Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 25 о O O O O O O O

Beilage zur Gleichheit

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Inhaltsverzeichnis: Zuruf. Von Wolfgang v. Goethe  . Die Schule und der Krieg. I. Von Frizz Elsner. Geisterfurcht und Geisterabwehr. Von B. Sommer.( Schluß.) Feuilleton: Beim Gemeindevorsteher. Von Jeppe Aakjaer.  ( Fortsetzung.)

3uruf.

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Durch mächt'ges Wort, durch kräft'ge Tat errege Der tiefgebeugten Herzen eigne Kraft; Vereine die 3erstreuten um dich her, Verbinde sie einander, alle dir.

Denn wenn ein Wunder in der Welt geschieht, Geschieht's durch liebevolle, treue Herzen. Die Größe der Gefahr betracht' ich nicht, Und meine Schwäche darf ich nicht bedenken: Das alles wird ein günstiges Geschick 3u rechter 3eit auf hohe 3iele leiten.

Wolfgang v. Goethe  ( Die natürliche Tochter).

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Die Schule und der Krieg.

I.

Wenn man verstehen will, welche Bedeutung der Weltkrieg für unsere Schule gewonnen hat, und in welches Verhältnis sie not­wendig zu diesem ungeheuren Weltgeschehen treten mußte, so ist es gut, vorerst die Frage zu beantworten: Worin sah die deutsche Schule bis zum Kriege das oberste Ziel ihrer Erziehungsarbeit?

Wir wissen: teine menschliche Organisation kann auf die Dauer ohne eine leitende, alle Einzelarbeit zusammenfassende Idee be­stehen. Was wäre etwa eine politische Partei von noch so großer Anhängerschar und noch so glanzvoller Gliederung der Funktionen ohne ein klares, Richtung gebendes Programm? Was die kunstvollste militärische Maschinerie ohne den einheitlichen Siegeswillen von Leitung und Mannschaft? Eine Weile würde das Räderwerk solch seelenlosen Gebildes wohl fortklappern, aber an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!"

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So ist's auch mit der öffentlichen Schule. Man hat wohl im Laufe der Geschichte der Erziehung die verschiedensten Aufgaben gestellt; denn mit dem Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse änderten sich auch die Ziele der Jugendbildung. Aber darin sind die päda­gogischen Systeme aller Zeiten einig: der Heranwachsende Zögling soll nicht nur mit bestimmten, für sein Wirken in der Gesellschaft ersprießlichen Kenntnissen und Fertigkeiten ausgestattet werden, son­dern alle diese nüglichen Einzelleistungen zielen hin auf einen obersten menschlichen Wert, dem sie sich unterordnen; dieser bestimmt die Aus­wahl des Lehrstoffes und seine Gestaltung und schafft gewissermaßen die geistige Atmosphäre, in der das Kind seine Kräfte sammeln soll. Gerade damit sah es nun in unseren Schulen zu Beginn des neuen Jahrhunderts sehr böse aus trotz des redlich vergossenen Schweißes einer mit dem Ol der Erziehungsweisheit aller Jahr­tausende gesalbten Lehrerschaft. Woher sollte man auch in einer, von tiefsten Gegensägen zerrissenen Gesellschaft ein menschliches Ideal nehmen, das der Erziehungsarbeit als Leitstern dienen konnte!

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Solche Dinge lassen sich beim besten Willen nicht erfinden oder vergangenen Zeiten entlehnen. Und wenn es schon wahr ist, daß die menschliche Gesellschaft von heute, um die Worte eines alten Römers zu gebrauchen, auf dem verfluchten Hunger nach Gold" aufgebaut ist, so kann man schließlich doch damit pädagogisch keinen Staat machen, am wenigsten vor den Volksschichten, die bei diesem allgemeinen Wettlauf von vornherein in der zweiten Reihe stehen oder überhaupt nicht an den Startplag gelangen.

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Da hat denn bis in die neueste Zeit hinein die Kirche bereit­willig mit ihrem geistigen Rüstzeug ausgeholfen nicht ohne sich dadurch ein gut Stück Herrschaft über die Schule zu sichern. Zwar spielt, wie jeder Ehrliche ohne weiteres zugeben muß, die religiöse Vorstellungswelt in unserem Leben gar keine Rolle mehr; im Zeit­alter der Technik und Statistik ist jeder Art von Wunderglauben der Boden gründlich entzogen. Aber auf die christliche Jugendlehre fonnte und wollte die Schule nicht verzichten. Die Tugend im Sinne des modernen Christentums, jenes de- und wehmütige Sünder­

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1915

bewußtseins gegenüber den himmlischen und irdischen Gewalten, die das Leben als eine Vorbereitung auf ein je nachdem höllisches oder höchst genußreiches Jenseits betrachtet, ist offiziell auch heute noch das oberste Erziehungsziel.

