihr Wort dazu geben:" Hat's aber auch nicht um ein Jota besser verdient; was hat er sich nicht wie andere Leute gehabt und die Hilfe von dort hergenommen, wo sie zu haben war."
"
Per warf ihr neuerdings einen zornfunkelnden Blick zu, wurde aber vom alten Gneifel am Antworten gehindert. Da soll mich der Deibel zerreißen, wenn das nicht wirklich wahr ist!" sagte er und ließ eine Spucksalve in des Nachbars Kartoffeleimer fliegen. ,, Er hat sich immer eingebildet, er wär was Besseres als ein anderes, weil er nichts von der Gemeinde bekommen hat. Aber da soll mich gleich der Deibel zerreißen, wenn er deshalb was anderes ist als ein Landstreicher!" Neue Spucksalve in die Kartoffelgelte. " Ja, wer möcht sich nicht gern selbst helfen, wenn er's fönnte," seufzte die kleine, blasse Line. Wär unserm Anders nicht die Hand von der Maschine zerschmettert worden, wir hätten uns schon auch davor gehütet, an die Gemeinde zu kommen. Es geschieht wahrhaftig nicht zum Vergnügen, so was; aber, versteht sich, Krankheit ist jedermanns Herr."
Line kehrte sich um und hüstelte wieder.
" Was du sagst, Line, ihr habt aus dem Gemeindesäckel bekommen," rief Per, das kann ich nicht glauben."
" Ja, eigentlich von der freien Armenkasse, wie sie's nennen," versetzte Line.
„ Ach was, darauf habt ihr ein Recht; das heißt noch nicht, die Gemeinde in Anspruch nehmen."
„ Es ist doch alleweil fremder Leute Hilfe, es wird also ziemlich eins sein, wie man's nennen will," sagte Line.
" Der Roj, der, von dem früher die Rede war," begann nun Franz Danggaard, ist der nicht beim Sotschalistenwesen mit dabei?" " Ja," antwortete Wolle Skajbaek. Ich weiß freilich nicht, was sie eigentlich wollen, aber ich kann nun einmal ihre Faren nicht leiden."
" So viel weiß doch ein jedes, daß sie den König mitsamt unserem Herrgott abschaffen wollen," sagte die Galopp- Sofie; denn sie möchten ja selbst den lieben Gott spielen zu guter Lett."
Der alte Ywer hatte bisher noch nichts gesagt; sein Gehirn arbeitete zu träge, um einem Gespräch zwischen vielen folgen zu können, und seine Gedanken standen zumeist noch Gewehr bei Fuß vor des hochseligen Königs Friedrich VI. Schlafgemach. Daher entrang sich seinem zahnlosen Mund ein lautes hohles Lachen ein Lachen von 1830, als Sofies Worte von Gott und dem König allmählich in die Schneckengänge seines Bewußtseins eingedrungen waren. ( Fortsegung folgt.) Berantwortlich für die Redaktion: In Vertretung Hanna Buchheim in Stuttgart . Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.5. in Stuttgart .
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