Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 1 ο ο ο ο ο ο ο ο Beilage zur Gleichheit oooooooo

Inhaltsverzeichnis: Vielleicht auch du. Gedicht von Henriette Fürth  . Einige Ergebnisse moderner Jugendforschung und ihre Anwen­dung in Haus und Schule. Von Dr. M. H. Baege. Luftbäder. Von Dr. Popiz. Spruch. Von Goethe. Feuilleton: Bein Gemeindevorsteher. Von Jeppe Aakjaer.  ( Fortsetzung.)

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Vielleicht auch du.

Auf blanken Schienen rollt der Tod durchs Land. Jch lausch' hinaus, den Atem angespannt. Jn bangem Beben schlägt mein Herz dazu: Vielleicht auch du?

Am Himmel loht ein ferner feuerschein.

Ein dumpfes Donnern mischt sich dröhnend drein. Ich fahr' empor aus kargen Schlafes Ruh: Vielleicht auch du?

Millionen pulse pochen so im Takt.

Millionen Herzen hat es so gepackt. Millionen Lippen flüstern so sich zu: Vielleicht auch du?-

henriette fürth.

Einige Ergebnisse moderner Jugendforschung und ihre Anwendung in Haus und Schule.

Bon Dr. M. S. Baege.

In den beiden Auffäßen über Die körperliche Ver­schiedenheit zwischen Kind und Erwachsenem" und Die Entwicklung des findlichen Hirns und sei­ner Leistungen"( siehe Gleichheit", 25. Jahrgang, Nr. 16 und 20) wiesen wir nach, daß sowohl förperlich wie geistig zwischen Kind und Erwachsenem eine Verschiedenheit besteht, die wir taum für möglich gehalten hätten. Je jünger das Kind, desto ausge­prägter ist seine besondere anatomische, physiologische und psycho­logische Eigenart. Erst im Laufe von fast zwei Jahrzehnten er­reicht der jugendliche Mensch die Stufe des Erwachsenen. Es soll heute unsere Aufgabe sein, auf einige wichtige Folgerungen hin­zuweisen, die sich aus dieser Feststellung für die Kinderpflege und Jugenderziehung ergeben.

Das Wichtigste für die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes ist die richtige, entsprechend den Altersstufen geregelte Nahrungszufuhr. Je jünger das Kind ist, desto größer ihr Einfluß auf seine Entwicklung. Der Stoffwechsel ist, wie wir früher sahen, beim Kinde größer als beim Erwachsenen; infolge­dessen ist bei ihm auch ein größeres Nahrungsbedürfnis vorhan­den. Dieses ist übrigens nicht nur verursacht durch sein starkes Wachstum, seine fortgesette Massen- und Größenzunahme, son­dern auch dadurch, daß beim Kinde die Körperoberfläche im Ver­hältnis zum Körpergewicht größer ist als beim Erwachsenen. Da durch erleidet der kindliche Körper einen größeren Wärmeverlust. der durch die Ernährung wieder gedeckt werden muß. Statistische Untersuchungen, die an verschiedenen Großstadtschulen vorgenom men worden sind, haben einwandfrei gezeigt, daß die schlecht er­nährten und mangelhaft gepflegten Kinder auch körperlich und geistig am wenigsten leistungsfähig sind. Eine Zahlentafel aus den Feststellungen des Professors Dr. Schmidt, der Bonner   Schul­finder auf ihre Körperbeschaffenheit hin untersucht hat, möge das beweisen:

Die allgemeine Körper­beschaffenhett

Gut

Bet den Schülern der Förderklassen Städtischen Stiftsschule der Wilhelms- Hilfsschule Realschule  ( Volksschule) schule

55,3 Proz. 24 Proz. 21,8 Proz. 41,1 9 65,9 3,6 12,3

W

67,5 7,5

0

g

#

13,3 Proz. 64,7 22

P

Mittel Schlecht. Da Wachstum und Entwicklung des Gehirns von der richtigen und naturgemäßen Ernährung abhängen, so ist es zu verstehen, daß von den die Hilfsschule besuchenden Schwachsinnigen und geistig Schwerfälligen, was ihre Körperbeschaffenheit anbelangt, nur ein fnappes Siebentel die Bezeichnung" gut", drei Fünftel die