Wenigstens in den Volksschulen. Hier nimmt ja der Religions­unterricht noch immer einen ungebührlich breiten Raum ein, und das religiöse Denken beherrscht hier im ganzen auch noch den deutschen und geschichtlichen, ja selbst den naturkundlichen Unterricht. Zu start ist das Interesse daran, dem Volfe die Religion zu erhalten".

Dagegen gibt man sich bei den höheren Schulen kaum noch ernst­liche Mühe, den christlichen Charakter zu wahren. Hier ist der christ­liche Geist fein säuberlich in die zwei Religionsstunden und die unvermeidlichen Morgenandachten gebannt: was für ein Unheil würde er auch in der Mathematik und Physik, in der Biologie, der Geschichte und gar der Goethelektüre anrichten! Die Religion spielt hier die Rolle des Bratenrocks, den man mur bei offiziellen Ge­legenheiten mit dem Gefühl des Geniertseins anlegt.

Einen Ersatz bot dem alten Gymnasium jahrhundertelang die Antife. Einst hatte das bürgerliche Denken in seinem Kampfe gegen die geistigen Fesseln des kirchlich feudalen Mittelalters aus dem Studium der alten Griechen und Römer starke Kräfte gesogen; denn hier entdeckte man eine Welt ohne Hölle und Teufel, welt- und sinnenfroh, voller politischer, wissenschaftlicher, künstlerischer Kraft. Gewiß, was davon den Schulen der Gymnasien geboten wurde, verhielt sich zur wahren Antife wie eine Topftanne zur ragenden Bergessichte. Aber sie spürten doch immerhin einen Hauch des Geistes eines Homer und Plato  , eines Phidias   und Perikles  . Und daneben trat, in enger seelischer Fühlung, die Gedankenwelt unserer Klassiker, eines Lessing, Schiller   und Goethe: die große Jdee der Humanität, der edlen reinen Menschlichkeit, die nicht zwischen religiösen, natio­nalen, politischen Schranken, sondern mur in Freiheit gedeiht.

Heute gehört auch dies Jdeal bereits der Vergangenheit an und führt daher auch in der Schule nur noch ein schattenhaftes Dasein. Es war eben das Jdeal der geistigen Führerschaft eines von poli­tischer Macht und materiellem Überfluß noch ausgeschlossenen, gegen feudales Junkertum und fürstlichen Absolutismus fämpfenden Selein­bürgertums. Als aber seit der Gründung des neuen Deutschen Reiches der rasche kapitalistische Aufschwung einsette, der seit den neunziger Jahren ein noch bedeutend verschärftes Tempo annahm, als sich eine mächtige Großbourgeoisie entwickelte und schließlich der Kampf der Nationen um den Weltmarkt auf neuer, breiterer, auf imperia­listischer Basis einsette da erhob sich auch in der Schulpädagogik der Ruf nach stärkerer Betonung der modernen Sprachen und der Naturwissenschaften, wie es der Kaufmann und Techniker braucht. Neben das Gymnasium, an Bedeutung für die Masse der Bürger­söhne es bald überflügelnd, traten gleichberechtigte Realgymnasien und Oberrealschulen.

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Wo aber ein neues zentrales Fach und, wenn nicht das, so doch eine Idee hernehmen, durch die Einheitlichkeit und Zusammenhang in die beängstigende Häufung der Unterrichtsgegenstände kommen fonnte? Hier segte mit immer stärkerer Wucht die Betonung des nationalen Charakters unserer Schule ein, in Abkehr von einer als weltfremd" verspotteten, iveltbürgerlich angehauchten Humanität. Man muß sagen, daß Wilhelm II.   selbst recht früh das Bedürfnis der bürgerlichen Gesellschaft erkannt und der Schule den Weg ge= wiesen hat. Das war auf der berühmten Schulkonferenz von 1890. Damals verlangte der junge Kaiser, das Deutsche solle in den Mittel­punkt des Unterrichts treten und die Geschichte solle von der Be­trachtung der Gegenwart ausgehen. In diesen beiden Forderungen steckt in der Tat das neue Programm: die höhere Schule er­hält das verknüpfende geistige Band in der nationalen Staatsidee und damit zugleich die stärfere Einstellung auf die Gegenwart, als deren Biel   die größtmögliche Ent­faltung des deutschen Wesens" in der Welt erscheint. Bis zum Ausbruch des Krieges war ohne größere Änderungen im äußeren Aufbau des Schulwesens die Durchdringung der höheren und zum Teil auch schon der Volksschulen mit diesem Geiste bereits so gut wie vollendet. Gewiß, auch früher war die Pflege nationaler, staatserhaltender Gesinnung ein wesentlicher Bestandteil der öffentlichen Erziehung. Aber einmal wurde jezt die Pflege dieses Nationalismus viel nachdrücklicher und zielbewußter betrieben, und dann war sein Wesen ein ganz anderes geworden. Das darzulegen, ist hier nicht der Ort, wir müßten sonst den Weg der deutschen Ge­

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