1915

Bezeichnung mittel" und über ein Fünftel die Bezeichnung " schlecht" erhielten. Von den Realschülern wurden dagegen über die Hälfte als gut und nur ein Dreißigstel als schlecht" be= zeichnet. Dieser Unterschied erklärt sich letzten Endes aus der Ver­schiedenheit der sozialen Schichten, denen die Besucher der Real­schule und die geistig Minderwertigen in der Hilfsschule entstam­men. Bei den Kindern der ärmeren Volksschichten ist es nicht nur der Mangel an genügend kräftiger Ernährung, der so erschreckende Ergebnisse zeitigt, auch die mangelhafte Körperpflege, die unge­nügende Kleidung und vor allem die ungenügenden Wohnungs­verhältnisse tragen ihr Teil dazu bei. Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit von sozialpolitischen Forderungen wie die Pflichtspeisung der Schulkinder, die Errichtung von Wald- und Freiluftschulen mit ihren Erleichterungen im Unterricht für schwächliche und kränkliche Kinder. Doch darauf wollen wir hier, so wichtig diese Forderungen auch find, nicht näher eingehen. Auch die Frage der angemessenen Gesundheitspflege des Kindes fön­nen wir an dieser Stelle nicht näher verfolgen. Es genügt, fest­zustellen, daß schwere Ernährungsfehler und ungenügende Körper­pflege die Ursache mangelhafter geistiger Entwicklung, ja unter Umständen sogar von geistigen Krankheiten sein können.

Wir beschränken uns heute darauf, auf einige für die Haus­wie für die Schulerziehung wichtige Folgerungen aus unseren früheren Darlegungen hinzuweisen. Wohl die allgemeinste und wichtigste Forderung ist die, daß man an Leistungen der Kinder nie den Maßstab anlegen darf, den man als Maß für die Lei­stungen Erwachsener benutzt. Wir wissen ja jetzt, daß das Kind, sowohl was den Körper als was sein geistiges Wesen anbelangt -lepteres infolge der mangelhaften Entwicklung seines Ge­hirns­ein ganz anderer Mensch ist, mit anderem Lebens­rhythmus und anders arbeitendem Aufnahme- und Verarbeitungs­apparat. Wir werden es also vermeiden, an seinen Verstand oder an sein sittliches Verantwortlichkeitsgefühl Ansprüche au stellen, die wir an einen normalen Erwachsenen zu richten gewohnt sind. Wir werden weiterhin lernen, gewisse kindliche Eigenheiten, die man früher als Unarten ansah und bestrafte, als notwendiges Er­gebnis einer dem Kinde eigentümlichen Beschaffenheit zu betrachten.

Dafür nur ein Beispiel: Jedes gesunde und normale Kind zeigt schon frühzeitig einen starken Bewegungs- und Beschäftigungs­drang. Diesem ist in weitestgehender Weise stattzugeben, denn er schafft die Anreize für die körperliche und geistige Entwicklung, cr dient zur Übung der Sinnesorgane und der Gliedmaßen und weiterhin zur Beschaffung des Materials für die geistige Betäti­gung des Kindes durch Sammlung von Erfahrungen. Es gibt aber leider noch viele Mütter, die diesen Drang nicht nur nicht pflegen, sondern glauben, ihn dem alten Spießbürgerideal des ,, artigen" Kindes zuliebe beschneiden und womöglich unterdrücken zu müssen. Schon der Säugling wird in seiner Bewegungsfreiheit gehemmt, indem er einem alten Brauche folgend fest gewickelt wird. Infolgedessen ist es ihm natürlich nicht möglich, seine Glied­maßen zu üben, seinen Sinnesorganen Eindrücke von seinem Körper zuzuführen, und damit sich die Grundlagen für eine spätere Kenntnis und den richtigen Gebrauch der Glieder zu verschaffen. Später dann, wenn das Kind gelernt hat, sich selbständig frei zu bewegen, wird es von unvernünftigen Müttern oft gezwungen, stundenlang still zu sitzen, statt daß sie seinen Bewegungsdrang behutsam leiten, sich weitgehend mit ihm beschäftigen und seine Hantierungen beaufsichtigen. Die Erziehung zum Stillfißen ist die beste Verdummungsmethode, denn da die Gegenstände, deren Kenntnis sich das Kind doch durch wiederholtes Besehen, Betasten, Behorchen, Beriechen und möglichst auch Beschmeden notwendiger­weise erwerben muß, nicht zu ihm kommen, muß das Kind zu den Gegenständen gehen. Es muß sie greifen", mit ihnen in jeg­licher Weise herumhantieren, denn nur das führt zum Be­greifen", das heißt schafft die notwendige Verknüpfung der Ein­drücke und damit die Grundlage für das Denken. Selbstverständ­lich ist es dabei fortgesetzt zu beaufsichtigen, damit es sich keinen Schaden zufüge, aber auch hierin ist man unserer Meinung nach) meist wieder zu ängstlich; das Kind muß auch unangenehme Er­fahrungen sammeln. Nicht durch Strafen, sondern durch die Fol­gen seiner eigenen Handlungen ist das Kind zu belehren.

Leider zwingt das kapitalistische Wirtschaftssystem Tausende und aber Tausende von arbeitenden Müttern, sich ganz oder teil­